Kapitel 6

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Miguel
4:35 Uhr

Es ist halb fünf in der Früh, als ich hoch gehe, um mich für ein paar Stunden auszuruhen.
Kurz werfe ich einen Blick in mein Schlafzimmer. Dass Amara wieder in meinem Bett liegt, gibt mir endlich Ruhe.
Sie liegt mit dem Rücken zur Tür, die weiße Decke liegt über ihren Beinen und endet an ihrer Taille.

Ich gehe ins Zimmer und setze mich leise auf den Sessel vor dem Bett, um sie beobachten zu können. Etwas, was ich früher fast immer getan habe.
Der Gedanke, dass Carlos auf dem Weg hier hin ist und meiner Kleinen etwas antun will, lässt mich wütend werden.

Wäre sie bloß vorher zu mir gekommen, dann wäre es nicht so weit gekommen.
Aber das werde ich klären können. Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas passiert.

Ich werde mein Leben dafür ge-

"Ahhh.", kreischt sie und drückt sich hastig vom Bett ab. 

"Tranquilo. Solo soy yo.", gebe ich ihr zu verstehen, dass nur ich es bin, der hier sitzt.

"¡Dios Miguel!", flucht sie und versucht sich zu beruhigen. Ihrer schwerer Atmen hallt durch mein Schlafzimmer. 

"Habe ich dich geweckt?", frage ich sie ehrlich und stehe vom Sessel auf, um mich auf den Rand des weichen Bettes zu setzen.
Mittlerweile lehnt sie mit dem Rücken an der Rückenlehne des Bettes und fährt sich durch die Haare.

"Nein, ich bin einfach so wach geworden."
Ihr Atem geht noch immer schnell, doch sie beruhigt sich langsam wieder.

"Wo schläfst du?", fragt sie mich, als ich nicht antworte.

Ich nicke mit dem Kinn in Richtung Flur.
"Nebenan."

Sie nickt langsam.

"Leg dich wieder hin und versuch' weiter zu schlafen. Wir sehen uns morgen.", will ich das Zimmer verlassen, doch sie sagt einen Satz, der mich aufhält.

"Werde ich sterben müssen?"
In ihrer Stimme schwingt Angst mit. 

Ich bleibe am Türrahmen stehen und senke den Kopf, um mein Spiegelbild auf meinen Lackschuhen zu betrachten.

"No se." antworte ich ihr wahrheitsgemäß, dass ich es nicht weiß, und verlasse dann den Raum. Ich höre ihr leises Schluchzen, versuche es jedoch zu ignorieren.
Was hätte ich ihr anderes sagen sollen?
Sie wollte nicht mehr, dass ich sie anlüge, also tue ich es auch nicht mehr.


06.52 Uhr

Fertig angezogen gehe ich die Treppen runter und sehe Amara am langen Esstisch sitzen. Frischer Kaffee und Obst stehen auf dem Tisch, doch Amara scheint noch nichts gegessen zu haben.

"Willst du nicht essen?", spreche ich sie an. 

Sie zuckt leicht zusammen und dreht sich zu mir um.
Langsam gehe ich auf sie zu und muss feststellen, dass ihre Augen geschwollen sind.

"Nein, habe keinen Hunger.", beantwortet sie mir meine Frage.

"Warum bist du schon wach? Es ist 7 Uhr.", übergehe ich ihre Antwort und setze mich neben sie an den Tisch.
Ihr Blick fällt zuerst auf meinen Oberkörper, dann wendet sie ihren Blick ab und schaut aus den großen Fenstern in den Garten.

Sie zuckt als Antwort nur mit den Schultern.

Ich seufze.
"Amara. Das was ich heute Nacht gesagt habe, das weiß ich doch gar nicht. Ich weiß, dass Carlos auf dem Weg hier hin ist. Mehr nicht." spreche ich das Thema an, von welchem ich ausgehe, dass es das Problem ist.

Sie schaut mir nicht ins Gesicht, stattdessen knetet sie unwohl ihre Hände.

"Komm mal mit.", bitte ich sie und stehe auf. 

Als sie sich nicht bewegt, greife ich ihr zugegebenermaßen zu unsanft an den Arm und ziehe sie mit in mein Büro.
Ich habe wirklich keine Lust auf diese Rumgezicke, wenn uns die Zeit davon rennt.

Ich drücke sie auf Sessel vor meinen Schreibtisch und gehe um meinen Schreibtisch herum. Ich schalte den Laptop ein, um zu schauen, ob es neue Informationen zu Carlos gibt oder ob Dante mir etwas geschrieben hat.

