5 • Ash

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"Verstehe ich das richtig? Du warst vier Tage unterwegs, nur um mit leeren Händen wiederzukommen?"

Lucius, ein etwas jüngerer Berater des Königs, aber deswegen nicht weniger gnadenlos, dreht seine Kreise um mich wie ein hungriger Tiger, der seine Beute fixiert. Überlegen, angriffslustig, gierig. "Welchen Dank erwartest du denn dafür von mir?"

Er ist so erzürnt, dass die Adern an seinem Arm hervortreten, als er das Schwert kräftiger packt. Dann spüre ich die kalte Klinge auf meiner Haut. Sie jagt mir einen Schauer über den Rücken. Er könnte jeden Moment zustechen, doch er tut es nicht. Denn er weiß, dass ich niemals aus freien Stücken zurückgekehrt wäre, nur um mir meine Strafe abzuholen. Ich bin gekommen, um mir mehr Zeit zu sichern, bevor er andere Magier nach mir schickt.

Für gewöhnlich gibt er mir seinen Segen - er weiß um meine Stärke und meinen Ehrgeiz, was mir manche Freiheiten erlaubt. Die Strafen jedoch bleiben die Gleichen. Auf meinem Rücken sammeln sich die Geschichten von Widerständen, die ich mir herausgenommen habe.

Meine Sinne erfahren gerade ihre eigene Tortur - er hat grelles Licht frontal auf mich gerichtet und den Raum mit scharfem, für mich nahezu penetranten Geruch nach Minze vorbereitet. Es ist unerträglich. Zerrt an meinen Nerven. Dringt so intensiv in mich ein, dass ich seine Stimme kaum mehr wahrnehmen kann. Viel zu sehr fokussiere ich mich darauf, das Stechen in Nase und Augen aushalten zu können. Die Schmerzen zu ertragen. Lucius hat eine Vorliebe dafür, die eigene Magie gegen einen zu verwenden.

Für einen winzigen Moment ertappe ich mich dabei, wie meine Gedanken zu dem Mädchen in der Buchhandlung abschweifen. Würde das Stechen verklingen, wenn sie nun in diesem Raum wäre? Würden meine Augen nur das angenehme Meerblau der ihren sehen, das lange, leicht gewellte blonde Haar und die vereinzelten Sommersproßen auf der Nase? Würde ich nur ihren sanften Duft nach Rose riechen? Würden meine Ohren nur ihren ausgeglichenen Herzschlag hören? Und was würde ich fühlen können, wenn ich eine Berührung wagen würde?

"Ich habe sie gefunden", fange ich an. Lucius lauscht neugierig. "Die Heilerin", ergänze ich, um meine Gedanken wieder auf den Auftrag zu lenken. Als ich nebenbei den Arm hebe, um die Augen vor dem Licht an der unebenen Steinwand gegenüber abzuschirmen, spüre ich die Klinge auf meinem Arm. Schnell verwerfe ich diesen Plan wieder.
"Es gibt nur ein Problem: sie hat ihre Magie nicht mehr."
"Ist sie tot?"

Die Magie ist das Einzige, was ihn interessiert. Nicht das Leben dahinter, nur die Magie. Was bringt ihm auch die Person, wenn die Magie das ist, was er braucht, um Sonelems Sicherheit zu garantieren? Was zählen schon unsere Gedanken, Wünsche und Gefühle? Vielleicht ist es für manch einen wertvoll, wenn ich nun berichte, was ich erfahren habe. Vielleicht bedeutet dies, dass wir dem Dienst entrinnen können, wenn die Menschen so gierig sind und die Magie für sich selbst beanspruchen.

"Sie hat sie abgegeben."
Lucius lacht auf, doch die Begeisterung hält sich in Grenzen. Es ist eher ein Geräusch der Verwunderung und Ungläubigkeit.

"Da hat sie dir ganz schön was vorgegaukelt."
Er bleibt vor mir stehen und blockiert somit das Licht. Schlagartig ebbt das Stechen in meinen Augen ab. "Oder ist sie etwa doch tot?"

Ich schüttele den Kopf und bereue es sofort. Mein Geruchssinn ist noch immer zu strapaziert, bringt meinen Kopf förmlich zum Dröhnen. "Sie lebt wie ein Mensch. Konnte problemlos Johanniskraut trinken."

Mein Gegenüber zieht eine Augenbraue in die Höhe, dann schreitet er weiter seine Kreise um mich ab. Als mich das Licht wie ein Schlag trifft, kneife ich die Augen zusammen. Hoffentlich hat das hier bald ein Ende.

"Also muss es einen Weg geben, immun gegen Johanniskraut zu werden", mutmaßt Lucius.
"Du hörst mir nicht zu." Lucius wirft mir über meinen bestimmten Ton einen warnenden Blick zu. Unverhohlen erwidere ich ihn. "Es zeigt keine Wirkung, weil es keine Magie gibt, die es unterdrücken muss."

"Es ist aber beides angeboren, nicht wahr? Die Magie und die Reaktion auf Johanniskraut. Warum schließt du dann die Immunität aus?"
Ich lächele. "Weil ich nicht mehr gekommen wäre, wenn das möglich wäre."

Das Johanniskraut ist unser größter Feind und der beste Freund der Regierung. Mit ihm begann die Macht über uns und mit einer Immunität würde der Einfluss weichen. Es zu berühren, ist eine Qual. Es in sich zu haben, raubt einem noch zusätzlich die Magie. Hätte ich dem Mädchen nicht geglaubt, wäre ich nicht hier. Die Magie abgeben zu können, interessiert mich nicht. Der Qual des Krautes entkommen zu können schon eher. Ich hätte so lange nach dem Weg zur Immunität gesucht, bis ich ihn gefunden hätte.

Auch wenn ich den Weg erst eingeschlagen hätte, nachdem ich auf die Spur gekommen wäre, wen ich schon seit zwei Jahren suche. Erst, wenn er selbst diese Tortur unter dem König erfährt, ist mein Rachegelüst gestillt. Auge um Auge. Eine Immunität wäre anschließend durchaus hilfreich. Mich dann von Lucius und der Regierung unter dem König abzusetzen, würde mir deutlich leichter fallen.

"Ich brauche mehr Zeit", versuche ich zu erklären. "Ich werde herausfinden, wie sie die Magie abgegeben hat."
"Nein." Des Königs Berater schnalzt unzufrieden. "Du bringst mir, wer die Heilung nun hat. Ich brauche keine Antwort, wie sie es gemacht hat. Ich brauche die Magie."

Die Klinge des Schwertes wandert meinen Arm entlang, gefolgt von einem Stechen, als die Spitze in meine Haut eindringt. Eine feine, rote Linie folgt der Spur. Ich verziehe keine Miene. Wenn dies die einzige Bestrafung bleibt und ich bald aus diesem sinnzermürbenden Raum darf, bleibe ich verschont.

"Und als Anreiz schicke ich einen weiteren Magier aus. Du solltest dich also beeilen. Wer länger braucht, erfährt weitaus mehr als nur einen kleinen Schnitt mit dem Schwert."

InhumanityWhere stories live. Discover now