Kapitel 6 |Das Böse triumphiert - kurzfristig

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In gewisser Weise sollten wir der Wissenschaft dankbar sein. Sie hat den Glauben an die Magie geschwächt, so dass wir – anders als zur Zeit der Hexenverfolgung im Mittelalter – nun koexistieren können. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass „unbegabte" Menschen Zeuge eines Zaubers werden. Glücklicherweise glaubt ihnen das meist niemand. Und wenn sie an ihrem Glauben festhalten, bilden wir sie einfach aus. Das wäre sonst Verschwendung von Selbstvertrauen in die eigene Wahrnehmung.

- Winfried van Harzel



„Hört Gesindel! Die Tage des Lichts sind vorbei, die Schatten erheben sich erneut und versammeln sich unter dem Banner ihres Meisters – eures Meisters! Euer Schutzpatron, der Lichtbringer, gibt sich geschlagen, denn selbst er fürchtet den Kampf gegen mich."

Der Hexenmeister ballte einen eisenbeschlagenen Handschuh zur Faust und ließ ihn über die immer größer werdende Menge schweifen.

„Die Welt wie ihr sie kennt existiert nicht mehr. Wer sich mir nicht unterwirft, bekommt meinen infernalischen Zorn zu spüren! Sodenn, kriecht oder werdet vernichtet!"

Erstes Gemurmel erhob sich:

„Ist hier irgendwo eine Art Zirkus in der Stadt?"

„Sieht eher aus, als macht der Werbung für ein Theaterstück. Sein Kostüm ist echt klasse."

„Ach, das ist bestimmt nur ein einfacher Straßenkünstler."

„Aber spielen tut er echt gut."

„Schweigt!", donnerte der Schattenlord und seine Stimme hallte quer über den Platz um jedweden Zweifel an seiner Autorität hinwegzuwischen. „Gesindel, elendes! Spottet nur meiner Macht und ich werde den Staub eurer Überreste vom Antlitz dieser Welt kehren! Ihr seid nicht würdig, zu meiner Großartigkeit aufzublicken, geschweige denn, unter mir zu dienen!"

Erster Applaus brandete ihm aus der Menge entgegen. Und das war noch nicht alles. Einige bewarfen ihn mit kleinen Metallscheiben! Mit hellem Plingen fielen sie vor seine Füße. Der Hexenmeister traute seinen Sinnen nicht.

„Narren!", schrie er. „Noch nicht einmal richtig zielen könnt ihr! Aber diese Aufsässigkeit werde ich nicht ungesühnt lassen!" Mit einem metallischen Schleifen zog er ein langes Schwert aus der Scheide unter seinem Mantel hervor. „Mit Blut wird es beginnen und mit Blut wird es enden!"

Er hob die Waffe mit beiden Händen über seinen Kopf, fest entschlossen, dem lachenden Pöbel Manieren zu lehren, doch just in dem Moment, in dem er die Klinge des Verderbens herniedergehen lassen wollte, trat ein Mann von der Seite an ihn heran und schob ihn von der Menge zurück.

„So, das reicht jetzt", rief er den versammelten Menschen zu.

„Wurm!", gellte der Hexenmeister. „Wie kannst du es ...?"

„Meine untertänigste Entschuldigung, Meister", wisperte der Mann zurück und wieder an die Menge gerichtet: „Wissen Sie, wir suchen ihn schon den ganzen Morgen. Hält sich für die nächste Inkarnation eines mächtigen Hexenmeisters, kein einfacher Fall. Aber jetzt haben wir die Situation unter Kontrolle, also gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts mehr zu sehen. Und für dich ist es nun Zeit für die Tabletten."

„Narr, die Mehrzahl von Tablett ist Tabletts und nicht Tabletten!"

„Ja, sehr richtig erkannt", wisperte der Unbekannte und besaß überdies die Dreistigkeit, ihn mit den Händen in Richtung der nächsten Seitengasse zu drängen. „Jetzt folgt mir bitte, Meister, ich habe wichtige Informationen für Euch."

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now