25 • Ash

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"Ich schwöre, wenn du nicht - um der Götter Willen!" Seine Augen weiten sich schockiert, dann hechtet Will auf mich zu, stützt mich. Zugegeben, es grenzt an ein Wunder, dass ich es zurück nach Hause geschafft habe. Meine Magie konnte ich vergessen, nachdem die beiden Magier zwischen Tür und Angel noch Johanniskraut meine Kehle hinab gejagt haben. Also habe ich mich zu Fuß zurück nach Riyak geschleppt - die Nacht kam mir dabei zugute, sonst hätte ich weitaus mehr fragende Blicke auf mir gehabt als nur den eines angetrunkenen Herren, der meine Erscheinung auf zu viel Alkohol schieben wird.

"Hier."
Er zieht einen Stuhl heran, lässt mich unsachte auf ihm ab. Der plötzliche Wandel vom Stehen zum Sitzen bekommt mir nicht gut, doch ich kneife die Augen zusammen, versuche den Schmerz auszublenden.

"Ich habe-"
"Mist gebaut? Das sehe ich auch." Will  lässt mich nicht aussprechen. Ich höre, wie er nach einem Tuch greift und dieses mit Wasser anfeuchtet. "Ich habe dir gesagt, dass wir uns etwas anderes einfallen lassen müssen."

Als er mir das Shirt hochziehen will, drehe ich mich reflexartig um, weiche ihm aus.
"Was? Früher warst du doch auch nicht so zimperlich."
"Ich mache das selbst", meide ich bewusst seine Frage. Früher war mein Rücken kein Kunstwerk Lucius' fleißiger Arbeit, kein Abbild meiner Hoffnung auf ein Lebenszeichen von Kaya.

"Du müsstest dich schon verrenken, um an die Wunde zu kommen", meint Will skeptisch. "Komm schon, Ash, so schlimm kann es nicht sein."

Ich habe keine Kraft für eine Diskussion, die er gewinnen wird - ich weiß selbst, dass es besser ist, wenn er dies übernimmt, also gebe ich mich geschlagen. Das kurze Schweigen, das ungläubige Schlucken und die zittrigen Finger verraten mir jedoch, dass es schlimmer ist, als er annahm. Eilig fängt sich Will wieder, beginnt die Wunde mit aller Vorsicht, die er aufbringen kann, zu reinigen, als fürchte er sich davor, jede Berührung der Narben könne sie wieder aufreißen.

"Ich gehe schwer davon aus, dass du sie nicht gefunden hast? Ich meine, sonst wäre die Verletzung wohl nicht mehr meine Aufgabe."

Ich schüttele den Kopf. Mein Ausflug in den Palast war weniger erfolgreich als ich gehofft hatte, jedoch nicht so unnütz wie ich zu Beginn angenommen hatte. Meine Hoffnungen auf eine kleine Runde durch die für die dienenden Magier bereitgestellten Zimmer waren zunächst drastisch gesunken, als mich die beiden Jungen bereits beim Eingang empfangen hatten und mich sofort in den Raum begleiteten. Dementsprechend ergebnislos war mein Weg dorthin, auch wenn ich meine Ohren spitzte und versuchte, jede Information aufzusaugen, so weit ich konnte. Auf dem Weg zurück gab es jedoch diesen kleinen Augenblick, dieser Bruchteil eines Atemzuges, der mir all meine Informationen lieferte, die ich brauche.

"Ich habe sie nicht gesehen, aber ich weiß, dass Luan nicht bei ihnen ist."
"Erfreuliche Nachrichten - oder auch nicht, wenn ich es mir so Recht überlege. Und Talia?"

"Sie ist dort. Morgen Abend vermutlich mit Johanniskraut zugedröhnt, um keinen Schaden anrichten zu können."
Will schnappt sich die leere Flasche neben dem Sofa, dreht und wendet sie, bekommt jedoch keinen Tropfen mehr heraus. "Du sagst das so, als sollte ich wissen, was morgen Abend ist."

Schulterzuckend stellt er die Flasche zur Seite, reinigt die Wunde dann nochmals mit Wasser.
"Morgen ist Winterwen-"
Ein Keuchen entfährt mir, als er gröber wird. 
"Winterwende also?"

Ich nicke, konzentriere mich auf meinen Atem, als mir das Blut aus dem Kopf sackt. Winterwende, die Nacht, in welcher sich der Herbst verabschiedet, das regnerische Wetter von Schnee abgelöst wird und die eisigen Tage beginnen. Auch wenn die Flocken es meist nicht bis nach Sonelis oder gar weiter in den Süden schaffen, gibt das Kreisen der Sterne einmal quer über den Himmel besonders in Sonelems Zentrum Anlass zum Feiern. Immerhin ist es ein Phänomen, das nur vier Mal im Jahr auftritt und den tristen Alltag auflockert. Bis Mitternacht werden die Menschen in den Gassen stehen, sich auf Wiesen tummeln, Lieder singen und den Reisen der Sterne mit ihren Blicken folgen.

"Der Sternenregen." Will nickt, legt das Tuch zur Seite. Erleichtert atme ich auf, zupfe schleunigst mein Shirt zurecht, um ihm zu zeigen, dass mir seine Behandlung nun genügt. 
"Das habe ich natürlich gewusst", murmelt er, seine Stimme trieft voller Ironie. "Aber ... nein, Ash."

Ich muss ihm nicht erklären, was ich vorhabe. Ein Jeder weiß, dass nicht nur die Menschen außerhalb des Palasts das Schauspiel am Himmel zelebrieren, sondern auch die innerhalb nicht davon fernbleiben. Auch wenn sie paradoxerweise die Festlichkeiten im geschützten Raum bevorzugen, vielleicht nur kurz die königlichen Gärten durchschreiten, um frische Luft zu schnappen oder einer aufdringlichen Bekanntschaft auszuweichen. Der Sternenregen interessiert sie nicht. Das ausgiebige Tanzen, das Präsentieren von Reichtum und Macht und möglicherweise auch das leckere Essen scheinen weitaus interessanter.

Der Palast wird voller aufgeregter Menschen wimmeln, bekannte und auch weniger bekannte Gesichter. Grafen aus allen Teilen des Landes, Könige und deren Familien aus anderen Reichen. Das ist unsere Chance. Hätte ich nicht zwei Wachen dabei belauscht, wie sie sich über die Vorkehrungen unterhalten, hätte ich das Spektakel frühstens morgen Abend am Nachthimmel bemerkt. Welch ein Glück, dass der Zufall einmal auf meiner Seite war.

"Doch, genau dann", widerspreche ich, lehne mich gegen die Lehne und fahre sofort wieder hoch. Das war alles andere als ein glorreicher Einfall.
Will zieht skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. "Du kannst nicht einmal sitzen, aber willst in den Palast einbrechen?"
"Ich breche ja nicht dort ein."
"Verstehe, du spazierst einfach hinein. Und wie willst du sie dort herausholen? Sie könnte überall sein."
"Das ist das Problem", murmele ich, habe mir bereits den gesamten Weg hierher den Kopf darüber zerbrochen. Es scheint nur eine Lösung zu geben. "Ich kann jeden Raum absuchen, bis auf den, in dem Lucius sein wird. Er wüsste sofort, dass etwas nicht stimmt."

Will setzt sich auf den Tisch, wippt mit den Beinen in der Luft - eine Angewohnheit, die er schon vor Jahren gezeigt hat, wann immer er zu grübeln hatte. "Dein Berater? Der, der dir das zugefügt hat?" Er müht sich ab, auf einen gewissen Punkt seines Rückens zu zeigen. Ich nicke knapp.
"Das wäre deine Aufgabe."
"Ich bin doch nicht lebensmüde!"
"Wenn es jemand unbemerkt dort hineinschafft, dann du."

Genervt blickt Will auf die Seite, ist sich bewusst, dass ich die Wahrheit spreche. Mithilfe seiner Magie wird es ihm ein Leichtes sein, in den Raum zu kommen und ihn wieder zu verlassen, bevor jemand bemerkt, dass sich das Licht in einer Ecke verändert hat. Gestern noch war er bereit dazu, in den Palast zu gehen. Die Wunde auf meinem Rücken schreckt ihn jedoch ab.
"Über welchen Raum reden wir?"
"Den Ballsaal. Ich gehe nicht davon aus, dass sie dort sein wird, da die Berater Magier nicht unter die Adeligen lassen, aber mit Gewissheit lässt sich das nicht unterschreiben."

"Also dort, wo alle Berater sein werden? Ich bekomme gerade das Gefühl, dass du mich loswerden willst."
"Das würde ich selbst in die Hand nehmen, wenn ich es wollen würde." Er schmunzelt kurz. Ich weiß, er ist kurz davor zuzusagen, kann meiner Bitte kaum widerstehen. "Will, sie hat alles gegeben, um euch zu decken. Das schuldet ihr Talia."
"Vor dir zu decken." Er schnalzt mit der Zunge, kämpft mit seinen Zweifeln. "Ich verlasse mich darauf, dass ich heil wieder hierher zurückkomme. Und dass du den gesamten Palast auf den Kopf stellst, sollte dem nicht so sein, ja?"
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als mir die Last von den Schultern fällt. "Du hast mein Wort."
"Gut. Zwei Bedingungen hätte ich aber noch."

Ich kann mir bereits vorstellen, was folgen wird, also gebe ich ihm das Zeichen fortzufahren.
"Du hörst mit deiner fanatischen Suche nach Simon auf und lässt ihm sein Leben. Nicht nur du hast Kaya verloren."
Ein scharfer Biss auf die Zunge, um meinen Protest zu ersticken. Kann ich ihm das wirklich versprechen? Gerade scheint alles möglich - meine Gefühle sind nichts weiter als Sorgen, meine Gedanken weit entfernt von Simon. Was passiert aber, sobald dies abebbt? Was, wenn diese Rachegelüste stärker denn je erneut entfachen?
"Bedingung Nummer Zwei?"
"Du sagst ihr, dass es von Luan kein Lebenszeichen gibt. Ich breche ihr sicher nicht das Herz."

InhumanityWhere stories live. Discover now