22 • Talia

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"Du solltest dich ausruhen, Talia. Morgen-"
Kalian spricht nicht weiter. Er beugt sich zu dem Tablett, hält plötzlich mitten in der Bewegung inne und ich weiß, er hat den fehlenden Stuhl bemerkt. Er will mir ausweichen, da ramme ich ihm bereits den Pflock in den Rücken. Das Fleisch schmatzt, Blut tränkt sein Oberteil. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, die Augen geschlossen, so angewidert bin ich von meiner eigenen Brutalität. Er schreit auf, stützt sich am Tisch ab, windet sich.

Meine Hände zittern, fassungslos darüber, was ich gerade angerichtet habe. Die Magie in mir brodelt augenblicklich auf, will es ungeschehen machen. Hektisch zwinge ich mich einen Schritt zurück, als Kalian nach Luft ringt, versucht das mittlerweile mehr rote als braune Holzstück ergreifen zu können.

"Es tut mir leid", hauche ich, entreiße ihm den Schlüssel. Geschockt über mich selbst renne ich los, verschließe die Tür, lasse Kalian kurzzeitig außer Gefecht gesetzt in dem Zimmer zurück. Was hatten sie denn auch erwartet? Dass ich darauf warte, bis Lucius mich wieder braucht? Zweifelsohne hätte ich mich auch mit meiner Magie aus dem Zimmer befreien, die Tür abfackeln oder das Fenster schmelzen können. Beides wäre aber sicherlich nicht lange unentdeckt geblieben.

Ich verstaue den Schlüssel im Schuh, hauptsache aus der Hand, auch wenn er bei jedem Schritt in meinen Fuß drückt. Dann laufe ich weiter, weiß nicht, wie lange mir bleibt oder gar, wie ich zu dem Raum voller Lumien finden soll. Orientierungslos passiere ich zahlreiche identisch aussehende Türen, alle in dem gleichen Mahagoniholz wie die meine. Sind das etwa alles Zimmer von Magiern, die sie hier eingesperrt haben? An jeder Ecke verharre ich kurz, lausche und spähe vorsichtig auf das, was vor mir liegt. Bis zur ersten Treppe begegnet mir keine Seele. Am Podest angekommen, ändert sich dies jedoch schlagartig.

Aus dem Stockwerk darunter vernehme ich intensives Treiben, Schritte, die sich mir zügig nähern. Eilig fahre ich herum, suche nach einer Zuflucht. Die Tür links - bloß nicht. Bei meinem Glück könnte Lucius persönlich dahinter stecken. Ausweglos eile ich die Treppe hoch, warte außer Sichtweite am Ende des Geländers darauf, dass die Stimmen der Stille weichen, hoffentlich nicht noch eine Etage weiter wollen. Die beiden Männer stoppen auf dem Podest, lassen sich ausgiebig über Lucius aus, derweil mir das Blut in den Ohren rauscht. Ich ducke mich, wage einen Blick um die Ecke, sehe zwei Haarschöpfe.

"Das überlassen wir Lucius, oder?", schlägt der Kleinere vor.
"Gute Idee. Vielleicht merkt er dann einmal, dass wir mehr zusammenarbeiten sollten." Schadenfreude ziert das Lachen der Beiden. "Hast du schon gehört, was er aufgetrieben hat?"
Ein energisches Kopfschütteln, nicht mehr.
"Die Heilerin."
Was er aufgetrieben hat. Was, nicht wen. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Wann haben die Menschen aufgehört uns als Lebewesen zu betrachten?

"Hervorragend." Die Ironie in der Stimme des kleineren Beraters wird bis zu mir getragen. "Demnächst küsst ihm der König wirklich noch die Füße."
"So weit lasse ich es nicht kommen. Vorher mache ich ihm einen Strich durch die Rechnung."

Der Kleine öffnet den Mund, versucht die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Neugierig beuge ich mich nach vorne, damit mir kein Laut entgeht. "Du solltest die Finger von ihr lassen. Sie ist nicht nur für Lucius wichtig, sondern für jeden von uns."
Ach du Heilige. Er plant mich zu töten. Wegen Lucius.
"Ich habe nicht all die Jahre dafür geopfert, dass Lucius mal eben aller Liebling wird."

Meiner ist er sicherlich nicht, aber das kann ich ihm wohl schlecht sagen.
"Du vergisst, dass er sich auch schon mehr als genug Ärger eingefangen hat. Monroe zu verlieren, war keine Glanzleistung."

Ich halte den Atem an, überrascht von der plötzlichen Wendung des Gesprächs. Es kann nur um Kaya gehen. Ash dient, es sei denn, er hat sich die letzten Tage abgesetzt, da er nun seine Rache an Simon verüben kann. Bedeutet dies also, dass Kaya lebt? Dass sie abgehauen ist, sich irgendwo vor den Beratern versteckt? Warum sollte sie dann jedoch keinen Kontakt zu Ash aufbauen? Oder zu Simon? Warum scheint es so, als wollte sie nicht gefunden werden?
"Und? Er hat noch immer Ash. Kalian. Die Heilerin. Bei seinem Glück könnte ich kotzen."
"Unsere Zeit kommt auch. Manchmal bedarf es nur ein wenig Geduld", versucht der kleinere Berater dem Groll auszuweichen.

InhumanityWhere stories live. Discover now