28 • Talia

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"Ein Lächeln ist sicherlich nicht zu viel verlangt, oder?"
Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse, fange mir einen festen Stoß in die Rippen ein.
"Deine Definition von Lächeln ist interessant, Engelchen." Lucius beugt sich zu mir, reiht uns hinter einem älteren Paar ein. "Aber keine Sorge - du siehst dennoch bezaubernd aus. Vor allem der kleine Löwe."

Die beiden Mädchen haben mir meine Haare streng nach hinten gekämmt, jedes Überdecken des Brandmals somit verhindert. Lucius legt mir die Hand auf den Rücken, schiebt mich in den Raum, hinein in die sanften Geigenklänge, Parfumwolke und leisen Gespräche.
Im Vorbeilaufen entnimmt er einem Kellner ein Glas, trinkt es in einem Schluck leer, während ich damit beschäftigt bin, die vielen Eindrücke in mich aufzunehmen. Dort das Orchester, verblassend zwischen den funkelnden Kleidern der Damen, hier eifrig umherirrende Kellner, Wachen in jeder Ecke und an dem Ausgang. Noch immer strömen Menschen herein, Frauen machen Knickse, Männer verteilen Küsse auf deren Hände. Gegenüber des Ausgangs ein Podest, darauf platziert ist der noch leere Thron. Gerade als ich mir einen Fluchtplan zurecht legen möchte, tritt ein schmaler Mann in Begleitung einer mit goldenen Ketten behangenen Frau auf den Podest. Gekleidet wie all die anderen Herren hier, fällt er nicht weiter auf, dennoch verstummt das Gemurmel sofort.

Mit aller Ruhe lässt er seinen Blick langsam über die Menge gleiten, dann beginnt er seine Rede.
"Liebe Freunde, liebe Vertrauten..."
Derweil seine ruhige, kräftige Stimme durch den Raum hallt, jedes Flüstern erstickt, schnappe ich mir ein Glas, kippe es auf einmal hinab und erschrecke über das Brennen in meinem Hals. Lucius reckt den Kopf in die Höhe, als wäre er soeben namentlich genannt worden. Die Worte fließen in einem Rausch an mir vorbei, vermischen sich zu einem Schwall, dem sie alle verfallen. Ich starre in ihre Gesichter, sehe den Stolz darüber, hier stehen zu dürfen. In mir hingegen überwiegt der Drang zu fliehen. Die Wachen sind zu viele - so schaffe ich es niemals unbemerkt hinaus.
Heute noch. Irgendwie.
"Auf eine weitere Wende! Auf Sonelem!"

Zustimmend werden Gläser emporgehoben, ein Klirren erfüllt den Raum. Lucius' Blick fällt auf das leere Gefäß in meiner Hand.
"Das ist nichts für dich, Engelchen."
Er entreißt es mir, stellt es achtlos auf ein Tablett. Dann macht er eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung des Throns, auf dem sich der König gerade niederlässt, während die Musik erneut anstimmt.
Bevor ich es mir anders überlegen kann, schiebt er mich am Rand der tanzenden Paare vorbei, direkt auf den König zu.
"Lucius!"

Der Berater streckt den Rücken durch, seine Augen glühen.
"Eure Majestät."
Er deutet eine Verbeugung an, rammt mir seinen Ellenbogen in die Seite. Ich zucke zusammen, doch bleibe aufrichtig stehen. Morgen werde ich hier wegkommen. Nur bis morgen muss ich noch seine Strafen aushalten. Es ist absehbar, die Hoffnung auf Besserung. Vielleicht ist es genau diese Hoffnung, die es mir verbietet Lucius in die Hände zu spielen. Der König verzieht keine Miene über meinen stummen Widerstand. Seine dunklen Augen bohren sich in meine, scheinen mir bis in die Seele schauen zu können als wäre ich ein offenes Buch. Unwohl zwinge ich mich dazu, mich nicht unter seinem forschenden Blick zu winden, meinen Drang zur Flucht zu überspielen.

"Du musst wohl die Heilerin sein."
"In Fleisch und Blut", wirft Lucius von der Seite ein, legt mir seine Hand auf die Schulter. "Ich habe sie im Norden gefunden."
"Ash", bringe ich hervor, vielmehr krächzend als sprechend. Die Hand auf meiner Schulter drückt zu. Auch wenn ich nicht weiß, wer mich zuerst durchschaut hat - der Gestaltwandler oder Ash -, so werde ich nicht zulassen, dass Lucius sich deren Arbeit aneignet.

"Vielleicht wäre weniger Johanniskraut auch möglich, Lucius", tadelt der König den Angesprochenen, doch löst seinen Blick keinen Moment von mir. "Ich würde sie gerne noch verstehen. Wie dem auch sei - ich freue mich, dass du so aufopfernd in unserem Dienst stehst, ...?"
"Talia", füllt Lucius die Stille.
"Sonelem kann sich glücklich schätzen, dich zu haben, Talia."
Als hättet ihr mir eine andere Option gelassen.

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