59 • Ash

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"Verstehe ich euren Vorschlag richtig: Meral kann von Westen aus nur bis Sonnenuntergang betreten werden? Sobald die Nacht einsetzt, ist die Stadt demnach von außen abgeschirmt? Aber wir können jederzeit hinaus?"

Luan trommelt mit seinen Fingern auf den Tisch. Kann sie nicht stillhalten. Genau wie Talia sich des Öfteren mit ihrem Armband ablenken muss, wenn sie von der Nervosität übermannt wird.
"Richtig", stimmt er zu, wirft kurz einen Blick zu mir und wartet darauf, dass ich einspringe, sollte er es falsch verstanden haben. "Wer innerhalb des Schutzwalls ist, kann jederzeit hinaus. Nur hineinkommen ist zeitlich begrenzt."

"Payla wird tagsüber nicht angreifen", werfe ich von der Seite ein, wahre meine Distanz. Am Rand des Raumes zu stehen, ist reine Vorsichtsmaßnahme. Er ist voller Männer gespickt, die mich misstrauisch beäugen, nachdem mein Antlitz in dieser Stadt nach vergangener Nacht nun kein Mysterium ist. "Sie werden die Finsternis auf dem Meer ausnutzen, um unentdeckt bis in den Hafen zu kommen. Insbesondere, da wir nun vorgewarnt sind."

"Wir?" Ein älterer Herr schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Spucke fliegt direkt vor meine Schuhe, so wütend ist er über meine Wortwahl, doch ich weiche nicht weiter in die Ecke zurück. "Du gehörst nicht hierher, sondern zu den Beratern! Eine Schande, dass du noch meinst, ein Wort mitreden zu können! Diene gefälligst unserem Land anstatt dich hierher zu verdrücken!"

Wenig überrascht über seine Meinung bleibt meine Mimik eisern. "War es etwa nicht zu Eurem Gefallen, dass ich nicht nur zugesehen habe, wie diese Stadt bis auf Grund und Boden niedergebrannt wird?"

Luan stützt den Ellenbogen ab und beugt sich über den Tisch. Er kocht vor Wut, vermutlich, weil er soeben realisiert, dass auch Talia nun tagein, tagaus einem solchen Hass ausgesetzt sein kann. "Wir würden nicht einmal mehr hier sitzen, wenn er nicht geholfen hätte. Also hör mir gut zu, wenn ich dir sage-"

"Immer mit der Ruhe", wirft der Stadtherr ein, legt ihm eine Hand auf die Schulter. In seinen schnieken Klamotten und den streng nach hinten gekämmten Haaren sieht er um einige Jahre älter aus als noch vor wenigen Stunden, als er an meiner Seite seine Stadt verteidigte. "Er hat Meral auch ohne einen Löwen im Gehilz seinen Dienst erwiesen. Da können wir zumindest anhören, was er uns unterbreitet. Rede weiter, Magier."

"Es ist davon auszugehen, dass sie auch die Städte um Meral attackiert haben. Vermutlich erfolgreicher. Dementsprechend können sie auch über das Land kommen", fahre ich fort, sehe wie sich der Herr zu einem anderen beugt.
"Er hat Informationen, die wir nicht haben", flüstert er völlig ahnungslos darüber, dass ich problemlos jedes gewisperte Wort in diesem Saal wahrnehme.

"Also wird der Wall von den anderen Himmelsrichtungen aus rund um die Uhr unüberwindbar sein. Meral wäre nur noch über das Meer zu erreichen, da der Stadtrand ohne Mauer zu verwundbar ist." Ich richte meinen Blick auf den Herren. "Um das zu wissen, braucht man nur ein wenig gesunden Menschenverstand."

Er lässt sich keinerlei Reaktion anmerken, doch das rasende Pochen in seiner Brust verrät die Überraschung. Ich habe ihn eiskalt erwischt. Der Stadtherr hingegen interessiert sich bereits für die Folgen des Schutzes. "Das sind deutliche Einschränkungen."
"Aber die sichersten", wendet Luan ein. "Zumal es nur vorübergehend ist. Nur solange, bis Payla aufgibt oder Soldaten und Magier anrücken."

"Dienende Magier", zischt der Mann, tangiert mich unverhohlen mit einem abschätzigen Blick, dann widmet er Luan seinen Hass. "Warum hören wir überhaupt auf einen der Beiden? Du hast deiner Schwester ihr Leben lang den Dienst vorenthalten. Das gottverdammte Mädchen gehört-"

Luan springt auf, doch ich bin schneller. Ich packe ihn am Kragen, reiße ihn von seinem Stuhl und schleife seinen Oberkörper über den Tisch, sodass unsere Gesichter nur minimal voneinander getrennt sind und ich den Angstschweiß rieche, der sich auf seiner Stirn ansammelt. Ich liebe es, wie sein Körper auf meine Magie reagiert.

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