Kapitel 60

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Amara
14:36 Uhr

Wir sitzen schweigend im Flugzeug.

Seit über 2 Stunden starre ich aus dem Fenster auf die Wolken, die vorbeiziehen.

"Du bist doch aufgeregt.", schmunzelt Miguel und stellt die Tasse Kaffee ab. Ich spüre seinen warmen Blick auf mir, wie er mich beobachtet und dann meinen Körper scannt.

"Bin ich nicht.", verteidige ich mich.

Er lächelt.

"Ich sag nicht, dass es wegen deinem Staatsexamen ist.", zuckt er mit den Schulter und hält mir einen Teller mit verschiedenen Keksen vor die Nase.

Ich lehne ab, dann schaue ich mich im Flugzeug um. Das dunkle Holz glänzt edel, die cremefarbenen Sitze heben sich von dem Rest der Inneneinrichtung ab. Miguel passt mit seinem maßgeschneiderten Anzug perfekt hier rein.

Ich irgendwie so gar nicht.

"Dios, jetzt zweifel bitte nicht wieder an dir."
Miguel verdreht die Augen und nimmt ein Schluck Wasser aus meinem Glas.

"Tue ich ja gar nicht.", murmle ich irritiert.
Woher weiß er das jetzt schon wieder?
Ich bemerke nicht einmal, dass er mich beobachtet, woher weiß er das also jetzt schon wieder?

"Tust du wohl.", grinst er und steht kurz auf um sich das Jackett auszuziehen. Sein Hemd schmiegt sich wie immer an seinen trainierten Oberkörper und verdeutlich mir noch einmal wie kräftig er ist.

Er hätte meinen Bruder ganz ohne Waffe fertig machen können, wenn er gewollt hätte. Das schlechte ist, dass er genau weiß wie gut er aussieht. Daher auch das große Ego.

Aber würde man ohne großes Ego in dieser Branche überhaupt so weit kommen?

Wahrscheinlich nicht.

"Ich dachte, ich hätte dich soweit, dass du selbstbewusster bist.", zuckt er mit den Schultern. Irritiert schaue ich ihn an.
War das also so eine Art Challenge für ihn?

"Du hast es nicht nötig an dir zu zweifeln. Sieh dich an. Und soll ich dir noch was sagen? Du hast zudem auch noch Charakter.", beantwortet er sich die Frage selbst.

Mein Gesicht wird rot, weil er mich mustert und auch dann seinen Blick nicht abwendet, als er einen weiteren Schluck von meinem Wasser nimmt. Ich starre zurück, weil ich überrascht bin. Heute morgen war er abweisend, jetzt macht er mir Komplimente.

"Ich geh mich umziehen.", erklärt er mir und erhebt sich.
Sein klarer Blick liegt auf mir. Ich streiche meine feuchten Handflächen an meiner Hose ab und ignoriere seinen Blick.

"Kommst du mit?", fragt er mich und stützt sich an der Sitzlehne ab.

"Miguel, wir sind getrennt.", räuspere ich mich und schaue mich schnell um, ob jemand von den Angestellten seine Worte gehört hat. Es muss wirklich keiner mitbekommen, dass er mich auf diese Art nach Sex fragt.

"Und? Wenn ich dich vögeln will, dann sag ich das auch. Ich habe nur gefragt, ob du mitkommen willst."

"Wir wissen beiden, was für einen Hintergedanken du hast."
Ich verschränke die Arme vor meinem Oberkörper und starre gerade aus auf den leeren Sitzplatz.

Im Augenwinkel sehe ich sein ertapptes Grinsen. Dann geht er lachend auf die Toilette.

"Ich denk an dich.", flötet er, während er durch sein Flugzeug läuft.

Errötet schaue ich nach draußen, weil ich das Gefühl habe, als hätten es jetzt alle Mitarbeiter gehört.

Und vor allem genau verstanden, was er meint.

Ich rutsche tiefer in den Sitz, als ich Tucson am Boden sehe. Sofort kommen mir die Erinnerung hoch.
Wie Pedro erzählt hat, dass Miguel meine Mutter umbringen lassen hat. Wie ich kurz davor war ihn zu erschießen. Und, wie ich ihm das viel zu schnell verziehen hab.
Zum ersten Mal habe ich gesehen, dass ihn etwas nicht kalt gelassen hat.

Ich werde nie vergessen, wie fertig er aussah, als er morgens aus dem Hotel gekommen ist. Er hatte zum ersten Mal in der Öffentlichkeit keinen Anzug an.

Keine 2 Minuten später kommt Miguel mit einem sauberen, weißen Hemd zurück. Kurz zwinkert er mir zu, dann setzt er sich elegant auf den Sitz.

"Wir sind in 40 Minuten da.", informiert er mich und packt seinen Laptop aus.

"Ich muss noch arbeiten, schlaf du noch ein bisschen."

Ich nicke geistesabwesend, dann schließe ich die Augen. Hier oben ist alles so leicht. Die Wolken lassen mich wie in einem anderen Universum fühlen. Ich fühle mich frei, frei von den Problemen und den Gedanken, ob ich hier das Richtige tue.

Ich habe noch gar nicht richtig realisiert, dass mein Bruder wieder aufgetaucht ist und vor allem nicht, dass er mich erschießen wollte. Meine ganze Situation ist viel zu verkorkst, als das man da noch durchblicken könnte.

Mi amorHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin