21 • Talia

212 38 14
                                    

Kalian hat mich in ein anderes Zimmer gebracht, mich souverän durch das Labyrinth aus Gängen und Räumen geführt, derweil ich jegliche Orientierung aufgegeben habe.

Nach der zweiten Treppe hoch, nachdem wir mehrere hinunter gegangen waren, habe ich aufgehört, mir den Weg einprägen zu wollen. Wozu auch? Will Lucius etwas von mir, wird er Kalian schicken. Dieser steht ihm blind zur Seite, würde sich auf Befehl des Beraters sicherlich sein eigenes Leben nehmen. Wo ist sein Wille nach Selbstbestimmung? Sein Drang nach Freiheit? Haben sie ihm diesen genommen, ihn unter den Schmerzen des Johanniskrauts begraben? Werden sie das bei mir auch erreichen?

Der Gedanke bringt mich zum Schaudern. Meine Finger tasten über die Daunendecke des Bettes, das zugegebenermaßen bequemer aussieht, als das, welches mich seit Kindheitstagen in Meral erwartet. Dennoch würde ich alles dafür geben, heute Abend wieder in meinem Bett liegen zu dürfen, Luan im Raum nebenan zu wissen.

Gegenüber des Bettes wurde ein Tisch aufgestellt, über ihm thront ein mit silbernen Ornamenten verzierter Spiegel.
Ich trete näher heran, schiebe den Stuhl zur Seite und erschrecke, als ich mich selbst sehe. Meine blonden Haare sind stumpf, unter meinen Augen ruhen dunkle Ringe und die Wangenknochen treten deutlicher hervor denn je. Kalian hatte mir zugesichert, dass es bald Essen gibt, bevor er die Türe hinter sich verriegelte. Es scheint fast so, als wären Tage seit meiner letzten Mahlzeit vergangen. Der Hunger macht sich bemerkbar.

Meine Finger zittern, als ich sie zum Saum des Kleides führe. Will ich es wirklich sehen? Das Zeichen des Königs auf meinem Körper? Das Brandmal, das bis in alle Ewigkeit grässliche Momente wachrufen wird? Ich wüsste gerne, wo ich in diesem Moment die Stärke finde, um ihn ertragbar zu machen. Würde Luan sie finden? Bin ich einfach nur zu blind?

Ich schiebe das Kleid über die Schulter, entblöße gerötete Haut. Über dem Schlüsselbein winden sich die feinen Umrisse eines Löwen, klein und doch so majestätisch. Klein und doch groß genug, sodass ein Jedermann zweifelsohne sofort weiß, was ich bin. Wem ich gehöre. Als wäre ich etwas, das Besitz darstellt, ihnen Macht verleiht. Ein Objekt, das man mit seinem Zeichen markieren kann. Tragen alle dienenden Magier den Löwen auf sich? Wurde Ash auch gebrandmarkt? Oder ist dies meine persönliche Strafe für das, was ich Lucius angetan habe? Eine Narbe für eine Narbe?

Die Schmerzen haben nachgelassen, vielleicht habe ich mich aber auch nur daran gewöhnt. Dennoch lege ich behutsam meinen Finger auf das Zeichen, fahre zögernd die Linien nach. Eine prächtige Mähne, ein starker Körper. Sonelem hat schon immer Wert auf Macht und Größe gelegt - was könnte es besser symbolisieren als das anmutige Tier? Was jedoch hat es auf mir zu suchen?
Es muss weg. Hat keinen Platz auf meiner Haut verdient. Lucius wird für immer eine silberne Narbe tragen, ich auch. Keine Heilung dieser Welt kann alle Spuren vernichten.

Ergänz' doch bitte, dass ihre Magie an ihr wirkt, wenn sie von dir zwischengespeichert wird.
Kalian würde niemals meine Magie aufnehmen, es sei denn, Lucius würde es ausdrücklich anordnen. Dennoch gebe ich nicht einfach auf. Der Löwe muss durch eine andere Narbe überzeichnet werden. Auch wenn das Feuer durch mich selbst nicht wirksam war, so kann es nicht schaden, es nochmals zu probieren. Suchend blicke ich mich in dem Zimmer um. Das Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein vergittertes Fenster, nicht mehr. Kurzerhand ziehe ich den Stuhl heran, drehe ihn auf die Seite und trete auf einen Fuß ein. Er knackst, splittert unter der Sitzfläche auseinander. Noch ein Tritt, dann gibt er ganz nach.

