10 • Talia

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Der Schlüssel klimpert am Bund, die Tür knarzt. Für einen kurzen Moment ist es still und ich weiß, dass Luan gerade die frische Farbe der Wände betrachtet. Dann nähern sich mir seine Schritte auf dem Boden, so langsam, dass ich ihnen bereits die Empörung entnehmen kann.
"Du warst beim Maler?"

"Ich freue mich auch, dich zu sehen", entgegne ich und spitze die Lippen. Ich hatte mir eine andere Reaktion erhofft, immerhin war der Ruß kein sonderlich ansehnlicher Anblick.
Luan streift seinen Mantel ab, legt ihn achtlos auf eine Stuhllehne. "Wir hatten eine Abmachung."

"Du hattest eine Abmachung", kontere ich. "Der Maler ist nur drei Häuser von Phantasia entfernt. Also bin ich kurz in der Mittagspause hinüber gelaufen. Ich dachte, es würde dir gefallen."

"Mir würde es besser gefallen, wenn du das machst, was vernünftig ist."
Obwohl Luan damit nicht auf meine Lüge dem dienenden Magier gegenüber anspielt, treffen mich seine Worte. Unbewusst finden meine Finger ihren Weg zum Armband, drehen schuldbewusst die Perlen hin und her. "Weißt du, was alles hätte passieren können?"

Ich weiß, was mir drohen kann. Genau das bereitet mir Angst. Ich sollte nicht in der Situation sein, in die mich das Mädchen gebracht hat. Ich sollte keinen Gedanken darüber verschwenden, ob ich eben zum Maler gehe oder nicht. Ebenso sollte ich mich jedoch auch nicht selbst im Mitleid suhlen und stattdessen alles in Angriff nehmen, um unentdeckt zu bleiben, bis ich mein normales Leben wiederhabe.

"Ich muss dir da etwas erzählen", murmele ich.
Luan entgleiten die Züge. "Wie bitte?"
"Es ist nicht so wie du denkst", beruhige ich ihn augenblicklich und deute auf den Stuhl. "Das Essen wird kalt."
Luan verharrt stur an seinem Platz und verschränkt die Arme vor der Brust. "Was musst du mir erzählen?"
"Jemand hat es gesehen."
"Also ist es doch so, wie ich dachte", knurrt er.

"Nein. Er..." Nervös winde ich mich unter seinem bestürzten Blick, derweil es mir an Worten mangelt. "Er ist auch ein Magier."
"Das macht keinen Unterschied!"

"Doch!", entfährt es mir ebenfalls lauter. Schleunigst konzentriere ich mich auf meinen viel zu schnellen Puls. Was ein Streit auslösen kann, haben wir erst gestern erlebt. Ich möchte nicht so bald wieder nach Sonnenuntergang verkohlte Holzdielen im Wald verstreuen müssen, nachdem ich unseren Wänden wieder die richtige Farbe verliehen habe. "Er dient nicht. Viele Magier befinden sich nicht im Dienst."
"Was redest du da?"
Nochmals zeige ich auf den Stuhl. "Das ist eine längere Geschichte."
Widerwillig lässt sich Luan nieder und streckt erschöpft seine Beine von sich. "Ich höre."

Luan ist ein hervorragender Zuhörer, wenn er will. Nachdem Vater starb, hatte er mir ewig zugehört, wenn ich meine Trauer, meine Ängste und Zweifel ausgesprochen habe. Wenn er jedoch nicht will, dann lässt er einen nicht ausreden. Heute hört er zu, als ich von dem Vorfall beim Glaser berichte. Von dem, was ich über freie und dienende Magier in Erfahrung gebracht habe. Von dem, dass Simon mir dabei helfen möchte, die Magie kontrollieren zu können. Denn nachdem ich dem Brünetten erzählt hatte, dass ich unser gesamtes Esszimmer in einen Kamin verwandelt habe, hatte er dies als besonders dringlich angesehen. Zumal er auch die Heilung der Wunde beobachtet hatte.

"Er will dich trainieren?"
"Das hat er gesagt." Eine weitere Gabel voll findet den Weg in meinen Mund. Luan legt skeptisch den Kopf schief. "Morgen früh fangen wir an, bevor ich zur Buchhandlung gehe."
"Und was springt für ihn dabei heraus?"
"Muss für ihn etwas herausspringen?"

Mein Bruder gibt ein unmissverständliches Grummeln von sich und überlegt. Ich kann förmlich sehen, wie er abwägt, ob das eine gute Idee ist oder nicht.
"Sei vorsichtig, okay? Ich traue dem nicht so ganz."
Ich nicke und lächele zuversichtlich, während mir nur ein Gedanke durch den Kopf schießt. Ich auch nicht. Aber das kann sich noch ändern.

InhumanityWhere stories live. Discover now