Kapitel 51

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Miguel
15: 57 Uhr

"Du kannst hier vorne parken."
Amara zeigt auf einen kleinen Schotterplatz vor der Küste. Am Horizont glänzt das dunkle Meer im Sonnenuntergang und lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich parke das Auto neben einem Holzzaun, der vermutlich nur zur Zierde dort steht.

Wir laufen eine kleine Steintreppe runter, die durch den Küstenfels führt. Es ist warm, doch der kühle Wind, der vom Meer kommt, lässt uns frieren. Amara's Schritte werden immer schwerer und langsamer, so als würde die Angst tatsächlich ihren Bruder zu finden, sie lähmen.

Ich biete ihr mein Jackett an, doch obwohl sie friert, lehnt sie es ab. Sie lässt ihren Blick über den Ozean fliegen, als würde sie in der Ferne nach Hoffnung suchen. Hoffnung, die ihr erlaubt zu denken, dass das alles nur ein Missverständnis ist.
Sie wird es leugnen, aber das Beste wäre, wenn ihr Bruder wirklich tot ist.

Das wäre das Beste für sie und das beste für mich.

Das beste für uns.

Es würde alles nur noch komplizierter machen.

"Da hinten ist ein Felsvorsprung. Dort haben wir im Sommer immer drunter gelegen, um der Sonne aus dem Weg zu gehen.", flüstert sie und schlingt die Arme um ihren Oberkörper.

"Nimm' mein Jackett.", bitte ich sie und lege es ihr, ohne auf ihre Antwort zu warten, über die nackten Schultern.

Der Wind weht durch ihre Haare und durch die Fasern meines weißen Hemdes. Im Gegensatz zu Amara, erfrischt er mich in gewisser Weise und kühlt mir den Kopf.
Die Treppen sind lang und steil, hier und da sind sie so schmal, dass wir hintereinander laufen müssen.

Amara redet den ganzen Weg nicht und ich schiebe es auf die Anspannung. Jeder wäre nervös, wenn er vor einer Wahrheit steht, die alles verändern könnte.

"Hier links sagst du?", frage ich sie, als wir mit den Füßen endlich im Sand stehen und das Meer nur noch einige Meter von uns entfernt ist.

Sie bleibt einen Moment stehen und schaut über den Strand, dann nickt sie und geht vor. Mit großen, zügigen Schritten macht sie sich auf den Weg zu der großen, offenen Höhle. Eigentlich ist es nur ein Felsvorsprung unter dem Sand liegt. Der Fels überdacht den Sandstrand und bietet Schutz vor Wind und Sonne, ein idealer Platz zum Schlafen also.

Amara läuft einige Schritte vor mir, während ich mich immer wieder umschaue. Eigentlich ist es ziemlich gefährlich hier so alleine rumzulaufen. Besonders, wenn jemand sie töten wollte. Was ist, wenn das hier eine Falle ist und man Amara absichtlich hier her locken wollte?
Was ist, wenn ma-

"Jasper.", stellt Amara plötzlich fest und bleibt ruckartig stehen.
Auch ich halte inne und folge ihrem Blick.

Ein großer, trainierter Junge mit blondem, lockigen Haar sitzt erschrocken am Fels und starrt uns an.

Kurz ist es still, dann zieht er eine schwarze Waffe und erhebt sich mit ausgestrecktem Arm. Schnell greife ich hinter mich und ziehe ebenfalls meine Waffe aus meinem Hosenbund.

"Überleg dir gut, was du jetzt tust!", rufe ich drohend und ziehe Amara zu mir.

"Lass meine Schwester los!", brüllt er zurück.
Amara steht zitternd vor mir und krallt sich in meinen Arm. Ich beobachte Jasper, wie er es tatsächlich drauf anlegt und uns näher kommt.
Die Waffe hat er immer noch auf uns gerichtet.

"Wieso sollte ich das tun? Du hast versucht sie zu erschießen!", rufe ich provokant und drücke Amara im gleichen Atemzug hinter mich.

