Kapitel 68

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Amara
17:43 Uhr

"Ich muss heute Abend was Geschäftliches erledigen. Du bleibst solange im Hotelzimmer.", bestimmt er und hält mir nebenbei die Autotür auf, weil wir vor dem Hotel angekommen sind.

"Warum kann ich nicht mitkommen?", runzle ich die Stirn und steige aus dem Wagen.

Miguel schlägt stumm die Tür zu und scheint zu hoffen, dass ich das Thema ruhen lasse, aber da hat er getäuscht.

"Miguel-"

"Weil ich das sage. Du weißt nicht um welche Leute es da geht, das ist viel zu gefährlich für dich.", unterbricht er mich und geht zügig auf den großen Eingang des Hotels zu.

Ich habe große Mühe Anschluss zu halten, weil er es wirklich eilig hat und riesige Schritte macht.

"Irgendwann muss ich aber dabei sein.", versuche ich ihn umzustimmen.

"Ich bestimme ob und wann du dabei sein wirst, hörst du?", spricht er verständnislos und drückt mich in den Aufzug.

Als ich nichts mehr antworte, seufzt er.
"Mi Amor, hör bitte auf mich und diskutiere nicht mit mir. Ich weiß, was gut für dich ist, comprende?"

Er hat seine Hand an mein Kinn gelegt und haucht mir einen Kuss auf die Schläfe.

"Du treibst mich in den Wahnsinn, wenn du immer mit mir diskutierst.", flüstert er gegen meinen Scheitel und lässt mich dann los, als die Aufzugtüren aufspringen.
Zwei Asiaten in teuren, maßgeschneiderten Anzügen betreten den Aufzug aus Marmor und dunklem Holz.

Sie nicken Miguel kurz zu, doch dieser stört sich gar nicht an den Fahrgästen. Wahrscheinlich will er einfach nur wieder auf Hotelzimmer und für sein Geschäftstreffen alles vorbereiten.

"Wo trefft ihr euch denn?", flüstere ich leise, doch Miguel lässt mich mit einer Handbewegung verstummen.

Er möchte nicht, dass wir das Thema vor den Asiaten besprechen, das ist mir klar.

Wenn ich eins in den vergangenen Wochen gelernt habe, dann ist es ruhig zu sein, wenn Miguel es verlangt. Meistens hat es tatsächlich einen Sinn. Und wenn ich wieder frei reden darf, dann spricht er mich auch immer darauf an und kommt auf das Gespräch zurück, das wir nicht zu Ende führen konnten.

Man braucht einfach nur Geduld.

Wir verlassen vor den Asiaten den Aufzug und laufen stumm zu der Suite, die Miguel gemietet hat. Hier oben auf dem Flur habe ich noch nie jemanden gesehen oder gehört. Wahrscheinlich haben wir die ganze Etage für uns alleine.

"Wir treffen uns in einem Club in der Stadt.", beantwortet Miguel meine Frage, nachdem er die Tür zu unsere Suite hinter sich geschlossen hat.

"In was für einem Club?", hake ich nach.
Wenn er sich in einem seiner Bordelle mit seinen Geschäftspartner trifft, dann kann er das Treffen vergessen.

Ich werde schweigen, wenn es sein muss, aber ich sehe nicht zu, wie sich Nutten an ihn heran machen, während ich in einem Hotelzimmer hocke.

"Kennst du nicht, mach dir keine Sorgen.", murmelt er und legt seine teure Rolex auf das Sideboard neben dem großen Fernseher.

"Ist doch egal, ob ich es kenne.", lasse ich nicht locker.

"Was willst du machen, wenn du weißt, wo ich bin? Mir hinterher spionieren?", lacht er spöttisch und knöpft sein weißes Hemd auf, was er sich keine 10 Sekunden später von den Schultern streift.
Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, verschwindet er ins Badezimmer. Dann höre ich das Prasseln des Wasser aus der Dusche, das auf das Mosaik am Boden trifft.

Ich atme tief durch und versuche meine Tränen runterzuschlucken. Jahrelang habe ich auf diesen Moment gewartet. Auf den Moment, an dem ich mein Staatsexamen hinter mir habe und machen kann, was ich will.
Ich dachte wir gehen heute Abend zu zweit was essen und eine Kleinigkeit trinken.

Ich dachte ernsthaft, dass er mich vielleicht ausführt.

Oder er eine Überraschung für mich hat.

Stattdessen will er, dass ich den Mund halte und alleine in diesem Zimmer bleibe, während er vermutlich das beste Sushi der Stadt isst und sich mit seinen Geschäftspartnern einen Whiskey nach dem anderen kippt und nackten Frauen zu sieht, wie sie sich an einer dünnen Metallstange räkeln.

Vermutlich testet er auch noch das neue Koks von seinen Dealern und kommt dann völlig high zurück.

Ich halte mir eine Hand vor den Mund, um einen tiefen Schluchzer zu unterdrücken. Meine Augen fühlen sich dick an und ich spüre den Druck in meinem Kopf, der sich bildet, weile ich meine Tränen unterdrücke.

Wie in Trance gehe ich zu seinem Handy, das auf dem Sideboard liegt, und entsperre es. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es keine gute Idee ist, aber mein Kopf und mein Herz sagen mir das komplette Gegenteil.
Diese Ungewissheit macht mich kaputt.
Sie zerfrisst mich.

Ich öffne seine Nachrichten und sofort springt mir eine unbekannte Nummer ins Auge. Mit zitternden Händen drücke ich auf den Chat und lese mir die letzte Nachricht durch.

19:30 Uhr im Platinum, Getränke und Nutten auf meinen Nacken.

Mit geschlossenen Augen sperre ich sein Handy und lege es zurück auf das Sideboard. Stumm laufen mir die Tränen über die Wangen.
Vermutlich ist er deshalb so abweisend, weil er weiß, dass er heute Abend eine heißere, hübschere und kurvigere Frau bekommt.

Ich schlendere zum Balkon und greife nach seiner Kippenschachtel, die noch auf dem kleinen Holztisch liegt.
Ich habe schon länger nicht mehr geraucht, um genau zu sein seitdem Miguel mich damals bei der Arbeit abgefangen hat.
Mit immer noch zitternden Händen stecke ich das tödliche Ding zwischen meine Lippen und zünde es an.

Der giftige Rauch füllt meine Lunge und sorgt dafür, dass ich ein paar Mal husten muss, bevor ich mich wieder an das typische Kratzen gewöhne.

Mi amorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt