Kapitel 47 | Schattentanz III

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Das Gesicht der Alten zeigte maßlose Verärgerung. Besonders, weil ihre Runzeln die Mimik tatkräftig unterstützen und den Effekt noch verstärkten. Alles deutete darauf hin, dass sie gerade aus dem Bett geholt worden war: die Haare hingen zur einen Hälfte zerzaust und zur anderen zu einem unordentlichen Dutt zusammengesteckt auf ihrem Kopf und tragen tat sie nur ein mit Blümchenmuster verziertes Nachthemd.

„Sie da!", rief sie und sah von ihrem Balkon auf die Straße hinunter. „Was treiben Sie da unten? Ich werde Sie wegen Ruhestörung der Polizei melden!"

Ups, so eine also, dachte Katy, während sie zu der wütenden Mieterin starrte, die sich über die Brüstung ihres Balkons beugte. Das könnte Ärger geben!

Wie gut, dass sie so schnell reagiert hatte. Wäre sie auf dem Garagendach entdeckt worden, wäre die Polizei bestimmt schon auf dem Weg.

„Ich bin mit dem Fahrrad gefallen!", rief Katy weinerlich nach oben.

Die Stimmung der Frau schlug augenblicklich um.

„Du Gute Güte, Kind. Wie ist das denn passiert?"

Ich hab das Fahrrad umgestoßen und mich eilig in den Dreck geworfen, um eine Ausrede parat zu haben, weil du ja einen so leichten Schlaf haben und auf uns aufmerksam werden musstest! Wehe dir, wenn ich die Flecken aus der Jeans nicht rausbekomme, die war teuer!

„Ich habe auf der nassen Straße irgendwie den Halt verloren", erwiderte Katy innerlich grinsend. „Ich weiß auch nicht ... es ging so schnell und jetzt tut mir alles weh!"

Der Ausdruck von Sorge im Gesicht der Alten verstärkte sich und Katy feierte sich für ihr schauspielerisches Talent. Menschen waren so leicht zu beeinflussen – und in diesem Fall wirkte noch nicht einmal der Große-Brüste-Bonus.

„Lieber Himmel! Dann werde ich dir besser schnell einen Krankenwagen rufen!"

Shit!

„Nein!", rief Katy etwas zu verzweifelt.

Die Frau stockte irritiert.

„Nein", wiederholte sie etwas gemäßigter. „Ich denke, das wird nicht nötig sein. Das geht schon wieder. Ich komme klar!"

„Überhaupt nicht kommst du klar, mein Kind. Warte, ich ziehe mir nur eben meinen Morgenmantel über, dann komme ich runter und mache dir einen Tee. Auf dem kalten Boden holst du dir nur den Tod!"

„Aber ich ...", doch die Frau war bereits zurück im Haus verschwunden. „Na großartig ...", brummte Katy.


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„Hast du gesehen?", flüsterte Miles an Cora gewandt, während er darauf achtete, das Headset zu deaktivieren. „Der ist total lichtempfindlich!"

Sie nickte und spähte aus ihren Versteck zwischen den Büschen hervor. „Naja, wie würdest du dich fühlen, wenn dir ein Halogenscheinwerfer direkt in deine an die Dunkelheit gewöhnten Augen strahlt?"

„Auch wieder wahr." Miles beobachtete, wie der Hexenmeister sein Schwert vom Boden aufhob und sich vorsichtig ihrem aus dem Fotostudio der Hochschule entwendendeten Spielzeug näherte. „Er hat den kompletten Ast des Baumes zerlegt. Wenn der uns findet, sind wir am Arsch!"

Cora stieß ihm neckisch den Ellenbogen in die Rippen. „Die Betonung liegt auf wenn! Wir wollen ihn ja auch nur lange genug für Flip ablenken und dann verduften."

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now