Kapitel 38

12.3K 365 11
                                    

Miguel

09:48 Uhr

"Señor Jimenez, guten Morgen. Ich bin Dr. Alvarez, der behandelnde Arzt."
Ich setze mich auf, als ich seine Stimme höre. Es ist fast 10 Uhr und ich bin mittlerweile frisch geduscht. Meine Jogginghose und meinen Hoodie habe ich gegen eine Anzughose und ein weißes Hemd eingetauscht.

Das Jackett hängt über der Stuhllehne.

Langsam stehe ich auf und reiche ihm die Hand.
"Guten Morgen."

"Ihre Frau hat großes Glück gehabt. Wir gehen davon aus, dass sie in den nächsten Stunden aufwacht. Sie ist sehr dünn, daher wirkt die Narkose bei ihr stärker und länger.", klärt er mich auf, warum es so lange dauert.

"Wenn es ihr gut geht, können sie morgen, spätestens übermorgen nach Hause. Wir werden heute noch einen Ultraschall machen und uns die Halsschlagader genauer ansehen, um weitere Verletzungen ausschließen zu können. Haben Sie noch fragen, Señor?", fragt er an mich gewandt.
Er hält das Klemmbrett vor seine Brust und schaut mich fragend an.

"Nein, erstmal nicht. Danke."
Ich fahre mir über den Mund und schaue zu Amara. Im Augenwinkel sehe ich, wie der Arzt mit der Schwester das Zimmer verlassen will.

"Doktor?", halte ich ihn auf.
"Sie wird doch wieder, oder?", frage ich mit zitternder Stimme und fahre mir über die Augen.

"Natürlich. In 3 Wochen wird sie wieder ganz die alte sein. Zumindest körperlich. Sie sollten dennoch mit ihr zum Psychologen. So etwas verdaut man nicht so schnell und es ist wichtig, dass sie sich professionelle Hilfe holen."

"Danke.", verabschiede ich ihn und fische mein Handy aus der Hosentasche.
Schon die ganze Zeit überlege ich, ob ich meinen Vater anrufen soll. Wir haben kaum Kontakt, aber er weiß, was in so einer Situation zu tun ist. Ich darf nicht die Beherrschung verlieren und jeden abknallen, der mir in den Weg kommt.
Außerdem habe ich Carlos' Sohn an der Backe und obendrein muss ich Garcia noch erledigen, bevor der Bastard sich aus dem Staub macht.

Widerwillig wähle ich seine Nummer.

"Jimenez?", ertönt seine mir bekannte raue Stimme.

"Ich bin es. Miguel.", gebe ich mich zuerkennen.
Dann ist es ruhig in der Leitung.

"Mein Sohn, wie kommt es, dass du mich anrufst?"
Ich höre die Erleichterung in seiner Stimme. Er scheint sich zu freuen, dass ich mich mal wieder melde.

"Ich brauche deine Hilfe. Kannst du nach Culiacán kommen?", frage ich ihn zögernd aber bestimmt.
Er soll bloß nicht denken, dass ich hilflos bin.

"Aber natürlich. Ich werde meine Sachen packen und den nächsten Flug nach Culiacán nehmen. Ich schreibe dir, wenn ich weiß, wann ich lande. Holst du mich ab?", fragt er mich und ich höre im Hintergrund, wie er beginnt seine Sachen zu packen.

"Ich bleibe im Krankenhaus, aber ich werde dir jemanden schicken.", kläre ich ihn auf.

"Im Krankenhaus? Geht es dir gut, mein Sohn?", fragt er hastig.
Es hört sich an, als würde er sich tatsächlich Sorgen machen.

"Ja. Mir geht es gut und Pedro auch. Ich erkläre dir alles später.", verabschiede ich mich von ihm und lege auf, als er sich ebenfalls abmeldet.
Ich lasse das Handy in meine Hosentasche fallen und setze mich wieder an den Tisch, um etliche Mails zu bearbeiten und welche zu schreiben.
Dante muss mir unbedingt sagen, wo sich Eduardo gerade aufhält.
Dass sie das Grab ihrer Mutter geschändet haben ist eine Sache, aber sie jetzt erschießen zu wollen, geht definitiv zu weit.
Ich hätte die Warnung mit dem Grab ernster nehmen sollen, aber ich habe gedacht, es sei ein dummer Jungenstreich.

"Was ist passiert?"
Mein Bruder steht gehetzt im Türrahmen. Schweißperlen haben sich auf seiner Stirn gebildet und sein Atem geht schnell.
Sprachlos geht er auf Amara's Bett zu und schaut sie einen Moment an. Dann klopft er mir auf die Schulter.

"Xavier hat mir Bescheid gegeben. Da bin ich sofort gekommen.", erklärt er mir, warum er so gestresst ist.

"Sie wurde heute Nacht auf dem Balkon angeschossen. Die Kugel hat ihren Hals getroffen. Sie hat viel Blut verloren, wird aber wohl wieder gesund.", informiere ich ihn über den Stand der Dinge.

Er nickt gedankenverloren.
"Hast du eine Ahnung, wer das war?"

"Ich habe Carlos' getötet. Daraufhin hat sich sein Sohn bei mir gemeldet und herausgefunden, dass ich es war. Dann hat er das Grab ihrer Mutter geschändet. Ich habe es nicht Ernst genommen, dachte es sei ein dummer Streich. Gestern Abend haben wir uns gestritten. Ich habe ihr gedroht, ihren Vater umbringen zu lassen, wenn sie nicht auf mich hört. Daraufhin hat sie das Zimmer verlassen und in dem anderen geschlafen. Ich konnte nicht schlafen, daher bin ich zu ihr rüber. Sie ist aufgestanden, wir standen mitten im Raum. Dann ist sie, weil ich nicht gehen wollte, raus auf den Balkon. Es hat nicht lange gedauert, sie stand nicht mal eine Minute auf dem Balkon, da fiel der Schuss. Sie ging sofort zu Boden.", erkläre ich ihm leise den Ablauf.

Kraftlos stütze ich mich auf dem Rand des Bettes ab und senke den Kopf.

"Es ist meine Schuld."

"Nein. Da hat jemand auf sie gewartet. Das konntest du nicht wissen.", verteidigt er mich.

"Wenn ich ihr nicht gedroht hätte, dann wäre sie gar nicht rüber gegangen."

Er seufzt und setzt sich auf den freien Stuhl.
Ich hingegen laufe im Zimmer auf und ab, warte, bis Amara endlich aufwacht und mein Vater mir schreibt, wann er in Culiacán landen wird.

"Vater ist auf dem Weg hier her.", gestehe ich.
Pedro sieht mich überrascht an, kommentiert das ganze jedoch nicht.

"Kannst du ihn vom Flughafen abholen und ihn dann hier hin bringen?", frage ich meinen Bruder, während ich meinen Stuhl vor das Bett ziehe und nach Amara's Hand greife.

Er nickt.
"Wann kommt er an?"

"Er meinte, dass er den nächsten Flug nimmt und wollte mir schreiben, wenn er die Uhrzeit hat. Könntest du im Gästezimmer nach der Kugel suchen? Sie müsste irgendwo in der Hauswand stecken."

Er fährt sich durchs Gesicht, stimmt dann aber zu.

Mi amorМесто, где живут истории. Откройте их для себя