57 • Ash

197 32 31
                                    

Die Mischung aus Asche, Schweiß und Blut ist der wohl widerlichste Geruch, den es geben kann. Das sich um den Tod schlagende Durcheinander ist nicht weniger widerlich. Aber eines muss man den Einwohnern Merals lassen: sie verteidigen ihr Zuhause mit allem, was sie bieten können. Und wenn es nur ein Anker ist, mit dem der Fischer einem Soldaten soeben den Kopf zertrümmert.

Dass Talia nicht mehr in meiner Nähe ist, setzt mir mehr zu als erwartet. Vermutlich habe ich wochenlang zu sehr in ihrer Ruhe gebadet, ohne darauf zu achten, meine Sinne auch weiterhin zu schulen. Nun gleicht jeder Schrei einem Messerstich direkt hinter der Stirn, jeder Atemzug schmeckt nach Tod.

Ich verdränge die Schmerzen, schwinge das Schwert, lasse meine Magie spielen. Zunächst versuchen sie mich einzeln zu überwältigen, ändern jedoch rasant ihre Taktik, kaum erkennen sie die Übermenschlichkeit hinter meiner Geschwindigkeit. Pfeile und Klingen werden in Johanniskraut getränkt, auf mich abgefeuert, doch bleiben allesamt wirkungslos. Weil mich meine Augen nicht im Stich lassen. Blut ziert den Boden unter meinen Füßen, klebt an den Schuhsohlen und macht den Schnee zu einer einzigen Rutschpartie. Neben mir stürzt ein Mann, kracht ungeschont auf das Pflaster. Ich packe ihn unter dem Arm, ziehe ihn in die Höhe, während er keuchend seine Lenden massiert.

"Du bist nicht von hier, Magier", höre ich ihn über das Blutbad hinweg sagen. Sein Blick fällt auf das Schwert. Kein Löwe, kein Hinweis auf den Dienst. "Und du dienst nicht."
"Ich bin auch aus Sonelem", erkläre ich knapp, widme mich einem weiteren Soldaten, der es auf den Mann abgesehen hat. Ein gezielter Wurf, ein aus der Brust ragender Dolch, ein leeres Augenpaar. "Das ist, was heute Nacht zählt."

"Ash!"
Ich wirbele herum, mache Luans blonden Haarschopf sofort zwischen dem Gemetzel ausfindig. Mir wird eiskalt. Wenn er hier ist, aber nicht Talia - nein, keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es wird alles in Ordnung sein. Sicherlich war er auf dem Weg hierher, bevor sie am Stadtrand angekommen ist. Sicherlich haben sie nur verschiedene Wege gewählt. "Wo ist Lia?"

"Vermillion", wirft der Mann neben mir überrascht ein, zieht ihn in eine Umarmung. "Aber du warst doch vermisst gemeldet."
"Lange Geschichte", faselt Luan daher, löst seinen Blick nicht von mir. "Wo ist sie?"

"Sie wollte zu dir", erkläre ich, reiche ihm einen Dolch, den ich einem Soldaten entwendet habe, kaum erblicke ich das Küchenmesser in seiner Hand. Genau so, wie sich Talia verteidigt hätte. "Hast du die Plakate gesehen?"
"Gerade eben."
"Geh nach ihr schauen", rate ich ihm, schaffe ihm einen Angreifer aus dem Weg.

Luan lässt sich das nicht zweimal sagen. Er verschwindet im Rauch, noch ehe ich einen weiteren Soldaten enthauptet habe. Trotz dem Willen derer, die um ihr Zuhause und ihre Familien kämpfen, sieht die Lage nicht berauschend aus. Ich darf hier nicht weg, auch wenn ich weiß, dass Talia nicht nur der Gefahr durch Payla, sondern durch ganz Meral ausgesetzt ist. Doch die Soldaten sind zahlenmäßig noch immer überlegen. Luan wird sie finden, rede ich mir immer wieder ein, während ich den Knoten in meiner Brust ausblende und meiner Magie freien Lauf lasse.

Ich weiß nicht, wie viele Minuten vergangen sind, wie viele Menschen durch mein Schwert gestorben sind, wie viel Blut ich vergossen habe, aber es dauert zu lange. Der Mann bleibt an meiner Seite, ob aus Loyalität oder Schutz kann ich nicht beurteilen, doch er hält mir den Rücken frei und ich ihm seinen. Obwohl meine Sinne geschärft sind, mir kein Schwerthieb mehr entgeht und ein Jeder sein Bestes gibt, scheint eine Ewigkeit zu vergehen, bis Paylas Männer ihre Niederlage einsehen. Fluchtartig stürmen sie zu den Booten, paddeln aus dem Hafen hinaus auf das Meer und hinterlassen nichts weiter als Leid und Schmerz.

Erschöpfung breitet sich in der Meute aus, doch die Erleichterung überwiegt. Ein Gefühl, das mich jedoch noch nicht anstecken kann.
"Vielen Dank für deine Hilfe." Der Mann schenkt mir ein anerkennendes Nicken. "Ohne dich hätte das hier noch kein Ende gefunden."

InhumanityWhere stories live. Discover now