"Kennst du Carlos Hernandez?", beginne ich erneut.

Sie nickt.

"Woher bitte?", werde ich wütend und stütze mich auf den Tisch.
Erschöpft fährt sie sich durchs Gesicht.

"Sag mir sofort, was du mit jemandem wie Carlos zu tun hast!", haue ich auf die Glasplatte unter meinen Händen. Ich weiß nicht mal, warum mich diese Tatsache so wütend macht. Eigentlich kannte ich ihre Antwort ja bereits. Sonst hätte ich sie ja nicht wieder zu mir geholt.

"Er hat mich von der Uni abgeholt und meinte er müsste mit mir reden. Er hat irgendwie herausgefunden, dass ich bei dir gewohnt habe. Er war es. Er wollte die Informationen über dich.", erzählt sie mir.

"Woher soll er das wissen? Ich meine, das mit uns.", zeige ich zwischen uns her und ziehe die Augenbrauen zusammen. 

Wie so oft zuckt Sie ahnungslos mit den Schultern.
"Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste."

Ich senke den Kopf und schließe die Augen.
"Ich habe ihm damals gesagt, dass ich dich entsorgt hätte. Damit er aufhört nach dir zu suchen. Du weißt schon, wegen dem Bauplan damals.", erzähle ich ihr.

Sie beginnt stumm zu weinen.

"Du kannst mir wirklich nicht sagen, woher er weiß, dass wir damals Kontakt hatten?", hake ich sicherheitshalber erneut nach.

"Dios, nein. Er stand einfach vor der Uni, ich kenne ihn ja nicht mal richtig.", fährt sie sich kraftlos übers Gesicht.

"Ich habe Xavier auf ihn angesetzt, er wird mir mitteilen, wann und mit wem dieser Mistkerl hier auftaucht. Geh jetzt, ich hab zu tun.", erkläre ich ihr und schicke sie weg. Ohne noch etwas zu erwidern, steht sie vom Stuhl auf und verlässt mein Büro.

Ich atme tief durch.
Was macht dieses Mädchen nur?

Genervt checke ich meine Nachrichten auf dem Handy und öffne gleichzeitig mein Postfach. Ich habe sowieso schon unfassbar viel zu tun, da kann ich Carlos jetzt wirklich nicht gebrauchen.

Mit einem Glas Whiskey in der Hand stelle ich mich an die Glasscheibe und schaue in den Garten. Amara sitzt auf dem Rasen und reißt einige Grashalme aus dem Boden.

"Amara.", rufe ich durch die geöffnete Tür.
Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung.

"Mach meinen Rasen nicht kaputt."

Sie schaut mich an und dreht dann genervt ihren Kopf weg.
Ich beobachte, wie sie nicht auf mich hört und einfach weiter an den Grashalmen zupft.
Welchen Teil von "Mach meinen Rasen nicht kaputt" hat sie bitte nicht verstanden?
Ich stelle mein mittlerweile leeres Glas auf dem Schreibtisch ab und gehe aus der Tür, über die Terrasse, zu ihr.

"Steh mal auf.", fordere ich sie auf.
Sie hört auf den Rasen zu zupfen und stellt sich vor mich hin.
Dann lege ich meine Hand zwischen ihre Schulterblätter, schiebe sie vor mich her in den hinteren Teil des Gartens.

Ich öffne ein kleinen Schuppen.
"Der Gärtner musste letzte Woche das Zeitliche segnen. Wenn du verstehst was ich meine.", beginne ich.
Ihr Blick zeigt Verwirrung und Unverständnis.

"Er hat geplaudert, da musste ich ihn bei Seite räumen.", fahre ich fort.

"Wie dem auch sei. Da du anscheinend Lust hast den Rasen zu mähen, nimm dir doch dahinten bitte den Rasenmäher. Dann geht das auch schneller.", zeige ich auf das rote Teil hinten in der Ecke das Gartenhauses.
"Und wenn du schon dabei bist, kannst du auch den Olivenbaum ernten."

Skeptisch sieht sie mich an.
"Aber zieh dir vorher Schuhe an. Habe keine Lust auf Stress, wenn du dir den Fuß mit dem Rasenmäher abtrennst."

Dann drehe ich mich um und lasse sie alleine vor dem Gartenhaus stehen.
"Und mach schnell. Es soll heute Mittag regnen.", werfe ich hinterher, ehe ich mir eine Zigarette anzünde und zurück in mein Büro gehe.
Bis Carlos hier ist, habe ich mit Sicherheit noch eine Menge Zeit den restlichen Papierkram zu erledigen.

Mi amorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt