53 • Talia

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"Talia!"
Aja ist ordentlich gewachsen, regelrecht in die Höhe geschossen wie eine Blume in der Wärme der ersten Sonnenstrahlen. Diese vermisse ich gerade umso mehr - der Schnee versenkt Meral mittlerweile unter einer weißen Decke.

Ich bekomme gerade noch ein Hi herausgequetscht, schon wirft sie sich in meine Arme, blickt grinsend zu mir auf. "So schön, dass du hier bist! Komm, ich muss dir mein neues Puzzle zeigen. Ariane hat es mir vom Wochenmarkt mitgebracht."

Niemand Geringeres als der besagte Rotschopf blickt um die Ecke, schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln. "Lass sie erst einmal ankommen, Aja."

Beiläufig wirft sie ein Geschirrtuch in die Küche, von wo ich nur Sams launisches Grummeln vernehme. "Geh doch schon einmal vor, ja? Talia kommt bestimmt gleich nach."
"Sie ist wegen Simon hier", ruft Sam aus der Küche, nimmt mir wieder einmal meine Worte vorweg.

"Das hatte ich mir schon fast gedacht."
Ariane winkt mich zu sich, doch Aja schlingt schmollend ihre Finger zwischen meine. "Pff, der kann doch mal einen Moment warten."
"Warum fängst du nicht schon einmal mit dem Puzzle an? Ich helfe dir dann, okay?", werfe ich ein, probiere mich an einem tröstenden Lächeln.

Aja ist nicht begeistert, doch sie nickt und verschwindet im Wohnzimmer, gefolgt von einem dumpfen Poltern.
"Nicht so stürmisch, kleine Hexe", schimpft Ariane, doch ihr amüsierter Unterton nimmt ihren Worten die Härte. Dann deutet sie zur Treppe, die nach unten führt. "Sie trainieren gerade, Simon und Torin."

Erst bin ich mir sicher, dass sie auf dem Absatz kehrt macht und in die Küche verschwindet, doch sie läuft schnurstracks vorneweg. "Im Übrigen, ich wollte mich noch entschuldigen für meine Unfreundlichkeit letztes Mal. Ich dachte, jemand würde uns angreifen. Der Schutz reagiert nämlich nur bei Magiern."
"Nicht schlimm", versichere ich, kann mir genau denken, wegen wem sie den Schutz errichtet haben. "Ich hätte mir auch eine bessere Uhrzeit aussuchen können, um hier aufzukreuzen."

Dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht, verdränge ich. Es ist nicht so, als könnte ich mich gerade tagsüber frei in Meral bewegen. Nicht, nachdem mein Bruder vermisst gemeldet wurde. Immerhin war Luan so schlau und regelt den Hausverkauf über eine andere Stadtverwaltung, auch wenn sie ihn dafür sicherlich mit schrägem Blick quittiert haben.
"Das stimmt auch wieder", murmelt Ariane, stößt die massige Tür zum Trainingssaal auf. Sofort stoppt das Klirren der Klingen aufeinander, nur das schwere Atmen der beiden Männer erfüllt die Stille.

"Ich habe euch jemanden mitgebracht. Dir, um genau zu sein, Simon", trällert Ariane durch den Raum. Torin erhebt sich von der Matte und begrüßt mich mit einem einnehmenden Lächeln. Simon hingegen meidet meinen Blick, spielt träge mit seinem Schwert - kein gutes Zeichen, insbesondere, da ich ihm mit meinen Fragen unmissverständlich zeigen werde, wer es in mein Herz geschafft hat.

"Hier. Vielleicht kannst du ihn ein wenig aufheitern." Torin tätschelt mir die Schulter, reicht mir sein Schwert. "Seine Aura ist ein wenig aus den Fugen geraten, solide ausgedrückt. Eure Stimmung passt gut zueinander."

Wegen mir. Ich presse die Lippen zusammen, nicke. Das Schwert ist leichter als erwartet und doch weiß ich nicht so ganz, was ich erwartet hatte. Sicherlich nicht, dass wir uns gleich mit mörderischen Waffen gegenüberstehen, wenn ich ihn nach Ash fragen werde. Das scheint mir kein sonderlich glorreicher Einfall zu sein. Doch ehe ich mich umentschieden habe, schließt sich die Tür hinter uns.

"Hast du schon einmal mit einem Schwert gekämpft?"
Widerstrebend nähere ich mich ihm, erdulde nun seinen stechenden Blick auf mir. Es ist jetzt schon unangenehm - und ich habe noch nicht einmal ein Wort hervorgebracht.
"Ich habe zum ersten Mal eines in der Hand", gestehe ich. Bislang war ich dem erfreulicherweise immer entkommen, vor allem, weil Ash schon mehre Male seinen Kopf für mich hinhielt.

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