23 • Ash

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Scharfer Minzgeruch und grelles Licht belagern meine Sinne, fressen sich qualvoll in meine Nerven. Ich versuche mich auf die Geräusche außerhalb des Raumes zu konzentrieren, vernehme zwischen dem Dröhnen in meinen Ohren bestimmte Schritte. Schwungvoll wird die Tür aufgestoßen. Kein Geringerer als Lucius persönlich steht auf der Schwelle, entlässt zufrieden die beiden Magier aus ihrer Position zurück an den Eingang des Palasts.

Er sieht aus wie immer - blühend voller Energie, wäre dort nicht die Narbe, die sich quer über seine linke Wange legt, von einer Auseinandersetzung zeugt. Nur eines gibt mir dabei zu bedenken - die Narbe ist bereits silbern, die Wunde vollständig verheilt. Eine solche Verletzung kann der menschliche Körper niemals in wenigen Tagen bewältigt haben. Hier wurde nachgeholfen und dafür fällt mir nur eine Person ein. Ich schlucke. Immerhin, sie ist hier im Palast und nirgendwo sonst untergebracht. Dies erspart Will und mir eine verzweifelte Suche, bringt uns einen Schritt näher an sie.

"Ash. Mit dir hatte ich nicht so schnell gerechnet."
Ich schließe die Augen, versuche zumindest dem Licht zu trotzen. Wenn ich mehr über Talia erfahren will, muss ich einen klaren Kopf bewahren - nur deswegen bin ich hierher gekommen. Normalerweise nehme ich mir mehr Zeit heraus, widme sie meiner Suche nach Kaya. Will und ich waren uns jedoch darüber einig, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Talia ist möglichweise in einem dieser unzähligen Räume, kämpft, leidet, gibt nach. Der Gedanke lässt mich erschaudern - wie viel Gewalt bedarf es, bis man ihren Willen bricht?

"Nachdem ich letztes Mal zu deiner Unzufriedenheit zu viel Zeit gebraucht habe, hatte ich es nun eiliger."
Lucius prüft mit seinem Blick nochmals, ob die beiden Magier die Fesseln richtig angelegt haben, dann zieht er sein Schwert aus der Scheide.
"Und du denkst, dieses Mal bin ich zufrieden? Wo ist denn die Heilerin, die du mir bringen solltest?"

"Bereits in deinen Händen, wenn ich mir das Werk auf deinem Gesicht anschaue", meine ich, habe keine Lust auf das Spiel der Täuschung. Er muss mir nichts vormachen. Ich weiß, dass sie hier ist. Weiß er jedoch auch, warum ich soeben hierher gekommen bin?

Lucius nickt, die kalte Klinge streift meinen Hals.
"Ach, mein Engelchen? Ganz schön unerbittlich, wenn du mich fragst. Eine kleine Rebellin." Er deutet auf seine Wange. Am liebsten würde ich Talia für ihr Werk loben, doch ein böser Gedanke durchzuckt mich. Lucius' Stolz würde es niemals ertragen, dass nur er Spuren davonträgt. Was zur Hölle hast du mit ihr gemacht? Die Frage brennt mir auf der Zunge, doch ich darf sie nicht aussprechen. Es würde mein Motiv hergeben, verraten, warum ich hier bin. Also bewahre ich meine gleichgültige Mimik, achte stets darauf, dass meine Züge meine Gedanken nicht offenbaren.

"Das muss ich dir aber nicht sagen. Du kennst Talia. Hast sie gehen lassen." Innerlich fluche ich. Er hat es durchschaut, weiß, dass ich seinem Ziel zum Greifen nah war. Nur, dass zum ersten Mal in meinem Dienst sein Ziel nicht das meine war. "Dafür gibt es doch sicherlich einen Grund, nicht wahr?"

Er möchte wissen, ob uns etwas verbindet. Wie viel uns verbindet. Möchte einschätzen, ob ich wirklich nur hier bin, um meine Berichterstattung abzugeben.
"Ich wollte ihr Zeit geben, von ihrer Familie Abschied zu nehmen. Sie hatte, im Gegensatz zu den meisten von uns, keine Zeit sich darauf vorzubereiten."

"Das hast nicht du zu entscheiden." Das Schwert dringt in meine Haut ein, durchtrennt sie mühelos. Ich verziehe keine Miene, zeige ihm nicht, was er sehen möchte. "Zumal sie dich ganz schön um ihren kleinen Finger gewickelt hat - sie hat keine Familie."

Er redet weiter, lässt sich über ihre erfolgreiche Manipulation meiner Zielstrebigkeit aus, doch seine Worte verschwimmen zu einem Strom an Lauten. Er weiß nicht von Luan. Wo ist also ihr Bruder hin verschwunden, wenn nicht Lucius dahinter steckt?
"...und meinen Gestaltwandler. Zum Glück hat mir mein Instinkt dazu geraten, noch einen Magier auszusenden. Auf Nummer sicherzugehen, kann nie schaden - auch wenn ich nicht dachte, dass du es bist, der mich hintergehen wird."

