Kapitel 10

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Miguel
20:10 Uhr

Wir sitzen schon fast 20 Minuten im Auto und ich habe mindestens 3 Mal versucht ein Gespräch mit ihr aufzubauen, doch sie blockt immer wieder ab. Entweder antwortet sie gar nicht erst oder sie gibt kurze Antworten, die mir klar machen sollen, dass sie auf keine Fall mit mir reden will.

Das Problem ist, dass ich es ihr nicht mal verübeln kann.
Ich hab sie nicht ausreden lassen, wollte ihr nicht zu hören.
Ich habe ihr verdammt wehgetan, als ich sie gegen die Wand gedrückt, ihren Hals zugedrückt und ihr meine schwere Waffe fest gegen den Kiefer gepresst habe.

Nicht zu vergessen ihr harter Aufprall auf den kalten Fliesen, der höllisch wehgetan haben muss.
Ich sollte mich entschuldigen und das werde ich auch.
Aber nicht jetzt.
Der Zeitpunkt ist nicht der richtige.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ihre Knie aussehen, die zur Zeit von einer dicken Jogginghose verdeckt sind.
Immer wieder spielt sich die Szene vor meinen Augen ab.
Wie ich die schwere Tür öffne und dieses leichte, zierliche Mädchen kraftvoll auf den Boden schmeiße.

Ihr Schluchzen, als sie die blutenden Knie sieht.

Ihr Versuch, das Blut aufzuhalten.

Und ich, der sie einfach blutend im Flur zurücklässt, weil er sich nicht unter Kontrolle hat.
Weil er ihr nicht zu hören wollte.

Weil er kurz davor war sie umzubringen.

Ich blicke zu ihr rüber und sehe, wie sie die Augen geschlossen hat.
Ihr Atem geht gleichmäßig und ich bin froh, dass sie etwas Ruhe gefunden hat. Vorhin auf dem Sofa habe ich ihr bereits angesehen, dass sie erschöpft war.

Zum zweiten Mal schäme ich mich.
Vor mir selber.
Vor ihr.
Ich habe sie die 4 Jahre absichtlich in Ruhe gelassen, weil ich wollte, dass sie ihre Schule beendet und etwas Vernünftiges lernt.
Ich wollte ihr klar machen, dass sie unabhängig von mir ein eigenes Leben haben muss.
Auch wenn das bedeutet hat, dass sie andere Männer kennenlernt.

Und auch wenn sie dachte, dass ich meilenweit von ihr entfernt bin, war ich immer da.
Habe aufgepasst und ihre neuen Freunde überprüfen lassen.
Besonders diesen Kerl, der sie immer zum Essen eingela-

"Wo sind wir?", reißt mich ihre kratzige Stimme aus den Gedanken. 

"Vor Los Angeles, sind gleich da.", antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
"10 min noch.", werfe ich hinterher, nachdem ich auf die Uhr geschaut habe.

Sie lehnt sich zurück in den Sitz und verschränkt die Arme.
"Ich schreibe in 4 Wochen mein Staatsexamen. Dann muss ich also wieder in Los Angeles sein.", informiert sie mich.

Ich nicke.
"Kriegen wir hin."

Ich verlasse die Autobahn und fahre zwischen den hohen Wolkenkratzer her, bis wir vor ihrer Wohnung ankommen.

"Was tust du?", will sie wissen, als ich ebenfalls aussteige und ihr zur Haustür folge.

"Du gehst da nicht alleine rein, wenn dich eines der mächtigsten Kartelle sucht.", stelle ich klar und nehme ihr den Schlüssel aus der Hand, um die Tür aufzuschließen.

"Ich kann das sel-"

Sie stoppt mitten im Satz.
Und auch ich muss zweimal hingucken.

Ihre Wohnung ist komplett verwüstet.
"Scheiße!", flucht sie und humpelt so schnell es geht ins Wohnzimmer.

