13 • Talia

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Blut an meiner Schläfe, in meinen Haaren, auf meinen Fingern. Mein Blut. Benommen starre ich auf das glänzende Tiefrot, da werde ich bereits vom Boden gezogen. Hände packen mich an den Haaren, drehen mich um. Meine Kopfhaut brennt. Eiskalte Finger umfassen meinen Hals. Panisch schnappe ich nach Luft, versuche seinen Druck von mir zu lösen. Vergebens. Er ist zu stark. Ich setze zu einem Schrei an. Im nächsten Moment presse ich instinktiv meine Lippen aufeinander. Glas, dann würziger Geruch.
Gift.

Seine Finger graben sich in meine Lippen, kratzen sie blutig. Ich lasse nicht locker. Ein hilfloses Wimmern entfährt mir. Meine Hände suchen nach seinen Armen, wollen ihn wegstoßen. Dann geht es viel zu schnell. Er ist weg, das Glas zerbricht klirrend auf dem Pflaster neben mir.

Ein Keuchen erfüllt die Gasse, ein Schlag folgt. Ich hebe den dröhnenden Kopf, stütze mich auf meine Unterarme. Im trüben Licht der Laterne erkenne ich, wie mein Angreifer gegen die Hauswand gedrückt wird, bis die Füße den Boden nicht mehr berühren können. Er röchelt, gluckert unverständliche Worte. Sein Gegenüber denkt jedoch nicht daran, ihn loszulassen.
"Geh zu Lucius und hol dir schon einmal deine Strafe ab."
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Nicht schon wieder.

Der dienende Magier mag mir vielleicht soeben mein Leben gerettet haben, doch das ändert nichts daran, was er ist.
Der Andere lacht unbekümmert auf. "Ich?"

Bevor ich blinzeln kann, sackt er in sich zusammen, schrumpft und entgleitet der Hand des Magiers. Binnen eines Atemzugs nimmt er eine komplett andere Form an. Dort, wo mein Angreifer war, windet sich nun eine schwarze Schlange auf dem Boden. Hektisch springe ich auf, meine Beine wackeln bedrohlich unter mir. Was passiert hier gerade?

Der Blick des Magiers zuckt kurz warnend zu mir, dann zieht er sein Schwert. Ich weiß jedoch selbst, dass mit Schlangen nicht zu spaßen ist - obwohl sie im warmen Süden heimisch sind, ist auch im Norden allbekannt, dass ihr Biss und Atem giftig sind. Der Kopf schnellt vor, will nach dem Magier fassen, doch dieser ist schneller. Seine Bewegungen verschwimmen, lassen nur unklar erkennen, wie er sich bewegt. Fassungslos blinzele ich. Der Sturz muss mir schwerer zugesetzt haben, als ich dachte.

Die Schlange zischt und rollt sich zusammen. Dann saust ihr Kopf nochmals durch die Luft. Kurz bevor sie den Magier erreicht, stößt sie ihren ätzenden Atem aus. Der weiße Rauch geht im Nebel unter, lässt sich nicht davon abgrenzen. Der Magier weicht dem aus, das Schwert schnellt durch die Luft. Kurz bevor er sie enthaupten kann, schrumpft die Schlange. Was folgt denn nun? Ein Bär, dessen Klauen pures Gift sind, oder ein Wolf, dessen Heulen zur Taubheit führt?

Ich warte nicht ab, bis sich mir die Antwort offenbart. Meine Beine bewegen sich wie von selbst, rennen, als wüssten sie, dass es gerade um Leben und Tod geht. Das Blut rauscht mir in den Ohren, mein Herz pocht wild in der Brust. Weg, einfach nur weg von hier. Die beiden Magier sind mir zwei zu viel.

Wahllos stolpere ich durch Gassen, schlängele mich blindlings zwischen Häusern hindurch und schaue nicht einmal zurück. Das Adrenalin pumpt durch meine Adern und katapultiert mich über meine Grenzen hinaus.
Ich biege um eine Ecke, blicke geradewegs auf den Hafen. Dort müssen doch noch Menschen sein. Vielleicht ein Fischer, vielleicht die Küstenwache, hoffentlich Luan. Irgendjemand, der keine Magie besitzt.

Mit aller Kraft haste ich darauf zu, erkenne schemenhaft die Umrisse der ruhenden Boote im Meer. Gerade als ich auf die Promenade stürzen will, baut sich jemand vor mir auf. Scharf bremse ich ab, atme erleichtert auf.
Hilfe. Zum Glück.

"Hast du nicht etwas vergessen?"
Oh bitte nicht.

Er schirmt das Licht ab, dennoch erkenne ich meinen Korb in seiner Hand.
"Leben erschien mir wichtiger."
Er streckt mir den Korb entgegen, doch ich greife nicht zu. Ich habe gesehen, wie schnell er sich bewegen kann. Wie schnell er auch mir schaden könnte. Der Korb wird an der Seite abgestellt, als er merkt, dass ich keinen Schritt in seine Richtung wage.

