Kapitel 24 | Dünne Luft

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Es läuft alles ganz falsch! Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht, was ich erwartet habe. Dass er mir aus Dankbarkeit helfen würde? Ein dunkler Hexenmeister – laut den Geschichtsbüchern die Inkarnationen des Bösen – und mir helfen? Aus Dankbarkeit?

Im Nachhinein komme ich mir ziemlich töricht vor ... dabei war ich einfach nur verzweifelt. Ja, Verzweiflung war es, die mich trieb.

- aus Reinhardt Schafftlichs Tagebuch; 19. September




„Eine Katastrophe", jammerte Schafftlich und schritt in seinem Wohnzimmer auf und ab, während der Schattenlord die Teekanne mit den hundert verlorenen Seelen auf den Tisch stellte.

„In der Tat", bestätigte dieser und ließ seinen riesigen Körper auf das fleckige Sofa sinken. „Eine Katastrophe wird all meine Gegner ereilen. Der Bann ist fast komplett."

Schafftlich stoppte abrupt. „Das meine ich nicht. Seht!" Mit einem Griff klaubte er die Tageszeitung vom Tisch und hielt sie dem Hexenmeister vors Gesicht. „Ihr wurdet gesehen! Wie konntet Ihr so unvorsichtig handeln, wo ich doch nur kurz einkaufen war? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man Eure Spur hierher verfolgt und wir ..."

Hastig drückte er sich die Hände auf den Mund, als er bemerkte, dass er dem mächtigsten Magier der Welt einen Vortrag hielt.

„Oh", entfuhr es dem Gebieter der ewigen Finsternis, als er die gedruckten Nachrichten entgegen nahm. Zufrieden sah Schafftlich, wie er die Titelseite mit dem Bericht über das Massaker betrachtete, anstatt sich auf sein unangemessenes Verhalten zu stürzen.

„Welch schlampige Machart", beschwerte er sich. „Zu meiner Zeit wusste man noch, wie Pergament hergestellt wird. Und Ihr nennt euch fortgeschritten?"

Er ließ das Papier sinken und sah ihn aus der Schwärze unter seiner Kapuze direkt an. Schafftlich hatte das Gefühl, in einen endlosen Abgrund zu schauen; in einen Abgrund, an dessen Boden sein Verderben lauerte und ein Schild mit der Aufschrift „Mach nur weiter so!" in die Höhe hielt.

Er schluckte. „Es ging eher um den Inhalt des Textes."

„Das bezeichnet Ihr als inhaltsvollen Text!?", rief sein Meister aus. „Wie tief sind die Menschen gesunken ... wird Zeit, dass ich meinen Plan in die Tat umsetze!"

Schafftlich knetete nervös seine Finger und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, weil der Herrscher der Schatten ihn immer noch nicht verstanden hatte.

„Aber wenn der Zeuge zu viel ausplaudert und das an die Ohren anderer Magier dringt, könnten sie gewarnt sein und versuchen, sich Euch entgegenzustellen."

Ein kehliges Lachen drang unter der Kapuze hervor. „Sie werden scheitern. Sie können sich nicht mit mir messen!"

Ja, aber mit mir, schoss es Schafftlich durch den Kopf.

„Es muss ja nicht unbedingt sein, dass es zu Komplikationen bei dem Plan kommt", versuchte er den Hexenmeister zu überzeugen. „Je weniger Widerstand es gibt, desto besser ist das."

„Deswegen werden wir das Ritual auch sofort durchführen." Unbeirrt griff er nach der Teekanne und machte sich auf den Weg zur Tür. Langsam begann Schafftlich, in seinem eigenen Saft zu dünsten, so stark quoll ihm der Schweiß aus den Poren.

„A-aber habt ihr denn nie von dem Zauber der grauenvollen Termination gehört?", fragte er verzweifelt.

Mit wehendem Gewand wandte sich der Schattenlord um und fixierte ihn. „Nein", sagte er in einem Tonfall, der eine Aufforderung zum Sprechen beinhaltete. Schafftlich räusperte sich vernehmlich.

„Entschuldigt, es ist ein Zauber, der nach Eurer Zeit kam und ..."

„Dann ist es ein schlechter Zauber. Genau wie Euer Pergament." Mit diesen Worten wollte er sich der Tür nähern, doch Schafftlich konnte ihn gerade noch zurückhalten.

„Aber wenn wir den Zeugen nicht ausschalten, wird Lichtbringers Erbe vielleicht auf Euch aufmerksam!" Der Schattenlord hielt inne. Mit einem Ruck zog er das Schwert aus der Scheide und wirbelte herum. Die Klinge stoppte nur Millimeter vor seinem Hals.

Igitt, Schweiß, summte das Dämonenschwert angeekelt, während sein Träger schicksalhaft auf Schafftlich hinunterstarrte.

„Wolltet Ihr damit etwa andeuten, ich sei nicht in der Lage, es mit Lichtbringers Erben aufzunehmen!?", donnerte er.

„Nein auf keinen Fall!", quiekte Schafftlich, wagte aber nicht, vor seinem Meister davonzuweichen.

Natürlich wollte er das, summte das Schwert. Lass mich also sein Blut trinken. Sein Schweiß schmeckt nämlich widerwärtig! Außerdem stinkt er.

Schafftlich versuchte die Worte zu überhören. „Wenn Lichtbringers Erbe vorher auf Euch aufmerksam wird, dann wird es schwieriger werden, ihn überhaupt ausfindig zu machen. Ihr seid zu mächtig, das weiß er!"

„Natürlich", sagte der Hexenmeister nachdenklich. „Er wird sich verkriechen, der Wurm."

„Und das wollen wir doch nicht", schob Schafftlich hoffnungsvoll hinterher.

„Nein, wollen wir nicht", bestätigte der Schattenlord. „Solange er lebt, kann ich meinen Plan nicht ausführen. Er muss sterben!"

Das Schwert gab ein enttäuschtes Summen von sich, als es zurück in die Scheide geschoben wurde, während Schafftlich erleichtert ausatmete.

„Alsdann", fuhr der Hexenmeister fort. „Ich muss zurück zum Ort des Geschehens, damit ich die Spur des Mannes aufnehmen kann."

Schafftlich atmete erleichtert auf. „Ich werde Euch begleiten, Herr."

„Nein!", befahl sein Meister. „Ihr habt doch noch etwas zu erledigen, oder?"

Schafftlich starrte ihn verständnislos an.

„Ihr spracht von Magiern", erinnerte ihn der Hexenmeister. „Versammelt diese Magier hier, oder ich werde mir Eure Gabe aneignen. War das deutlich genug?"

Schafftlich erbleichte. „Klar wie Kloßbrühe."

„Was ist Kloßbrühe?"

„Nicht so wichtig, Herr, ich kümmere mich darum." Katzbuckelnd verbeugte er sich und wollte schon den Raum verlassen, als der Hexenmeister ihn noch einmal zurück rief.

„Und Schafftlich, denkt nicht daran wegzulaufen. Ich finde jeden, der einmal mit meiner Magie in Kontakt war. Jeden einzelnen."

Das Erbe des LichtbringersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt