Kapitel 14 | Suche nach Gott

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Verzauberungen

Eine schon seit den alten Ägyptern bekannte Form der Magie ist die Verzauberung. Rein technisch gesehen wird beim Verzaubern eine unterschiedlich große Menge an Magie in ein Objekt gegeben, um es in seiner magischen Grundstruktur massiv zu verändern. Oft handelt es sich dabei um Eigenschaften von anderen Objekten, in seltenen Fällen sogar um Eigenschaften der Verzauberer. Im letzteren Fall spricht man von einer ATE (Ability-Transfer-Enchantment).

Ein Golem zum Beispiel ist oftmals der missglückte Versuch eines Magiers, seinen Verstand aus einem sterbenden Körper in eine neue Hülle zu übertragen. Diese Art der Verzauberung wurde nach dem Riegar-Zwischenfall 1922 als zu gefährlich eingestuft und die Forschung an ATEs verboten!

- aus Leubrunners Lehrbuch der Magie; Abschnitt 4.3 Verzauberungen




Faszination erfüllte den Hexenmeister. Gebannt saß er auf dem fleckigen Sofa in Schafftlichs Bude und starrte den kleinen Kasten auf der Kommode an.

Zugegeben, er hatte schon viele Zauberkugeln in seinem Leben gesehen, doch keine lieferte so klare Bilder wie dieser Kasten. Allerdings, weder er, noch Schafftlich schienen mit Magie irgendeine Art von Beeinflussung der gezeigten Bilder herführen zu können; diese rechteckige Form einer Zauberkugel entschied selbst, was sie ihrem Besitzer kundtun wollte und was nicht. Damit wurde sie natürlich vollkommen nutzlos, was sein Interesse jedoch kaum schmälerte.

Neugierig griff er nach dem rechteckigen Zauberstab, den Schafftlich benutzt hatte, um den Kasten zum Flimmern zu bringen, kurz bevor er selbst die Wohnung verlassen hatte, um auf dem Markt einige Besorgungen zu erledigen. Es musste derzeit ein wichtiger Markt in der Stadt tagen, denn Schafftlich hatte noch das Wort „Super" vorangestellt, um auf die besondere Bedeutung aufmerksam zu machen.

Der Hexenmeister grummelte. Zu seiner Zeit hatte man noch das Wort „Jahr" benutzt, aber hier war alles fremd und anders.

Wahllos drückte er auf eine Taste und stellte überrascht fest, dass ihm die moderne Zauberkugel nun ein anderes Bild als diesen langweiligen Redner zeigte, der pausenlos über sich selbst lamentieren konnte, ohne seinen Sätzen andere Inhalte zu geben. Stattdessen präsentierte sie nun das Bild eines hysterisch schnatternden Weibsbildes, die einem kostenlos die Zukunft aus Karten weissagen wollte. Eine Hellseherin! Endlich eine nützliche Information.

„Wählen Sie die 0 419 88 88 und die 2; und wenn die Sterne Ihnen hold sind, werde ich Ihr Schicksal von den Karten erfragen."

„Närrisches Weibsbild", grollte der Hexenmeister zufrieden. „Mit dieser Fähigkeit prahlt man nicht. Also schön." Er räusperte sich und intonierte: „Ich wähle die 0 419 88 88 und die 2!"

Nichts geschah, außer, dass die Frau vor ihm weiter quasselte und ihn weiter ermunterte, die eingeblendete Nummer zu wählen.

„Ich wähle die 0 419 88 88 und die 2!", wiederholte der Hexenmeister, wobei er all seine Kraft in seine Stimme legte. Wiederrum nichts. Vielleicht war die Frau schwerhörig. In dem Tempo und der Stimmlage, in der sie quasselte, hatte sie sich das wohl selbst zuzuschreiben.

„Ich wähle die 0 419 88 88 und die 2!", schrie der Meister der Schatten so laut es seine Stimme ihm ermöglichte, wodurch der Boden unter seinen Füßen erzitterte und das Bild im Zauberkasten kurzzeitig zu flackern begann. Die einzige Reaktion, die er ansonsten hervorrief, war, dass jemand von unten dumpf gegen die Decke pochte, begleitet von der krächzenden Stimme einer alten Frau die „und ich wähle gleich die 110, Sie Verrückter!" blökte.

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now