14 • Talia

263 39 38
                                    

"Was ist passiert?"
Entgeistert blickt Luan zwischen meinen aufgeschürften Händen und der Wunde an meiner Schläfe hin und her. "Wer war das?"
Er greift nach meinem Arm und zieht mich auf einen Stuhl. Nebenbei bemerke ich, dass unser Boden lückenlos ist - er muss neue Dielen besorgt und eingesetzt haben.
"Lia? War das der Magier?"

"Nein. Das Training lief gut." Vorsichtig tasten meine Finger die Wunde ab. Wo bleibt meine Magie? Müsste sie nicht schon längst ganz begierig darauf sein, dem Blut ein Ende zu setzen? "Jemand hat mich angerempelt. Ich bin ungeschickt gestürzt."

Ihm zu offenbaren, dass sein Leben gerade auf dem Spiel steht, bringe ich nicht über mich. Ich habe uns in diese Situation gebracht und ihm damit mehr als genug Sorgen bereitet. Das Schlamassel zu beseitigen und ihn in Sicherheit zu wiegen, ist nun genauso meine Aufgabe. Da gibt es nur ein Problem - ich kann Simon nicht verraten. Obwohl mir eines nicht mehr aus dem Kopf geht. Simon ist gefährlich. Bezweckt Ash damit lediglich, dass ich es leichter über mich bringe, ihn auszuliefern oder ist daran etwas Wahres? Warum aber sollte er mich warnen?

"Das soll ich dir glauben?"
Behutsam tupft er die Wunde mit einem feuchten Tuch ab. Ich erhasche im Spiegel einen Blick darauf. Warum mangelt es mir gerade an meiner Magie? Ist es die Angst, dass Luan etwas zustoßen könnte, die sie zurückhält?
"Es ist die Wahrheit."
Luans eisblaue Augen treffen auf meine, während er die Wunde weiterhin versorgt. "Wenn du das sagst."

Er windet das Tuch aus, macht sich nun daran, meine Haare vom Blut zu befreien.
"Luan, ich kann das selbst", protestiere ich, doch er fährt unbeirrt fort.
"Wie war das Training?"
"Es war ein guter Anfang. Aber er meint, es wird noch eine Weile dauern, bis ich sicher im Umgang mit der Magie bin."
Mein Bruder lächelt zuversichtlich. "Du schaffst das schon."

Wenn ich wüsste, wie, könnte ich sicherlich beruhigt schlafen. Doch so halten mich die Sorgen und die Ungewissheit wach, gestatten mir keinen Schlaf. Luan ist in Gefahr, ich bin ihm bislang keine Hilfe, Simon ist möglicherweise nicht, wer er vorgibt zu sein, und Ash ist mir ein gefährliches Rätsel - ich werde nicht verhindern können, Simon direkt darauf anzusprechen. Rastlos drehe ich mich von einer Seite auf die andere. Mein Körper sehnt sich nach Erholung, mein Kopf hingegen findet keine Ruhe. Als es zwei Uhr schlägt, tapse ich barfuß in das Bad, betrachte die Wunde im Spiegel. Kann es sein, dass die Heilung nun nicht funktioniert? Wo bleibt diese Energie, die beim Anblick meiner zerfetzten Haut nicht widerstehen kann zu helfen?

Es ist wie atmen.
Vorsichtig fahre ich mit einem Finger die Wunde entlang, rufe die Erinnerung an meine Mutter hervor. Die Energie braust durch meine Arme, bringt sie regelrecht zum Glühen. Langsam atme ich aus, lasse die Kraft auf die Wunde strömen. Nichts. Verwirrt stecke ich mir das Haar hinter mein Ohr, trete näher an den Spiegel. Die Wunde ist kein Bisschen kleiner geworden. Frustiert seufze ich auf, als die Tür aufgeht.
"Alles in Ordnung?"

Luan steht auf der Schwelle, reibt sich verschlafen die Augen, als ihn das grelle Licht trifft. Ich schaue ihn an - ein Mann Mitte Zwanzig, keine Eltern, die Bürde seiner kleinen Schwester auf sich tragend und eine Arbeit, die ihn physisch schafft. Er hat so viel mehr verdient. Ein erstrebenswertes, glückliches Leben.

"Ich habe Angst", flüstere ich, meine Lippen zittern. Sie wollen die Wahrheit aussprechen, wollen ihm sagen, in welcher Gefahr er schwebt, doch mein Herz bringt es nicht über sich. Also schweige ich.

"Komm her." Er breitet einladend die Arme aus, umfängt mich mit einer warmen Umarmung. Ich schließe die Augen, lausche seinem Herzschlag. "Neues bereitet einem Angst, das ist völlig normal. Die Stärke darin zu erkennen, kann jeden neuen Moment zu einem schönen machen."

"Weise Worte von dir", kichere ich.
"Ich gebe mein Bestes." Luan streicht mir über den Kopf, ich entnehme seiner Stimme das Grinsen. "Soll ich dir vorlesen?"
Früher hatte mir mein Vater immer vorgelesen, wenn mich Albträume geplagt hatten. Seit er tot ist, hat Luan das übernommen. Ich bin seine sanfte Stimme derart gewohnt, dass er meist kein Kapitel beendet hat, bevor ich eingeschlafen bin.
"Ja, bitte."

InhumanityWhere stories live. Discover now