"Miguel, hör auf.", höre ich sie flüstern.
Bitte was?

"Hörst du, Miguel? ", spottet Jasper.
"Du sollst aufhören.", wiederholt er Amara's Worte.

"Halt den Mund bevor du nie wieder etwas sagen kannst.", flüstere ich bedrohlich.
Er steht mittlerweile nur noch einige Meter von mir entfernt.

"Amara, komm her!", übergeht er meine Drohung und winkt sie tatsächlich zu sich heran.

"Jasper, was tust du hier? Warum hast du dich nie gemeldet?!", wirft sie ihm vor und tritt neben mich.
Ich sehe, wie sein Arm zu zittern beginnt. Entweder durch Aufregung oder Erschöpfung. Bei dem Bastard tippe ich auf Erschöpfung.

"Warum ich mich nie gemeldet habe?", brüllt er aufgeregt und fuchtelt mit der Waffe herum.

"Dieser Hurensohn hat dich entführt! Er hat unsere Mutter umbringen lassen! Er hat verdammt nochmal dein Leben ruiniert. Unser Leben ruiniert!", schreit er wütend.

Was sagt er? Hurensohn?

Ich drücke Amara bei Seite und mache kurzen Prozess, in dem ich ihm kinderleicht die Waffe abnehme und ihm meine Waffe schmerzhaft gegen die Stirn drücke. Dann ziehe ich ihn auf den Boden und beuge mich über den Schwächling.

"Sag das noch einmal und du siehst die Hölle früher als dir lieb ist.", drohe ich ihm und schaue in seine ängstlichen, blauen Augen.

"Miguel!", ruft Amara von hinten und greift nach meiner Schulter, um mich von dem Wichser zu ziehen. Wütend schüttel ich ihre Hand ab und trete in den Sand, sodass ihm die kleinen, trockenen Sandkörner ins Gesicht fliegen.

"Bastard!", knurre ich, als er sich hektisch die Körner aus den Augen reibt und entferne mich von ihm.

"Komm Amara, wir sind hier fertig."
Ich greife nach ihrem Handgelenk und will sie mit ziehen, doch sie wehrt sich.

"Miguel, wir können doch ni-"

"Und wie wir das können!", mache ich deutlich, dass mir dieser Typ vollkommen am Arsch vorbei geht.

"Ihr müsst mir helfen!", hustet der Schwächling und hält mich auf.

Langsam drehe ich mich um.

"Was muss ich? Dir helfen? Ich muss gar nichts, außer dir irgendwann eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, als Rache, dass du deine Schwester umbringen wolltest!", fauche ich und setze zum Gehen an, als er einen entscheidenen Satz sagt.

"Ich kann dir helfen, Carlos' Sohn zu finden und sein Kartell auszulöschen.", ruft er, als er sich aufrappelt und auf den Boden spukt.

"Carlos' Sohn interessiert mich nicht. Er wird von selber zu mir kommen und dann werde ich ihm das Leben zur Hölle machen!", teile ich ihm mit, dass sein Angebot mir in gewisser Weise egal ist.

"Achja? Eduardo will sie tot sehen. Willst du nicht wissen warum? Ist meine Schwester dir also so egal, dass du das gleiche Risiko wie bei deiner Mutter eingehst und nichts tun willst, bis es zu spät ist? Bis sie in deinen Armen stirbt?", haucht er mit hochgezogenen Augenbrauen und verschränkt die Arme vor seiner Brust.

Ich kneife die Augen zusammen.

"Was meint er damit?", fragt Amara irritiert und schaut zu mir.

"Genau Miguel, was meine ich damit? Hast du es ihr etwa noch nicht gesagt?", spottet er grinsend und genießt seine Macht.

Eine kurze Erklärung zu Amaras Bruder: Er war im 1. Teil fast 13.
der 2. Teil spielt ja über 4 Jahre später, sprich Jasper ist jetzt 17.
hoffe, das ist verständlich🙈

Mi amorWhere stories live. Discover now