31 • Talia

261 41 30
                                    

Vertrauen ist schwer. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Mutter ist schuld daran, dass ich nicht mehr vertrauen kann. Dass ich mich lieber von jemandem abwende als mich zu öffnen, geplagt von der Angst enttäuscht zu werden. Manchmal frage ich mich aber auch, ob es nicht Zeit wäre, darüber hinwegzukommen. Kann sich der Griff der Vergangenheit so lange an uns festkrallen oder bilde ich es mir nur ein, weil es manchmal leichter ist, nicht zu vertrauen?

Unsicher werfe ich durch den Spiegel nochmals einen Blick auf meinen Rücken, auf die blauen Flecken, die Lucius' Wut zeichnen. "Für die Blutergüsse", hatte Ash erklärt, bevor er mir die Creme überreicht hatte. Seit etlichen Minuten nun stehe ich also in seinem Bad, habe die Flecken an meiner Taille und auf meinem rechten Oberschenkel versorgt. Nur an die auf meinem Rücken gelange ich schlichtweg nicht, egal, wie sehr ich mich verrenke. Ich nehme einen tiefen Atemzug, schlüpfe erneut in Ashs Oberteil - meine liegen noch immer unberührt auf dem Sofa - und kehre zurück in die offene Küche. So viel Vertrauen werde ich doch hoffentlich aufbringen können.

"Besser?"
Das Ja liegt mir bereits auf der Zunge, doch ich halte es zurück. Was habe ich denn zu verlieren? Die letzte Grenze, die zwischen uns liegt, der Abstand, der uns noch trennt, zu überschreiten?
"Ich ähm...könnte deine Hilfe gebrauchen." Ashs Augen liegen unerschütterlich auf mir. "Also nur, wenn es dir nichts ausmacht."
Für einen Moment regt er sich kein Stück und ich kann sein Schweigen genausowenig deuten. Ist das seine stille Abneigung mir gegenüber? Hass? Verachtung?

"Ist auch eg-"
"Nein." Er räuspert sich. "Natürlich nicht."
Und warum genau hat diese Antwort so lange gebraucht?
Ich frage nicht nach, drehe mich lieber um und rede mir ein, dass ich viel zu viele Gedanken über diese Nichtigkeit verschwende. Dennoch kann ich die Warnung tief in mir nicht ignorieren, hasse mich selbst dafür, wie wehrlos und entblößt ich mich ihm gleich geben werde.

Mit einer flüssigen Bewegung ziehe ich das Shirt über meinen Kopf, presse es mir hilflos vor die Brust. Ich schließe die Augen, stelle mir vor, es wäre Luan und nicht der, der mir mein Leben zur Hölle machen wollte. Wollte. Was hat sich geändert, dass er davon abgekommen ist? Hoffentlich nur die Tatsache, dass Kaya lebt. Dass Luan nun nicht mehr als ein unnützer Name für ihn ist. Dass-
Überrumpelt schnappe ich nach Luft, reiße die Augen auf. Seine Finger sind nicht mehr als eine behutsame Berührung und doch trifft mich die Wucht seines Schmerzes unvorbereitet. Meine Finger krallen sich in den Stoff, derweil all meine Synapsen zu zerbersten drohen. Was hat Lucius mit ihm angerichtet? Er meinte, dass Ash weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich ihm widersetzt, aber das übertrifft all meine Vorstellungen. "Ash..."

Ich habe seinen Namen noch nicht einmal ausgesprochen, schon verschwinden seine Finger von meiner Haut und nehmen den Schmerz mit sich. "Entschuldige. Ich habe versucht, vorsichtig zu sein."

"Nicht das." Ungläubig drehe ich meinen Kopf, erhasche aus meinem Augenwinkel einen Blick auf ihn. Wie kann er sich bei solchen Schmerzen auf den Beinen halten, nicht eine Miene verziehen? "Was hat er mit dir getan?"

Ash lächelt träge, zuckt belanglos mit den Schultern. "Nichts weiter."
Fassungslos schüttele ich den Kopf. Wie kann er diese Qual für seine Rache über sich ergehen lassen? Was macht seine Magie nur mit ihm?

Ich biete ihm meine freie Hand an, habe nach den Schmerzen keine Probleme damit, die Energie in mir zu steuern.
"Kommt nicht in Frage", wehrt er ab. "Du brauchst deine Kraft für dich."
"Ich kann mich nicht selbst heilen."
"Und genau deswegen solltest du deinem Körper so viel Kraft lassen wie du hast."
Ich seufze. "Ash, mach' es dir nicht unnötig schwer."
"Deine eigene Gesundheit sollte dir wichtiger sein."
"Deine dir genauso."

Er bleibt außer Reichweite, derweil unsere Blicke ein stummes Gefecht miteinander austragen. Dabei habe ich bereits gewonnen. Er macht keine Anstände, meine Blutergüsse unbehandelt zu lassen und weiß dennoch, dass ich mit jeder Berührung seine Wunde heilen kann. Und werde.
"Ich müsste dir schon Johanniskraut unterjubeln, um dich davon abzuhalten, nicht wahr?"
Ein Lächeln bahnt sich auf meinen Lippen an. "Das wäre natürlich eine Option."

InhumanityWhere stories live. Discover now