Kapitel 5

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Miguel
23.10 Uhr

Amara sitzt auf der großen Couch im Wohnzimmer und spielt am Handy, als ich aus dem Büro komme.
"Willst du dich duschen?", frage ich und gehe auf die Couch zu. 

Sie schaut kurz nickend zu mir und drückt sich dann vom Sofa hoch.

Als sie an mir vorbei gehen will, halte ich ihre Hand fest und ziehe sie zurück zu mir.
"Du hast mir noch einiges zu erklären, dass ist dir hoffentlich klar."

Mit strengem Blick schaue ich sie an, weshalb sie meinem Blick ausweicht.
"Können wir das morgen klären?", bittet sie mich erschöpft und fährt sich mit der linken Hand über die müden Augen.

Ich antworte nicht auf ihre Bitte, lasse sie jedoch los und signalisiere ihr damit, dass sie gehen kann.
Mit schnellen Schritten verlässt sie das große Wohnzimmer, während ich ihr nachschaue, weil ich meine Augen nicht von ihr nehmen kann.
Dann gehe ich in die Küche und schmiere ihr ein Brot.

Wie in Trance schaue ich dem Wasser im Kochtopf zu, bis es anfängt zu kochen, und lasse meine Gedanken kreisen.

Ob sie noch immer etwas an mir findet?
Sie ist definitiv erwachsener geworden und das macht sie nochmal attraktiver, als sie ohnehin schon ist.
Die Brille, die kurzen Haare, ihre schlanke Figur.

Perfekt.

Ich nehme den Topf vom Herd und mache ihr mit dem heißen Wasser einen Tee fertig.
Dann gehe ich mit den Sachen nach oben.

Sie trägt das Shirt und die Hose, die ich ihr aufs Bett gelegt hatte, und steht auf dem Balkon.
Ihre Haare sind noch nass und wehen sachte in der Meeresbrise.

"Hier, Abendessen.", stelle ich ihr den Teller mit Brot und Obst auf den kleinen Holztisch auf meinem Balkon. 

Den Tee nimmt sie mir aus der Hand.
"Danke.", flüstert sie und pustet vorsichtig gegen die heiße Flüssigkeit.

Ich lasse mich auf dem Lounge-Sessel nieder und beobachte sie.

"Warst du schonmal hier am Meer?", fragt sie mich, nachdem sie einen ersten Schluck getrunken hat und starrt in die Dunkelheit.

Ich schüttel den Kopf.
"Keine Zeit.", verneine ich.

"Wie lange bist du denn schon wieder hier?", runzelt sie die Stirn und stellt die Tasse auf dem Tisch ab.
Ich halte ihr den Teller hin, von dem sie sich ein paar Trauben nimmt.

"Eine Woche.", antworte ich knapp, während ich den Teller zurück auf den Tisch stelle.
Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust.

"Und was hast du in der Zeit gemacht?"
Sie legt den Kopf leicht schief und schiebt sich eine Traube in den Mund.

"Geschäfte.", erkläre ich ihr kurz ab, weil es sie nichts angeht.

Sie verdreht ihre Augen.

"Bitte?", fordere ich sie auf mir zu sagen, was das soll.

"Nichts.", nuschelt sie lediglich und scheint meine Warnung zu verstehen.

"Hoffe ich.", schaue ich sie warnend an.
Sie blickt mir ebenfalls stur in die Augen und macht diesmal keine Anstalten den Blick abzuwenden.

"Was ist?", provoziere ich sie absichtlich, um meine Grenzen zu testen. 

Sie kneift leicht die Augen zusammen und entlockt mir ein Schmunzeln.
Bevor ich mir eine Weintraube nehmen kann, kommt sie mir zuvor und nimmt die letzten beiden schnell vom Teller.

"Forderst du mich gerade heraus?", ziehe ich fragend die Augenbrauen hoch.

"Einen Scheiß tue ich!", zischt sie fluchend und will an mir vorbei ins Zimmer, doch ich halte sie auf, indem ich ihr den Weg versperre.

"Seit wann fluchen wir denn?"
Ich dränge sie zurück, bis sie fast mit dem Rücken gegen das Geländer stößt. 

Verärgert schaut sie mich an.

"Hm?", hake ich nach, weil sie nicht antwortet, sondern mich nur anschaut.

"Hör auf damit.", wendet sie schließlich ihren Blick ab.

"Womit?", verstehe ich nicht ganz und kann es nicht lassen, ihr eine Strähne hinters Ohr zu streichen.
Sie zieht den Kopf nach links und greift nach meiner Hand, um sie wegzudrücken.

"Damit. Mich zu ärgern, mich anzumachen. Mit allem einfach.", motzt sie leise, als hätte sie Angst, dass sie jemand hören könnte.

Ich gluckse.
"Bild dir bloß nichts ein.", gebe ich ihrem Selbstbewusstsein einen Dämpfer.
"Iss das auf und dann geh schlafen. Morgen um 8 Uhr bereden wir alles Weitere.", verabschiede ich mich von ihr und lasse sie auf dem Balkon stehen.

Als würde ich sie anmachen.
Mit Sicherheit nicht.
Klar ist sie heiß.

Definitiv.

Aber ich hab es nicht nötig sie anzumachen.
Wirklich nicht.

Ich schnaube und gehe über den Flur ins Erdgeschoss, um noch weiter zu arbeiten. Mir fehlen 4 Stunden, weil ich nach Los Angeles fahren musste, um sie einzusammeln, weil ich sie ausquetschen musste, weil ich ihre Wunden säubern musste und weil ich ihr Essen machen musste.

Dinge, die ich normalerweise nie tun würde und vor allem auch gar nicht tun muss.

Genervt öffne ich die Tür meines Büros und lasse mich hinter dem Schreibtisch nieder.

"Boss?", klopft Xavier keine 2 Minuten später an meine Tür.

"Was ist?", will ich verwirrt wissen.

"Dante hat angerufen. Carlos ist auf dem Weg nach Amerika. Sie suchen Amara.", teilt er mir mit. 

Ich winke ihn ins Büro, damit er die Tür schließen kann.
"Setzt er einen Fuß auf mein Anwesen, dann ist er ein toter Mann.", zische ich.

"Wissen sie, das Amara hier ist?", schiebe ich fragend hinterher und zünde mir eine Zigarette an.

"Ich weiß es nicht, das konnte mir Dante nicht sagen. Wenn euch niemand gesehen hat, dann wohl kaum.", zuckt er planlos mit den Schultern.

Ich balle meine rechte Hand zur Faust.

"Scheiße!", fluche ich und stehe auf.
"Setz jemanden auf ihn an! Ich will wissen mit wem er hier her kommt und wann er sich wo aufhält.", gebe ich Xavier den Auftrag diesen Dreckskerl Carlos beschatten zu lassen.

"Wird gemacht.", nickt er.

"Am besten sofort.", setze ich ihn unter Druck.

"Alles klar.", versteht er und verlässt mit großen Schritten zielstrebig mein Büro.

"Ich bringe dich um, Carlos.", brumme ich vor mich hin und starre aus dem Fenster in den Garten.
Ich habe noch nicht verstanden, warum er wegen einem vermeidlich einfachen Mädchen extra nach Amerika kommen will.
Anscheinend ist sie ihm mehr wert, als ich dachte.
Ich war mir sicher, dass ich es nur mit einigen von seinen blöden Handlanger zu tun kriege, doch dass jetzt der Chef persönlich aus Guadalajara hier her kommt, passt mir so gar nicht.


Mi amorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt