50 • Ash

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"Vielleicht hätte ich mir noch ein wenig Zeit lassen können. Das sieht viel zu harmlos aus."
Simon beugt sich über die Lehne der Bank, begutachtet die tiefe Wunde des Schwertes an meinem Oberschenkel, als ich die Blutung mit einem Stück Stoff zu stoppen versuche.

"Wenn ich dich so reden höre, frage ich mich glatt, warum du mir aus der Misere geholfen hast", brumme ich.

Nachdem er mich zu dieser Bank am Rand der Promenade geschleppt hat, bin ich genauso unwissend wie in dem Moment, als er mir Lucius' Qualen ersparte. Immerhin ist nicht zu verleugnen, dass er nicht zufällig in Sira ist - etwa wegen Talia? Ich presse die Lippen zusammen, verwerfe den Gedanken. Nun ist nicht der Zeitpunkt, um einen Streit loszutreten. Einen Streit, den ich in meinem jetzigen Zustand nur verlieren kann.

Er knirscht mit den Zähnen, wie immer, wenn ihm etwas missfällt - er hat sich nicht im Geringsten verändert. Das macht ihn durchschaubar. "Das hast du Torin zu verdanken. Meinetwegen wäre diese brenzlige Situation anders verlaufen."
"Was will er?"

Ich ziehe den Knoten fest, betrachte den flink angelegten Verband. Er wird halten, bis meine Magie spätestens im Morgengrauen zurück sein sollte und ich - ja, was denn? Hier bleibe, um sicherzugehen, dass sie in Sicherheit ist? Sira verlasse, wie auch Talia es tun sollte? Abwarten, was Simon zu berichten hat.

"Will. Er will wissen, was du mit Will gemacht hast."
"Warum erfindest du nicht deine eigene Geschichte? Immerhin hat er damals auch dir geglaubt, nicht mir." Ich schwinge das Bein von der Bank, strecke es aus und winkle es wieder an. Diese Schmerzen sind ertragbar, wenigstens das. "Oder was hat seine Meinung geändert?"

"Talia hat seine Meinung geändert, genau genommen ihre Aura." Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, ist so komisch. So falsch. Genau das, was ich nicht hören möchte. "Sie war wohl das komplette Gegenteil von sonst. Also hat er mich ihr hinterher geschickt, um sicherzugehen, dass sie nichts Fatales anrichtet - und falls ich dir über den Weg laufen sollte, könnte ich dich auch gleich auf Will ansprechen. Immerhin scheine ich nun nichts mehr vor dir zu befürchten haben, aber sagen wir mal so - dem gehe ich nur sicher, wenn du ein wenig Johanniskraut intus hast."

"Ihr wisst von Kaya?"
"Talia hat Torin auf den neuesten Stand gebracht."
Auf ihren neusten Stand. Was sie über mich gesagt hat, mag ich mir lieber nicht ausmalen.
"Sie konnte nur leider nichts Genaueres über Will sagen. Und von dem haben wir seit über einer Woche nichts mehr gehört."
"Gestern Mittag ging es ihm noch gut." Der erste Versuch auf die Beine zu kommen, wäre beinahe kläglich gescheitert, doch ich erlaube es mir nicht, noch mehr Schwäche vor Simon zu zeigen und zwinge mich hoch. "Was er danach gemacht hat oder wohin er gegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe ihm lediglich geraten, Abstand von Kaya zu halten."

Simon zieht die Augenbrauen zusammen, sein skeptischer Blick entgeht mir nicht. "Abstand? Warum das?"
"Weil Kaya einen Narren daran gefressen hat, ihre Magie zu missbrauchen, um ihren Willen durchzusetzen."
"Sie hat Will manipuliert?"
"Nicht nur Will."
Sein Mund öffnet sich kurz fragend, dann versteht er meine Worte. "Talia? Das erklärt, warum sie so zu dir stand."

"Hättest du wohl gerne." Und wie. Ich muss meine Magie nicht haben, um zu erkennen, dass Simon am liebsten jedes Detail über Talia und mich aus mir herausgequetscht hätte. "Zu deiner Enttäuschung aber erst danach."
Mir entgeht nicht, wie sein Kiefer mahlt. Kann ich es ihm verübeln? Wäre ich an seiner Stelle, würde es mir genauso gehen. "Eifersüchtig?"

Er lacht auf, doch die Zähne knirschen erneut aufeinander. "Worauf? Sie hat dich gerade im Stich gelassen, nicht mich."

Er spielt mit diesen Waffen? Früher hätte ich mir das nicht lange gefallen lassen und ihm unter die Nase gerieben, was er nicht hören möchte. Dass sie bei mir blieb. Dass sie mir vertraute. Dass sie sich mir vollkommen hingab. Ich könnte ihn so einfach zum Schweigen bringen, doch ich mache es nicht. Weil Talia mich dafür verachten würde, Momente des Vertrauens für so etwas zu missbrauchen. "Interessant, wie du versuchst, dir selbst nicht die Wahrheit einzugestehen."

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