"Dabei bist du nicht vor dem Gestaltwandler geflohen, sondern vor mir." Er tritt einen Schritt näher, ich weiche zurück. Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen, so schnell pocht es. Er weiß es. "Das Mädchen war in der Buchhandlung."

Es zu verleugnen, hat keinen Sinn. Wenn er es in der Bäckerei noch nicht wusste, so weiß er es nun. Dass sich der andere Magier auf mich gestürzt hat, war kein Zufall. Dieser muss mitbekommen haben, dass ich die Magie in mir trage. Da kann es schon gereicht haben, wenn er als Vogel getarnt beobachtet hat, wie ich die Holzdielen im Wald entsorgt oder wie ich Simon an der Hütte getroffen habe. Es hätte überall sein können. Und ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, dass er mir schon längst auf den Fersen war.

"Du lieferst mich an den König aus", wispere ich, mein Atem geht stoßweise. Es gibt nur eine Möglichkeit aus dieser Situation zu entkommen. Es ist wie atmen, höre ich Simons Stimme in mir. Ich versuche die Furcht der Ungewissheit zu verdrängen, konzentriere mich auf meine Atmung. Die Angst lähmt mich jedoch, jegliches Aufbegehren meiner Magie wird sofort im Keim erstickt.

"Ich sollte dich an den König ausliefern", stimmt der Magier mir zu. "Ich werde es aber nicht machen."
Neugierig ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe, der Gedanke an das Feuer ist verworfen. "Das kommt sicherlich nicht von ungefähr."

"Du hast Recht." Er legt den Kopf schief. "Du bist einem Magier begegnet, den ich statt dir ausliefern würde. Etwa mein Alter, hellbraune Haare und an Skrupellosigkeit nicht zu übertrumpfen."
Ich zucke zurück, weiß sofort, wer vor mir steht. "Und ich dachte, das wärst schon du, Ash Monroe."

Obwohl sein Gesicht beinahe vollständig im Schatten liegt, sehe ich, wie ein Mundwinkel kurz in die Höhe zuckt. So schnell wie die amüsierte Mimik gekommen ist, so schnell wird sie wieder von Seriosität übermannt. "Urteile niemals voreilig, Talia. Man sollte immer erst beide Seiten der Geschichte kennen. Simon ist gefährlich."

"Du willst jemanden an den Dienst ausliefern und würdest es auch mit mir machen, wäre ich nicht dein Weg zu Simon - wenn das nicht skrupellos ist, was dann?"
Ashs Bewegungen verschwimmen. Im nächsten Moment steht er so nah, dass sein heißer Atem meine Haut streift. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, mein Herz pocht so laut, dass er es hören muss. Warum aber auch habe ich weder bei Simon, noch bei ihm eine Chance zu entkommen?

Er neigt den Kopf und senkt die Stimme, als befürchte er, jemand könnte sonst Zeuge seiner Worte werden. "Ich würde dich niemals ausliefern. Im Gegensatz zu ihm erkenne ich, wer diese Torturen nicht verdient hat."

Seine Worte brauchen einen Moment, bis ich sie aufgenommen habe. Mein Körper spielt verrückt, seine Nähe beschlagnahmt meine Sinne. Die Angst ist schlagartig verflogen, die Energie lodert durch meine Adern. Ich könnte ihn zweifelsohne anzünden, doch ich denke nicht einmal daran. Stattdessen versinke ich in dem Glühen seiner Augen, lasse mich treiben, in dem, was uns umfängt.

Konzentriere dich, Lia.
"Also hast du es verdient?"
Ashs Lippen formen sich zu einem Lächeln, meine Augen sind förmlich an seine gebunden. "Ich leiste meinen Teil schon einmal im Voraus ab. Bring mir Simon und ich höre damit auf."

"Ich muss dich enttäuschen", flüstere ich, wage es nicht den Blick von ihm zu nehmen. Kann den Blick nicht von ihm nehmen. "Ich hintergehe niemanden."
"Dann sollte es wohl nicht allzu schwer sein, eine Ausnahme für jemanden zu machen, der dies tut." Sein Blick tangiert meine Schläfe, meine blutende Lippe. Für einen winzigen Moment scheint er zu zögern. "Simon, morgen Abend nach Dämmerung an der Buchhandlung, oder ich hole mir Luan."

Das Blut gefriert mir in den Adern, mein Atem stockt. Auf einen Schlag sind meine Sinne befreit, die Angst zurück. Luan. Jeden, nur nicht Luan. "Du bist ein noch größeres Arschloch, als ich dachte."

Ash tritt einen Schritt zurück, in seinen Augen liegt ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann. "Ihm passiert nichts, wenn du mir Simon bringst. Du hast mein Wort."
Ohnmächtig öffne ich den Mund, doch mein Kopf ist wie leergefegt. Habe ich denn überhaupt eine Wahl? "Von jemandem, der es auf seine eigenen Leute abgesehen hat? Was ist das schon wert?"

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