"Immer für Überraschungen gut", bringe ich hervor, darum bemüht mich wieder auf ihn zu konzentrieren.
"Über deinen Humor müssen wir nochmal sprechen, Ash." Er verzieht nicht einmal die Lippen und doch weiß ich, dass er sich mit aller Mühe ein Grinsen verkneifen muss. Alleinig seine Wut über meine Taten hält ihn davon ab. "Und über deine Definition von Überraschung. Leichen sind nie erfreulich."
"Er hat sich nicht sonderlich kooperativ gezeigt."
"Und deswegen musste er umgebracht werden?"

Ich studiere seine Mimik, muss mit Erschrecken feststellen, dass ihn die Leiche weniger stört als er mit seiner erbosten Stimme vortäuscht. Was ist schon ein Leben wert?
"Mein Leben gegen seines. Hättest du da nicht auch deine eigene Haut gerettet?"

Lucius bleibt direkt hinter mir stehen. Die Klinge wandert einmal vertikal über meinen Rücken. Ich presse die Lippen zusammen, verbiete mir jeglichen Ton. In der Luft breitet sich metallischer Geruch aus, der meines Blutes.
"Du hast mir einen Magier gekostet."
"Manchmal muss man Opfer bringen. Talia scheint dir sicherlich wichtiger zu sein."

"Das lässt sich nicht verleugnen. Auch wenn ich sie mir noch ein wenig zurecht formen muss." Seine dazugehörigen Methoden kann ich mir nur zu gut vorstellen. "Aber für das Erste bist du an der Reihe."
Besser so.
Die Zeit, die er für mich aufbringt, kann er ihr schon einmal nicht schaden. Dafür legt Lucius selbst viel zu gerne Hand an.
Er rammt mir das Schwert mit einem Stoß in den Rücken. Ein Schrei entfährt mir. Ich habe es gehört, bevor ich es gespürt habe, doch sitzt der Stich tiefer als gedacht.

Mit einem lauten Krachen wird die Tür aufgerissen, als Lucius bereits das Schwert aus meinem Fleisch ziehen will. Seine Hand liegt schwer auf dem Griff, reißt meine Haut weiter ein.
"Nicht jetzt", winkt Lucius gleichgültig ab.
Die beiden Magier stehen dort, Schweiß rinnt ihnen über die Stirn. "Es gibt ein Problem."
"Das kann sicherlich noch einen Moment warten."
Der jüngere der beiden will sich bereits umdrehen, - Lucius widerspricht man lieber nicht - doch der andere bleibt stur. Ein Keuchen entfährt mir, als der Berater die Klinge einmal umdreht, ein Schmatzen durch den Raum klingt. Für einen Moment glaube ich, mein Bewusstsein zu verlieren, doch ich kralle meine Finger in die Fesseln, ringe darum, das Gefühl in meinem Körper zu behalten.

"Es ist das Mädchen."
Erst als Lucius das Schwert aus meinem Rücken zieht, erhalten die Worte in mir Bedeutung. Was hast du bloß getan, Talia?
Meine Augen verfolgen Lucius auf Schritt und Tritt, auch wenn der Schmerz mir jegliche Gedanken blockiert. Lucius nickt den beiden Magiern zu, tangiert mich kurz mit einem unmissverständlichen Blick. Glück gehabt, Ash.
"Scheint so, als hätte sich unser Engelchen soeben selbst in Schwierigkeiten gebracht." Mein Blut tropft von der Klinge auf den Boden, zeichnet die Spur nach, die er geht. "Du wirst von mir hören."

Mein Atem rauscht wie ein wuchtiges Echo in mir, verschlingt die Worte in seinem Hall. Träge versuche ich zu verstehen, was sie miteinander bereden, doch ihre Stimmen gehen in dem Piepsen unter. Ich sehe nur, wie Lucius davon eilt, derweil die beiden Jungen skeptische Blicke wechseln.

Dann kommen sie auf mich zu, lassen mich unverhohlen wissen, welchen Auftrag sie bekommen haben. Hier ein Stich, dort ein Schlag, ich kann nicht zählen, so viele folgen. Blut an meinem Shirt, in meinem Mund, zu wenig in meinem Kopf. Mehrmals provozieren sie die Grenzen meines Bewusstseins, doch überschreiten diese nicht. Irgendwann ist mein Körper taub, saugt die Hiebe ein, doch lässt sie in einem Nichts davon gleiten. Keine Schmerzen mehr, nur meine allzu verworrenen Gedanken. Ich weiß dabei nicht, was schlimmer ist - nicht mehr Herr meiner selbst zu sein, oder zu wissen, dass Talia in noch größerer Gefahr steckt?

InhumanityWhere stories live. Discover now