Kapitel 57

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Amara
04:28 Uhr

"Komm her.", hallt Miguels kratzige Stimme durch das große Zimmer.
Ich wälze mich seit gefühlten Stunden im Bett herum, weil ich einfach nicht schlafen kann. Ständig muss ich an Mama und Jasper denken. An die Zeit, bevor ich diesen blöden Zettel gefunden habe.

"Nein.", lehne ich nuschelnd ab und ziehe die Decke noch enger um meinen Körper.

Ich höre Miguel seufzen, kurz darauf zieht mich sein trainierter Arm an seinen Oberkörper.

"Woran denkst du?", fragt er leise und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich liege auf der rechten Seite, mein Kopf ruht auf seiner Brust. Sein linker Arm umschlingt bestimmend meine Taille.

Vorsichtig malt er kleine Kreise auf meiner Hüfte und hinterlässt dort eine Gänsehaut.

"An nichts. Ich kann nur nicht schlafen, das ist alles.", murmle ich beschämt und schließe endlich die Augen.

"Bullshit. Du lügst mich an.", stellt Miguel mit verschlafender Stimme fest.
Mittlerweile liegt seine große Hand gefährlich tief an meinem Rücken.

"Ich frage mich nur, wie mein Leben wäre, wenn ich diesen Bauplan damals nicht mitgenommen hätte.", gebe ich letztendlich doch nach und will gar keine Antwort von ihm bekommen.

"Langweilig.", schmunzelt er in die Dunkelheit hinein.

"Miguel!", verdrehe ich die Augen und schnaube kurz.
Langweilig. Sicherlich nicht.
Ich hätte eben ein ganz normales Leben, wie andere Leute aus meiner Gegend eben auch.
Ganz einfach.

"Bereust du, dass du dich in mich verliebt hat?", fragt er mich ehrlich.
Kurz nachdem er seine Frage gestellt hat, beginnt mein Puls zu rasen.

"Ich- Ich habe mich nicht in dich verliebt.", nuschel ich gerade so laut, dass er es noch verstehen kann.
Ich spüre, wie sich seine Muskeln anspannen und der Griff um meine Hüfte fester wird.

"Du hast doch gesagt, dass du mich liebst."
Seine Stimme klingt kalt und distanziert.

"Ich- ich war überfordert.", lüge ich ihn an.

"Überfordert?!", zischt er leise und drückt mich von seinem Brustkorb.
Schnell drücke ich mich hoch und will was sagen, da ist er schon aufgestanden und hat nach seinem Anzug und dem weißen Hemd gegriffen.

"Miguel!", will ich ihn aufhalten, doch er verschwindet im Bad, nur um nach kurzer Zeit angezogen aus dem Bad zu kommen. Er greift sich die Waffe, die in seiner Nachttischschublade liegt und geht zur Tür.

"Ich bin arbeiten.", gibt er mir Bescheid.

"Miguel!", rufe ich ihm hinterher, doch er antwortet nicht. Ich werfe einen Blick auf den Wecker.
4.30 Uhr.

Was hat er denn jetzt?

Ich lasse mich zurück in die Kissen fallen und atme tief durch. In 3 Tagen ist mein Staatsexamen, ein Kartell ist hinter mir her und Miguel ist zickig. Kann denn gar nichts mal nach Plan laufen?

08:35 Uhr

"Señora?"
Ich höre eine weibliche Stimme gedämpft durch die Tür, dann folgt ein leises Klopfen.

"Ja?", runzle ich die Stirn und richte mich auf.

"Ich soll Ihnen Bescheid geben, dass Sie ihren Koffer packen sollen. In 5 Stunden geht der Flug nach Los Angeles.", lächelt mich eine kleine, dickere Frau mit grauen, krausen Haaren an.
Irritiert nicke ich, dann verlässt sie das Zimmer.

Warum sagt er mir nicht persönlich Bescheid?

Ich lasse meinen Blick durchs Zimmer schweife und stelle fest, dass Sachen aus seinem Schrank fehlen.
Hat er seinen Koffer etwa schon gepackt? Warum hat er mir nicht Bescheid gegeben?

Ich schlage die Decke weg und gehe über den kühlen Steinboden zum Schrank. Eine große Reisetasche aus braunem, matten Leder steht in der Ecke. Ich beginne meine Sachen aus dem Schrank zu holen und sie in die Tasche zu stopfen. Dann gehe ich ins Bad um eine Dusche zu nehmen.

Hat er heute so viel zu tun, dass er mir nicht persönlich Bescheid geben kann?
Vielleicht ist ihm ja auch was dazwischen gekommen?

Ich greife nach seinem Shampoo und schäume mir die Haare ein. Sein Duft umhüllt mich sofort und ich atme ihn tief ein.

Ich muss unbedingt damit aufhören.

Ich muss an mich selber denken.

Die Zeit mit Miguel und mir ist vorbei.

Wirklich vorbei.

Ich muss mir mein eigenes Leben aufbauen und unabhängig von ihm sein. Wenn ich mein Staatsexamen in der Hand halte, werde ich nicht weiter bei ihm arbeiten. Wenn die Sache mit Eduardo geklärt ist, bin ich auch nicht mehr in Gefahr.

Dann kann ich alleine auf mich aufpassen. Dann muss ich alleine auf mich aufpassen.

Schnell wasche ich das Shampoo aus meinen Haare, stelle die Dusche aus und trockne mich ab. Dann ziehe ich mir schnell was bequemes an und werfe die restlichen Sachen in die braune Ledertasche, die immer noch in der Ecke neben dem Schrank steht.

Seine Sachen liegen schon in der Tasche, er muss also heute morgen nochmal hier gewesen sein.

Kurz überlege ich, ob ich auf den Balkon gehen soll, verwerfe den Gedanken jedoch schnell, als ich mein Spiegelbild in der großen Fensterscheibe sehe und mein Blick auf das Pflaster fällt.

Ich werfe mir einen großen Hoodie über, dann gehe ich nach unten um mir was zu essen zu nehmen.
Ich habe gestern Abend nichts mehr gegessen, da ich so aufgeregt und irritiert war, dass wir Jasper wirklich gefunden haben.

Mi amorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt