2 • Ash

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Die Promenade ist menschenleer. Kein Wunder - die Nacht hat sich bereits über das Land gelegt, als ich frustriert den Hafen aufsuche. Einzig das Lachen von Menschen aus der mit bunten Lampions verzierten Gaststätte zeigt, dass Leben existiert.

Ich wende mich von den Stimmen ab und betrachte das Meer. Stürmisch peitschen die Wellen gegen die zerbrechlichen Boote und bringen sie zum Schaukeln.

Meistens brauche ich die Ruhe des Meeres, um meine Sinne zu entspannen, doch heute kommt mir das tobende Wasser genau recht - ich habe versagt. Auf ganzer Linie.

Die junge Magierin ist unauffindbar. Das ist das Einzige, was Lucius, und zugegebenermaßen auch mich, nach einem misslungenen Auftrag für gewöhnlich interessieren wird. Welche Strafe wird wohl dieses Mal auf mich warten? Welches Instrument will er an mir ausprobieren? Oder wählt er ein wenig Johanniskraut, um mir sowohl äußerlich als auch innerlich Schmerzen zuzufügen?

Normalerweise hätte ich mir darüber nun den Kopf zerbrochen. Dieses Mal ist jedoch alles andere als normal. Es kommt nicht oft vor, dass ich einem Magier auf der Spur bin und diese dann komplett verliere, aber es ist das erste Mal, dass jemand mit seinen Worten die Welt verstummen lässt. Mit seinem Blick den Trubel anhält. Meine Sinne beruhigt anstatt sie zu strapazieren. Da war nur ihr Herzschlag und der meine, nichts Weiteres. Keine Geräusche oder Gerüche, die ich eigentlich nicht wahrnehmen dürfte, aber trotzdem realisiere.

Es war das Letzte, was ich jemals erwartete in einer gemütlichen Buchhandlung aufzufinden - ein scheinbar so normales Mädchen, das doch komplett anders ist als alle anderen Menschen.

Ich weiß nicht, wie sie es angestellt hat. Diese Ruhe habe ich noch nie vernommen. Am liebsten würde ich das nie wieder missen, doch es ist unmöglich. Sie ist ein Mensch. Sie weiß nicht, wie es wahrhaftig in der Welt der Magie abläuft und das ist besser so - mehr oder weniger. Also habe ich dem Laden den Rücken gekehrt, obwohl meine Sinne protestierten.

"Na guck ma', da will 'ner baden gehn."
Aus der Gaststätte torkeln zwei Männer, einer stützt sich am anderen ab.

Ich höre, wie einer die Nase hochzieht, dann abgehakt gackert und verziehe angewidert das Gesicht. Immerhin weht der Wind vom Meer aus und treibt jeglichen Geruch nach Alkohol und Schweiß von mir weg.

Hin und wieder ist es ganz nützlich mehr wahrzunehmen als andere. Meistens ist es ein Nachteil. Es gibt Dinge, die will keiner sehen, hören, riechen, schmecken oder gar spüren. Zumal die Kleinigkeiten hier und dort verdichtet eine Masse an Reizen bilden, die nicht so einfach zu ertragen ist.

"Sachen gibt's!" Sie grölen wieder. "Und des bei dem Sturm! He, Junge!"
Sein Ruf würde in dem Tosen des Meeres gnadenlos untergehen, also wende ich mich ab, als hätte ich es nicht gehört.
"Guck, vernünftiges Kerlchen."
Ich beschleunige, doch nicht schnell genug, um von ihrem Gekicher verschont zu bleiben.

Erst als ich um eine Hausecke biege und das spärliche Licht der Laternen entlang der Promenade dem Schatten der Häuser weicht, kann ich sie nicht mehr hören.

Es wäre an der Zeit einfach zurückkehren, die Strafe über mich ergehen zu lassen und zu warten, bis ich auf eine neue Spur komme. Den Gedanken verwerfe ich schleunigst, als mir der Geruch frischen Blutes in die Nase zieht. Dann lausche ich und vernehme einen rasenden Herzschlag.

Bedacht nähere ich mich der Person. Ich habe nicht vor, einen Menschen zu erschrecken oder ihm gar Angst einzujagen. Meist führt die alleinige Präsenz eines Magiers des Königs dazu, dass die Menschen einem mit Ehrfurcht und Respekt begegnen, manche jedoch haben Angst vor der Macht, die wir ausstrahlen können.

Natürlich - wir sind anders, können gefährlich werden - wäre da nicht die Regierung, die einen geschickten Weg gefunden hat, um uns zu ihren Sklaven zu machen und unsere Energie zu zähmen.

Der Geruch des Blutes und das Pochen des Herzens zeigen mir den Weg. Ich bewege mich im Schatten der Häuser, biege um eine Ecke und verharre.

