Kapitel 1

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Miguel
20:04 Uhr / 12. April, Los Angeles

Ich beobachte sie, wie sie hinter dem Tresen des kleinen Cafe's steht und das letzte Glas abtrocknet.
Es ist 20 Uhr und sie hat gleich Feierabend. So wie jeden Mittwoch.
Ihre schulterlangen Haare hat sie lässig zu einem kurzen Zopf im Nacken gebunden, ihre dunkelbraune Brille sitzt perfekt auf ihrer Nase. Ich mochte ihre langen Haare, aber die kurzen stehen ihr trotzdem fantastisch. 

Meine Kleine stellt das saubere Glas, welches sie so ehrgeizig gesäubert hat, in den Wandschrank zurück und verstaut das Trockentuch in einer Schublade.
Als ihre Kollegin das Cafe verlässt und Amara endlich alleine ist, werfe ich meine glühende Zigarette auf den Boden und trete sie eine Spur zu aggressiv aus. 

Dann gehe ich mit Xavier auf das kleine Cafe zu. Das knirschen unserer Lackschuhe dröhnt in meinen Ohren und ich muss wiederwillig zugeben, dass mein Herz eine Spur zu schnell klopft.

"Wir haben schon geschlossen.", nuschelt Amara uns zu, während sie mit dem Rücken zu uns steht und das restliche Geschirr abtrocknet, nachdem ich die Tür schwungvoll aufgestoßen habe.

"Das interessiert mich nicht.", gebe ich mich zu erkennen. 
Meine Stimme ist rau vom Zigarettenrauch, weshalb meine Stimme am Ende des Satzes leicht abbricht.

Abrupt hält sie in ihrer Bewegung inne und dreht sich anschließend langsam um, bevor sie das Glas abstellt und mich mustert.

„Siehst heiß aus.", stelle ich fest, während ich sie ebenfalls auffallend mustere und mich mit den Unterarmen auf der Theke abstütze. 

Xavier bleibt im Hintergrund stehen.

"Das kurze Haar steht-"

"Was wollt ihr hier?", unterbricht sie mich fauchend und stützt sich ebenfalls mit ausgestreckten Armen auf der Theke ab. Sie will sich vor mir aufbauen und mir Gegenwehr bieten, dabei sieht sie einfach nur klein und zierlich aus.

Ich rümpfe meine Nase und schnaube abfällig, weil es mir nicht passt, dass sie mich unterbricht. Dazu noch in einem Ton, den ich eigentlich bei niemandem durchgehen lasse.

Seufzend ziehe einen der vielen Barhocker zu mir heran und setze mich entspannt drauf, ehe ich ihr antworte.
"Nicht so frech, mi amor."

Amara kneift spöttisch die Augen zusammen, bevor sie sich wiederholt. Nach meinem Geschmack etwas zu laut, wenn man bedenkt, mit wem sie hier spricht.
"Ich hab gefragt, was ihr hier tut!"

"Beruhig dich und mach den Laden zu, wir reden im Auto.", fordere ich sie auf endlich ihre Sachen zu packen und keinen Terz zu veranstalten. Sie weiß, wie unschön eine Auseinandersetzung mit mir enden kann, außerdem sollte sie Xaviers Anwesenheit als Warnung verstehen. Wenn er dabei ist, bedeutet dies automatisch, dass ich keine halben Sachen mache. 
Doch gleichzeitig muss ich mir auch eingestehen, dass dieses Mädchen mich selbst nach all den Jahren noch immer an den Eiern hat. 

Ich konnte sie nicht vergessen, egal was ich getan habe. 

"Einen Scheiß werde ich machen, Miguel Jimenez!"
Mit der flachen Hand schlägt sie kräftig auf die Theke zwischen uns, sodass die Gläser wackeln und klirren.
Warnend schaue ich sie an.

Sie hat definitiv mehr Mut bekommen und ich würde mir etwas vormachen, wenn ich jetzt behaupten würde, dass es mich nicht anmacht. Die blonde Strähne, die sich in ihren Wimpern verirrt hat, bringt mich in Versuchung sie hinter ihr kleines Ohr zu klemmen, während ich mich immer wieder versuche daran zu erinnern, weshalb wir hier sind. 

Wie ich erwartet hatte, macht sie keine Anstalten meiner Aufforderung nachzukommen, sodass ich fast schon gezwungen bin um die Theke herum zu laufen und mich vor ihr aufzubäumen. Doch anders als bei unserer letzten Begegnung schreckt sie nicht mehr vor mir zurück. Sie bleibt stehen, weicht nicht aus und erwidert stattdessen standhaft meinen zornigen Blick.

Mi amorDonde viven las historias. Descúbrelo ahora