Kapitel 54

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Amara

"Er behandelt dich nicht gut.", stellt Jasper mit vollem Mund fest, während wir am Esstisch sitzen und er sich das Fleisch in den Mund schaufelt. Er scheint schon länger nicht mehr gegessen zu haben, so wie er reinhaut.

"Manchmal schon.", erwidere ich ertappt.
Es ist ja nicht so, als würde er sich keine Mühe geben, er ist nur eben sehr impulsiv.

Schätze ich.

"Manchmal reicht nicht.", brummt mein kleiner Bruder und nimmt einen großen Schluck Cola.
Er hat Dreck im Gesicht, seine Haare sind struppig und spröde und man erkennt einen kleinen roten Abdruck von Miguels Waffe an seiner Stirn.

"Du kannst gleich duschen. Ich zeige dir das Bad, wenn du fertig bist.", übergehe ich seine Anspielung, dass Miguel mich nicht gut behandelt und ich mich besser von ihm fern halten soll.
Natürlich habe ich mir darüber schon Gedanken gemacht und ich finde, dass es auch in die richtige Richtung geht. Immerhin habe ich die Beziehung zwischen uns beendet und ich bereue es nicht.

Es ist eben schwer, wenn man mehr für eine Person empfindet als man sollte. Ich weiß ja nichtmal warum das so ist. Er hat mein Leben wirklich komplett auf den Kopf gestellt und mehr Negatives gebracht als Positives.

"Schön. Das ändert nichts daran, dass wir hier so schnell es geht wegmüssen.", erklärt er mir mit zusammengekniffenen Augen.

"Jasper, ich schreibe in 5 Tagen mein Staatsexamen! Ich kann jetzt hier nicht einfach weg. In 3 Tagen fliege ich zurück nach Los Angeles und danach werde ich definitiv wieder hier her kommen. Ich habe keine andere Wahl!", fauche ich, weil es mich aufregt, dass er einfach hier her kommt und mir vorschreiben will was ich wie zu tun habe.

Er hat wirklich überhaupt keine Ahnung.
Sicherlich werde ich das hier nicht hinter mir lassen, wenn ich keine Alternative habe.

Und nein, unter einem Fels im Sand zu schlafen und zu wohnen ist für mich keine Alternative.

"Jura also.", spottet er und schiebt den Teller von sich weg.

"Was soll der Unterton.", frage ich angespannt, da er mich verspottet.

"Du studierst Jura und willst anscheinend Gerechtigkeit, lebst aber mit einem Drogenboss zusammen, der wehrlose Leute, Frauen und Kinder umbringt. Der illegal Waffen nach Kolumbien und Brasilien liefert und die Kämpfe in den Slums und Favelas weiter anheizt, nur damit er Leute für seine Drecksarbeit abgreifen kann!"
Jasper haut wütend auf den Tisch und erhebt sich kurz drauf schweratmend.

Ich wusste, dass Miguel keine guten Sachen tut und dass sein Beruf alles andere als gut ist, doch ich habe es immer ausgeblendet.

Ein ironisches Klatschen ertönt.

Ich zucke zusammen und drehe meinen Kopf zur Tür.
Miguel lehnt lässig im Türrahmen und schaut Jasper undefinierbar an, während er spöttisch weiter klatscht.

"Fast hätte ich eine Gänsehaut bekommen, bei deinem tollen Auftritt. Hast du schonmal an einen Job im Theater gedacht? Du könntest die Leute mit deinen Schauspielkünsten regelrecht verzaubern.", spottet er gehässig und kommt dann mit Händen in den Hosentaschen auf uns zu.

Ich sehe den Respekt in Jaspers Gesicht.

Kein Wunder.

Miguel sieht in diesem dunkelblauen Anzug und der großen Uhr viel zu angsteinflößend aus.

"Schämst du dich nicht? Du tauchst fast 5 Jahre unter, nur um dann deine Schwester fast abzuknallen? Und jetzt stellst du dich hier hin und hältst eine Rede, wie gefährlich ich denn sei und steckst deine Nase in meine Geschäfte? Ich stille deine Hunger und Durst, du kriegst ein warmes Bett und eine warme Dusche. Und das ist der Dank dafür? Das ist der Dank, dass deine Schwester die Hoffnung nicht aufgegeben hat, obwohl du sie tot sehen wolltest?", zischt er gefährlich und kommt weiter auf uns zu.

Ich schaue auf meine Hände, die auf meinem Schoß liegen.
Irgendwie habe ich Angst, was als nächstes passiert.
Ich will es jeden Falls nicht sehen.

"Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?", provoziert Miguel meinen Bruder.

"Miguel, es ist gut.", gehe ich endlich dazwischen und stehe auf.
Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu, dann nehme ich Jaspers Teller und bringe ihn in die Küche.

Ich weiß, was das zwischen den beiden ist.

Ein Machtkampf.

"Du bist doch nur so drauf, weil du Angst hast, ich könnte dir meine Schwester wieder wegnehmen. Du hast Angst, dass Amara mit mir kommt, anstatt hier bei dir zu bleiben. Weil du weißt, wie schlecht du sie all die Monate behandelt hast. Du hast Angst, dass sie merken könnte, dass es ihr bei mir besser gehen würde, weil ich sie so behandle, wie sie es verdient hat."
Mein Bruder hat endlich seine Stimme wiedergefunden und schaut Miguel zornig in die Augen.

Als Miguel überraschender Weise nichts erwidert, rempelt Jasper ihn an der Schulter an und geht in Richtung Tür.

"Du hast ihr in den Hals geschossen. Das nennst du gut behandeln?", wirft Miguel doch noch hinterher.
Jasper hält sofort inne und dreht sich langsam um.
Wütend starrt er auf Miguels breiten Rücken.

"Zum letzten Mal! Ich habe ihr absichtlich in den Hals geschossen, damit sie eben nicht stirbt! Niemals hätte ich sie umbringen können! Niemals!", brüllt mein Bruder außer sich.

Miguel lacht kurz auf, dann holt er sich eine Zigarette und ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und geht auf die Terrasse.

"Heuchler.", höre ich ihn flüstern, bevor er sich die Zigarette zwischen die Lippen steckt.

"Komm, ich zeig dir das Bad."
Ich umgreife Jaspers Handgelenk, da er die Hand zur Faust geballt hat. Ich weiß, dass Miguel sehr gerne provoziert. Ich kann damit umgehen, Jasper noch nicht. Aber das wird er lernen, das muss er lernen.

Guten Morgen ihr Lieben! <3
Hier nochmal ein Kapitel zum Abschluss des Jahres. Heute Nachmittag wird noch ein zweites kommen und wenn ich noch Zeit finde, update ich El Regreso auch noch :)
Habt ihr heute Abend was geplant?

Mi amorWhere stories live. Discover now