Da sitzt sie, die Magierin.

Auf dem Rand des Brunnens und tröpfelt ein wenig Wasser auf eine Wunde am Oberschenkel. Sie hebt den Kopf, blickt sich suchend um und fährt zügig fort. Ich sehe, wie sie sich auf die Unterlippe beißt, um ein Wimmern zu unterdrücken und hätte beinahe Mitleid mit ihr bekommen. Beinahe. Sie ist nicht so unschuldig wie sie aussieht. Zudem ist sie nicht so verletzlich wie sie wirkt.

"Das sieht schlimm aus."
Ihr Kopf schießt in die Höhe. Hektisch irrt ihr Blick nach links und rechts, doch kann mich in der Schwärze der Nacht nicht auffinden. Also trete ich auf den vom Mond fahl ausgeleuchteten Marktplatz.
"Monroe."

Sie rutscht vom Rand des Brunnens als sich ihre Augen wissend weiten.
"Ich sehe, mein Ruf eilt mir voraus."

"Nicht, dass das ein Kompliment wäre", meint sie und hebt die Hand. "Aber ich muss dich enttäuschen. Ich bringe dir nichts mehr."

Bevor sie ausweichen kann, habe ich sie am Hals gepackt und auf den Boden gedrückt. Das Dutzend an Schritten der Distanz zwischen uns hat sich binnen eines Augenblickes in Luft aufgelöst.

Ich weiß, sie könnte mich nun mit Leichtigkeit mit ihrer Magie treffen. Sie weiß jedoch, dass ihr die Chancen auf Flucht soeben entglitten sind. Ein Duell an Kräften hat hier keinen Sinn. Sie ist geschwächt, erschöpft, geradezu ausgelaugt. Das wirkt sich auf ihre Magie aus.

"Mir musst du rein gar nichts bringen."
Das Mädchen schüttelt eilig den Kopf. "Auch ihnen nicht. Ich habe keine Magie mehr."

"Wie hast du dann vergangene Nacht den Bettler in Brand gesetzt?", entgegne ich.
"Da hatte ich sie noch."

Ich übe ein wenig Druck auf ihren zerbrechlichen Hals aus. Panisch winden sich ihre Finger um meine, versuchen den Griff zu lösen. "Das ist unmöglich."
Sie röchelt. "In einer Welt voller Magie ist nichts unmöglich."

Meine Augen starren in ihre, versuchen die Lüge darin zu erkennen. Magie ist seit der Geburt ein Teil von uns. Sie zu vernichten, wäre als würde man einem Menschen das Blut entziehen - der sichere Tod.

Dennoch funkeln mich ihre Augen unverhohlen an. Mit meiner freien Hand ziehe ich den Flakon hervor, den ich für den Notfall immer bei mir trage. Nur dass der Notfall üblicherweise darauf abzielt, dass ich einen Magier qualvoll schwächen muss. "Beweise es."
Ihr Blick schnellt zu dem Inhalt. "Ist das...?"
"Johanniskraut."

Sie verzieht die Lippen zu einem schmalen Strich, weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn es in unseren Körper gelangt. Dann nickt sie vorsichtig. "Okay."
Langsam löse ich meine Hand von ihr, um ihr Platz zu geben, sich aufsetzen zu können.
"Wenn ich das bestehe, lässt du mich gehen?"
"Es gäbe keinen Grund mehr, dich nicht gehen zu lassen."

Zaghaft greift sie nach dem Glas, zieht den Korken ab und setzt es an. Einen Moment lang zögert sie. Ich kann förmlich sehen, wie sie sich für die Schmerzen wappnet. Dann schließt sie die Augen und kippt die Flüssigkeit in einem Zug hinunter.

Ich warte darauf, dass sie sich vor Schmerzen windet, schreit, zusammenkrümmt. Ich warte vergebens. Ungläubig öffnet sie die Augen und blickt zwischen dem leeren Fläschchen und mir hin und her.
"Es hat funktioniert", bringt sie erleichtert über die Lippen. Ein freudiges Kichern folgt ihren Worten. "Es hat wirklich funktioniert!"

Wortlos versuche ich zu verstehen, was ich gerade beobachtet habe, was sie mir erzählt hat. Magie kann entfernt werden. "Wie?", bringe ich völlig überrumpelt hervor. Zu mehr ist das Chaos in meinem Kopf gerade nicht fähig.

"Seien wir ehrlich, du würdest deine Magie niemals aufgeben." Sie springt auf die Beine, als wäre die Verletzung ebenfalls Geschichte. Als sie beiläufig nach ihrem Oberschenkel greift, weiß ich, dass dem nicht so ist. "Aber eines kann ich dir sagen - sie ist nicht vernichtet. Sie ist in besseren Händen."

InhumanityWhere stories live. Discover now