62 • Ash

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"Licht ist ja schön und gut, aber ist es normal, dass der Palast brennt?"

Luans Skepsis wird von Simons Blick untermauert, der schwer auf mir liegt. "Ist das eine Falle?"
"Nein." Ich verenge die Augen, doch die Nacht macht mir einen Strich durch die Rechnung. Von den Rüstungen der Männer, die wie ein Fluss den Eingang fluten, kann ich nicht viel erkennen, doch ich verstehe auch so, was hier vor sich geht. Die zerstückelten Körper neben den wuchtigen Toren sind Erklärung genug. "Das ist Paylas Armee."

"Sie sind hier?" Luan schnellt zu mir herum, kratzt sich unsicher im Nacken. Natürlich. Er hat damit gerechnet, dass wir gegen unsere eigenen Männer kämpfen werden, jedoch nicht, dass sich unserer Liste an Bedrohungen noch weitere Magier und Soldaten hinzufügen. Dennoch unterbreite ich ihm nicht noch einmal den Vorschlag, an einem sicheren Ort zu warten. Meine Kräfte sollte ich mir besser einteilen.

"Kannst du uns in das Zimmer teleportieren?"
Simon schüttelt ruckartig den Kopf, bevor er erst einmal die Richtung meines Zeigefingers inspiziert. "Du willst jetzt da rein? Das Gebäude ist ein einziges Blutvergießen."

"Genau deswegen. Jeder Augenblick kann der letzte für Talia oder Will sein", entgegne ich, balle die Hand zur Faust. Wozu habe ich ihm noch einmal erlaubt mitzukommen, wenn er bei dem kleinsten, unvorhersehbaren Geschehen einen Rückzieher macht? "Zumal Payla gerade versucht, das Herzstück unseres Landes zu erobern. Da werde ich nicht einfach zuschauen. Wenn Payla über Sonelem herrscht, mag das für uns Magier letzten Endes nichts ändern, aber für jeden Menschen, der auf diesem Boden lebt."

Ein widerwilliges Schnauben dringt über seine Lippen, doch er gibt sich geschlagen. "In welchen Raum?"

Dass Simon noch erfahrener mit seiner Magie wurde, beweist dass er mittels meiner Beschreibung den richtigen Raum anpeilen kann. Vor zwei Jahren musste er sein Ziel mit eigenen Augen zuvor gesehen haben, damit es ihm gelingt. Dabei hatte ich bereits geahnt, dass diese Zeiten vorbei sind, nachdem er sich ohne meine Erlaubnis in mein Haus in Riyak verfrachtete, um Talia aufzusuchen. Dennoch überrascht mich die Genauigkeit. Es ist genau der Raum, den ich von der Ferne ausmachte. Ein dunkles, schlichtes Zimmer, in dem Magier vorübergehend untergebracht sind. Ein Bett, Tisch, Spiegel, aber nicht einmal für einen neuen Stuhl haben sie gesorgt.

Ich spähe unter das Bett. Noch immer liegt dort der Fuß des Stuhles, den Talia vor wenigen Wochen darunter versteckt hatte. Keiner hat hier sauber gemacht, kein weiterer Magier hat hier übernachtet. Vermutlich wollte Lucius das Zimmer für sie freihalten. Was sie mit dem verbrannten Stück Holz unter dem Bett angerichtet hat, habe ich nie erfahren, doch ich habe meine Vermutung. Sie hat es versteckt, weil sie niemandem verraten wollte, wie sehr ihr diese Zeit zugesetzt hat. Sie glaubte, Luan verloren zu haben, ihre Freiheit. Das war ihr Versuch, dem Zwang hier zu trotzen.

Talia würde sich niemals selbst umbringen, solange eine Chance auf Hoffnung besteht, aber sie würde alles daran tun, das Brandmal auf ihrer Haut zu vernichten, das sie an diesen Ort bindet. So ganz konnte ich dieses verbrannte Holzstück nie einordnen, doch nachdem sie noch immer mit dem Löwen über ihrem Schlüsselbein kämpft, glaube ich nun zu verstehen. Vielleicht irre ich mich aber auch.

"Was ist das für ein Zimmer?" Luan dreht sich einmal im Kreis, wirft dann einen Blick aus dem Fenster und schnellt zurück, als habe er einen Geist gesehen.
Ich runzele die Stirn, doch frage ihn nicht, ob er sich das erste Mal im Leben bewusst wurde, dass er die Höhe fürchtet. "Talias Zimmer."
Luan nickt und fixiert plötzlich die Tür, als halte er sich mit aller Kraft zurück, aus dem Raum und die Treppen hinab zu stürmen. Definitiv Höhenangst.

"Dem Geruch zufolge ist sie aber nicht hier gewesen." Ich spitze die Ohren, doch bis auf die entfernten Schreie vernehme ich keine weiteren Geräusche. "Die Luft ist rein."
Simon öffnet die Tür, lugt auf den Flur. Vertrauen in mich? Fehlanzeige. "Noch eine Idee, wo sie sein könnte?"

InhumanityWhere stories live. Discover now