66 • Talia

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Meine Finger legen sich auf seinen Oberarm, spüren die Spannung seiner Muskeln und das Beben seines Körpers. Wie in Trance wendet Ash den Kopf, schenkt mir das Lächeln, in das ich mich so hemmungslos verliebt habe, dabei ist ihm ganz und gar nicht danach zumute. Aber er braucht Halt, Beistand, und wenn es nur eine zaghafte Berührung ist.

Ich würde gerne behaupten, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat, doch ich kann nicht. Denn egal ob Will oder Kaya, ein richtig kann es hier nicht geben. Ein Freund, der ihm zur Seite steht wie ein Bruder, oder eine Schwester, die ihm die letzten Jahre so viel Leid brachte und dennoch nichts davon ihretwillen verursachte.

"Was...aber..."
Wills offener Mund ist Ausdruck der Empörung, Zeichen der Erkenntnis. Mit dem Handrücken wischt sich Ash eine Träne weg, die sich aus seinem Augenwinkel stiehlt, und zieht das Schwert aus der Leiche zwischen unseren Füßen. Dann fixiert er Lucius. Keiner muss Emotionen spüren oder Gedanken lesen können, um die herausstechenden Adern an seinem Unterarm deuten zu können.

"Noch immer in der Position zu verhandeln?" Spott belegt seine Stimme, doch ich weiß, dass er damit den Schmerz in sich vertuscht. Beiläufig richtet er die mit Blut überzogene Klinge des Schwertes in die letzte Flamme, bewegt sie kein Stück und zeigt mir, dass es weniger beiläufig, sondern vielmehr geplant ist.

"Wenn du mich tötest, wirst du dein Leben lang dafür zahlen müssen. Ihr alle drei." Lucius lässt seinen Zeigefinger hinweisend von Ash über Will bis zu mir kreisen. "Die anderen Berater werden sich dafür rächen."
"Die anderen Berater werden deinen Tod zelebrieren", enttarne ich seine Lüge, erinnere mich an das belauschte Gespräch zwischen zwei seiner Kollegen, die ihm nicht wohlgesinnt waren. "Du wirst von jedem gehasst: Magier, genauso wie Mensch."

"Zumal die Zeiten des Dienstes vorbei sind", ergänzt Ash, dreht die Klinge in aller Ruhe um die eigene Achse. Er genießt, dass er am Zug ist. Dass sich Lucius bewusst wird, wo der Tod lauert. 

"Ich warne dich, Ashton Monroe." Lucius rückt einen Schritt vor ihm zurück und näher an den Todeskreis. Ich öffne den Mund, um Ash vor der Fluchtmöglichkeit zu warnen, doch dieser ist sich dessen bewusst.
"Der Kreis ist keine Rettung, Lucius." Er schüttelt amüsiert den Kopf. "Du weißt nur zu gut, dass ich einen langen Atem habe, wenn es um meine Rache geht."

Lucius verzieht das Gesicht. "Lass uns darüber reden, Ash. Ich werde für euch ein gutes Wort einlegen. Ich kann euch-"
"Du kannst jetzt erst einmal auf deine Knie gehen", unterbricht Ash ihn, taxiert ihn mit seinem Blick zu Boden. "Zwing mich besser nicht dazu, dir helfen zu müssen."

Für einen Bruchteil eines Moments schnellen Lucius' Augen hilfesuchend zu mir, als erhoffe er sich, dass ich Ash aufhalte. Eisern verziehe ich keine Miene.
"Wag es nicht, sie anzuschauen. Keiner zeigt Gnade mit dir", presst Ash wutentbrannt hervor.

Widerwillig knallen Lucius' Kniescheiben auf den Stein, seine polierten Schuhe kratzen über den Boden. Trotzig erwidert er Ashs Blick, will sich seiner Würde nicht berauben lassen. "Soll ich noch deine Schuhe küssen?"

"Damit sie voller Schmutz sind?" Ash tritt so nah, dass er ihn mit der freien Hand an der Kehle packen kann. Ehe ich blinzeln kann, überstreckt er seinen Hals und presst ihm die schmale Seite der glühenden Klinge darauf. Ich kenne die Schmerzensschreie, die Lucius' Mund entrinnen und von den Wänden widerhallen. Genauso wie ich das Zischen der Haut kenne, als Ash seine Rache hineingraviert. "Das hier wollte ich schon viel zu lange tun."

Will stößt mir den Ellenbogen in die Seite, doch mir ist bereits bewusst, dass das für mich ist. Dass Ash gerade sein Initial in der Haut des Beraters verankert, weil er weiß, wie sehr ich mit dem Löwen auf mir hadere. "Ich würde gerne sagen, dass du dich nun jeden Tag daran erinnern wirst, mit wem du dich angelegt hast, aber für dich wird es kein morgen geben."

InhumanityWhere stories live. Discover now