Ich atme tief ein und aus.
"Pack deine Tasche und dann verschwinden wir. Ich rufe Xavier an.", teile ich ihr mit und mache eine auffordernde Handbewegung.

Ich krame mein Handy aus der Anzughose und wähle Xaviers Nummer.

"Alles in Ordnung?", begrüßt er mich skeptisch am Telefon. 

"Hier wurde eingebrochen. Schick bitte 2 Leute, die sich das hier ansehen, ein weiterer soll die Wohnung beobachten. Vielleicht kommen die Täter ja wieder.", erkläre ich ihm.

"Alles klar, Boss. Ich kümmere mich.", bestätigt er mir und legt auf. 

Ich gehe zu Amara ins Zimmer und helfe ihr.
"Hast du alles?", will ich wissen, als sie die Tasche schließt.

Sie nickt.
"Ich habe meinen Laptop mitgenommen, damit ich lernen kann."

"Gut. Gib mir die Tasche.", halte ich ihr meine Hand hin, damit sie mir das schwarze Teil übergibt.

"Ich kann das.", lehnt sie meine Hilfe ab, doch ich greife trotzdem nach dem Gurt und lege ihn mir über die Schulter.

"Weiß ich doch, lass mich dir trotzdem helfen.", erwidere ich Ernst gemeint und will sie stützen, doch sie schiebt meinen Arm, der um ihre Taille liegt, weg und geht voraus.

"Kannst du keine Polizei rufen?", fragt sie mich, während ich ihre Tasche in den Kofferraum stelle. 

Ich schüttle den Kopf.
"Nein, das waren mit Sicherheit Carlos Leute. Die Polizei würde alles nur noch schlimmer machen.", erkläre ich ihr den Grund und schließe den Kofferraum.

"Steig ein.", fordere ich sie auf und halte ihr die Beifahrertür auf.
Sie zögert kurz, vermutlich, weil sie noch etwas erwidern will, entscheidet sich dennoch dazu die Klappe zu halten und nimmt auf dem weichen Leder Platz.

Ich schließe die Tür und schaue mich noch kurz um. Es ist ruhig in der Straße, ein paar Vögel zwitschern und auf dem Bürgersteig auf der anderen Seite läuft ein kleiner Mann her.

Nichts Auffälliges.

Als ich mich neben ihr ins Auto setze, tippt sie auf ihrem Handy herum.

Adam.

"Mit wem schreibst du?", frage ich sie, obwohl ich es bereits gesehen hat.

"Kennst du nicht."

"Dieser Adam ist nicht gut für dich.", beginne ich und starte den Wagen. 

"Ach ja? Aber du bist es?", zieht sie ihre Augenbrauen hoch und schaut mich fassungslos an. Ich umgreife das Lenkrad fester, weil mich die Wahrheit verletzt. Natürlich bin ich nicht gut für sie und natürlich hätte sie jemanden wie Adam verdient. 

Aber ich will das nicht zu lassen, weil ich zu egoistisch bin. 

Ich gebe nicht auf, ich will es versuchen. Ich will versuche für sie ein Mann zu werden, der sie verdient hat. Und ich will für sie ein Mann werden, der gut für sie ist.

"Das hab ich nie gesagt, aber ich kann dir wenigstens was bieten.", erwidere ich ruhig. 

Sie lacht ironisch auf und verpasst mir seit unserem Aufeinandertreffen einen zweiten Stich in der Brust.

"Was kannst du mir denn bieten? Deine Waffe? Eine Kugel zwischen meinen Augen? Gewalt? Oder vielleicht doch Respektlosigkeit?", provoziert sie mich.

"Hör auf.", will ich sie zum Schweigen bringen, da ich es nicht hören will. Ich kann und will es nicht hören.

"Dann sag mir nicht, was gut für mich ist und was nicht!", beendet sie wütend das Gespräch und widmet sich wieder ihrem Handy.

Mi amorUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum