47 • Talia

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Es stinkt nach Alkohol, Schweiß und auf bizarre Art und Weise nach süßlichem Karamell - eine Mischung, die mir nicht sonderlich zusagt, aber wenn selbst ich sie wahrnehme, wird Ash hoffentlich einen großen Bogen um die Bar machen.
Ich schlängele mich durch die Menschen, geradewegs hinein in das Stimmengewitter, Lachen und Grölen. Die Stehtische versperren den Weg, ähneln einem Labyrinth, bis man die scheinbar endlos lange Ausschanktheke erreicht hat. Lorena sehe ich nirgendwo, dennoch werde ich mit einem offenen Lächeln in Empfang genommen.

"Hi." Ein junger Mann beugt sich über das wenig Holz zwischen uns, damit ich ihn besser verstehen kann. "Was kann ich dir anbieten?"
"Lorena?"
Er lacht auf. "Das nenne ich Direktheit." Fast beiläufig kommt er mir noch ein Stück näher. "Nur aus Interesse: Freundin oder Freundin?"

Ich löse meinen Blick nicht von seinen fahlen, fast grauen Iriden, weiß genaustens, auf was er hinaus möchte. Da er mir jedoch nicht die Informationen liefert, die ich will, werde ich ihn ein wenig auf die Folter spannen. "Nur aus Interesse: Warum fragst du?"

Geschwind huscht seine Zunge hervor, benetzt seine Unterlippe mit Feuchtigkeit. "Unterstellst du mir etwa, dass ich mich nicht nur für Lorenas Glück interessiere?"
"Scheint fast so, als würdest du hinterfragen, ob ich gut genug für sie bin", entgegne ich.
Er grinst. "Daran zweifle ich nicht."
"Super. Warum schaust du dann nicht, dass du sie hier irgendwo aus den Tiefen dieser Bar auftreibst?"

"Oh, das saß."
Theatralisch fasst er sich an die Brust, bevor er mir ein winziges Glas mit glasklarer Flüssigkeit zuschiebt, sich selbst eins befüllt.
"Nein, danke."

Das Glas ist fast wieder bei ihm, als er nach meiner Hand greift. Ich will ihm meine Finger entwinden, doch er lässt nicht locker.
"Ich trinke keinen Alkohol", erkläre ich mich, auch wenn ich keinen Grund sehe, mein Nein überhaupt verteidigen zu müssen.

Ich brauche einen klaren Kopf, wenn ich mich nachher auf den Weg zum Gasthof mache. Wer weiß, wie lange Ash mir auf den Fersen bleibt? Kann ich es mir überhaupt leisten, schlafen zu gehen oder ist das zu gefährlich? Es wäre der perfekte Moment, um zuzuschlagen. Ein flaues Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Habe ich denn nicht schon längst verloren? Zögere ich das Unausweichliche nicht nur noch länger hinaus?

"Das hatte ich mir gedacht." Er drückt meine Hand. "Ist nur Wasser. Bitte, tu' mir den Gefallen. Sonst ist Lorena wieder eine Woche sauer auf mich, weil ich angeblich zu unfreundlich sei."
Er lässt mich los, hebt sein Glas in die Höhe. Ich gebe mich geschlagen, schlucke das Wasser hinunter und stelle das leere Glas als Beweis vor mir auf die Theke. "Nun warst du freundlich genug."
Er schüttelt amüsiert den Kopf, dann verschwindet er in einem Nebenzimmer.

Ich lasse meinen Blick suchend über die Menge gleiten, doch nirgendwo entdecke ich seine verfluchten bernsteinfarbenen Augen. Vielleicht habe ich Glück, vielleicht hat er- warum rede ich mir diesen Schwachsinn ein? Er lauert in der kalten Nacht, wartet auf den perfekten Moment, genießt meine Angst, die Macht über mich. Er weiß, dass ich ihm nicht entkommen kann, spielt noch ein wenig mit mir. So zynisch ist er definitiv.

"Sag nicht, du hast schon genug von Sira."
Lorena reißt mich aus meinen Gedanken. Ich schnelle zu ihr herum, bin erfreut, wenigstens ein bekanntes Gesicht in diesen Wänden zu entdecken - auch wenn die Freude sich bei dem anderen bekannten Gesicht deutlich in Grenzen halten würde.
"Ich habe auf jeden Fall schon einmal diese gewöhnungsbedürftigen Menschen getroffen", meine ich, Janeks Name brennt mir auf der Zunge.

Lorena stützt ihr Kinn in die Hände, lehnt sich aufmerksam zu mir.
"Uh, sie machen Sira alle Ehre, großartig." Ihre Augen drehen sich nach oben. "Aber schön, dass du hierher gefunden hast."

Sie kreist den Kopf ein wenig, lässt ihren Blick durch den Raum gleiten, als müsste sie sich selbst von der Atmosphäre bezaubern lassen. Ich muss gestehen - das rustikale Ambiente ist vollkommen geglückt. Die Wände sind zwar ohne Putz, präsentieren schonungslos die nackte Ziegelwand, doch die schummrigen Lichterketten an Decke, an Wänden, selbst in den Vitrinen voller Flaschen, tauchen den Raum in eine gelassene, fast sorgenfreie Stimmung. Wäre es nicht so furchtbar laut, würde ich hier Gefahr laufen, im Schlummer zu versinken.

InhumanityWhere stories live. Discover now