Das Feuer in mir hervorzurufen, ist kein Problem. Statt die Gleichgültigkeit meiner Mutter in meinen Gedanken Revue passieren zu lassen, reicht mir die Vorstellung von Lucius' Gesicht, schon lodert der Fuß des Stuhles in meiner Hand lichterloh. Meine Finger darum bleiben verschont, werden in der Hitze gebadet, doch nicht verbrannt. Ein Fluch und Segen zugleich.
Ich setze das Holz an, spüre, wie die Hitze das Brandmal streift. Dann drücke ich zu, presse das Feuer mittig auf den Löwen. Schmerzen? Neue Spuren auf mir? Nichts. Das Feuer wandert über meine Haut, hinterlässt nichts weiter als seine wohlige Wärme.
Verdammt.

Frustriert entziehe ich dem Holz wieder meine Magie, schleudere es in die nächstbeste Ecke. Der Spiegel wirft mir meine Befürchtung entgegen.
Das kann doch einfach nicht wahr sein!
Der Löwe prangt auf meiner Haut, unverkennbar, unverändert. Tränen treten mir in die Augen, als mir bewusst wird, was dies bedeutet. Ich werde das Zeichen für immer dort tragen. Auf ewig in den Dienst verdonnert sein. Selbst wenn ich mein altes Leben zurückhaben sollte, die Magie aus meinem Körper vertrieben habe, wird der Löwe mich jeden Tag im Spiegel an diese Skrupellosigkeit erinnern, mir beinahe vorwurfsvoll vorwerfen Du bist selbst kein Stück besser.

Schritte nähern sich dem Zimmer, verharren vor der Türe. Ich blinzele die Tränen weg, zupfe das Kleid so weit über meine Schulter, dass der Löwe vollständig verdeckt wird. Eilig kicke ich das Holz unter das Bett und richte den Stuhl wieder auf. Die Genugtuung, ihnen zu zeigen, wie sehr ich das Zeichen verabscheue, werde ich ihnen nicht unter die Nase reiben.

Kalian öffnet die Tür, drückt sie mit seinem Bein auf.
"Du müsstest Hunger haben."
Das ist eine Untertreibung. Mein Magen hat vor Ewigkeiten gegen die Leere rebelliert. Ich mutiere bald zu einer Kannibalin, wenn ich nichts zu essen bekomme. Er stellt das nur spärlich gefüllte Tablett auf der Fensterbank ab, zögert.
"Hier riecht es komisch. Beinahe ... nach Feuer?"
Ach wirklich?

"Verbrannte Haut", zische ich, erwidere seinen forschenden Blick. Sicherlich werde ich ihm nicht offenbaren, dass die Ursache des Geruches nur knapp neben seiner Schuhspitze im Schatten des Bettes liegt. Teilnahmslos deutet er auf das Essen, als wäre es völlig normal, jemanden zu markieren. Vielleicht ist es das hier auch - ich habe anscheinend noch viel über das Leben innerhalb des Palastes zu lernen.
"Iss. Du brauchst es. Lucius hat viel mit dir vor."
Beruhigende Worte.

Kalian schließt die Tür erneut hinter sich ab, lässt mich mit dem Essen alleine. Kann ich dieses überhaupt leichtgläubig verspeisen oder wird mein Vertrauen bestraft?
Der Hunger besiegt meine Skepsis. Gierig stürze ich mich auf das Essen, breche die Brotscheibe entzwei. Es schmeckt fade, ist bereits hart, doch immerhin nicht voller Johanniskraut. Wie verhungert schlinge ich das Essen in mich hinein, kann nicht genug davon bekommen.

Mein Blick fällt auf die hügeligen Wiesen, die den Palast in ihrem saftigen Grün umgeben. In der Ferne zeichnen sich die Häuser einer größeren Stadt ab, sicherlich Sonelis. So hatte ich mir nicht vorgestellt, die Hauptstadt zu sehen, gefangen in den Wänden des Palastes. Zugegeben, ich hatte niemals geplant das Leben in Sonelis erfahren zu dürfen. Mein zu Hause ist weitaus nördlicher. Wie viel würde ich dafür geben, um zu wissen, ob Luan gerade wartend am Esstisch sitzt, seit Tagen von Sorgen geplagt wird. Immerhin wüsste ich, dass er in Sicherheit ist, nicht längst Ash zum Opfer gefallen ist.

Ich weiß es nicht, kann nur hoffen, kann mich nicht mal eben an einen anderen Ort bringen. Also sitze ich hier, starre die Glasscheibe an, derweil ich mir Luans Worte in Erinnerung rufe.
Neues bereitet einem Angst. Die Stärke darin zu erkennen, kann jeden neuen Moment zu einem schönen machen.

Ich bezweifle, dass ich mir mein Tun hier ein wenig schöner gestalten kann. Aber ich kann die Stärke darin suchen, damit angefangen, mehr über Luan und Kaya in Erfahrung zu bringen.

InhumanityWhere stories live. Discover now