30 • Talia

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Mir ist übel. Ich drehe mich vom Bett, hole im nächsten Moment schon meinen gesamten Mageninhalt hervor.
"Das ist...eine erfreuliche Begrüßung."

Will steht auf einmal neben mir, greift mir in die Haare, um sie mir aus dem Gesicht zu halten. Erst als sich mein Magen beruhigt, tritt er näher, zieht mich in seine Arme. Tränen des Schams treten mir in die Augen, mein Körper zittert unkontrolliert.
"Alles halb so schlimm, Feuerteufel."

Ich schüttele den Kopf, kralle mich an seiner Schulter fest. "Es tut mir leid."
Meine Stimme ist ein Kratzen, doch immerhin habe ich die Macht über meinen Körper wieder. Mit der Kontrolle ist jedoch auch wieder das Gefühl in ihn zurückgekehrt, das Stechen und Brennen in meinem Magen, die empfindlichen Blutergüsse. Tief in mir pocht die Wärme meiner Magie, dringt bis in meine Fingerspitzen vor. Wills Verletzung ist nicht offensichtlich, doch ich spüre sie. Als könnte meine Magie sie fühlen, wenn ich ihn nur berühre.

Langsam lasse ich meine Energie auf ihn hinüber, fürchte mich zugleich vor dem, was ich bei Kalian erlebt habe.
"Was genau? Dass du Simons Leben oder Ashs Hoffnung gerettet hast? Oder dass du mich gerade geheilt hast, obwohl du dich schonen solltest?"

Erleichtert schluchze ich auf. Das hier ist Will, keine Halluzination. Neugierig wirbele ich herum, lasse meinen Blick über die Möbel gleiten. Sie sind zu schlicht, um dem Palast anzugehören, das Zimmer mit den zahlreichen Büchern auf dem Regal gegenüber und der kleinen Pflanze in der Ecke zu gemütlich, um aus dieser Tristlosigkeit zu stammen.

"Wo sind wir?", frage ich vorsichtig, weiß nicht, ob ich die Antwort wirklich hören möchte.
"Bei Ash." Erschrocken öffne ich den Mund, suche nach passenden Worten, doch finde sie nicht. Warum sollte er sich selbst in diese Gefahr bringen? "Keine Sorge, du bist hier sicher."
"Aber-"
Will lächelt mich zuversichtlich an. "Auch Ash macht dir sicherlich nichts."

"Und wenn Simon sicher ist, dann müsst ihr den Artikel gefunden haben."
"Ash kann sich auf seine Sinne verlassen. Ich war nur im Ballsaal."
"Nur?" Will hat sich in die Höhle der Löwen begeben, wortwörtlich. Auch wenn ihm seine Magie zugute kam, das Spiel mit dem Licht und den Farben selbst mich völlig verunsicherte, hat er sein Leben für mich riskiert. "Du hast-"
"Ich verdiene keine Dankesrede, Talia. Bedanke dich bei Ash. Das war seine Idee." Will deutet auf mein Handgelenk. Ich muss nicht hinschauen, um mir des Gewichts der Perlen bewusst zu werden. "Falls du Zweifel daran hast, ob er sich auch um andere schert - er hätte dein Armband auch einfach liegen lassen können."

"Was aber mache ich hier?"
Ash hat nach seiner Antwort gesucht und sie gefunden. Umso unbehaglicher wird mir, da ich weiß, dass ich nun wertlos bin, wie er es bei unserer letzten Begegnung deutlich genug ausgedrückt hatte.

"Soll er dich etwa alleine in Meral absetzen?"
"Vielleicht an Simon abschieben?"
Will grinst. "Glaub mir, das wäre das Letzte, was er machen würde."
"Was dann?" In diesem Zustand bin ich ihm nur eine Last, nichts weiter.
"Warum fragst du ihn das nicht selbst?"

Ich blicke zur Seite, bin nicht sonderlich davon angetan, Ash gegenüber zu treten. Wir finden Luan, Talia. Er hat ihn nicht umgebracht, immerhin. Dafür weiß er genauso wenig, wo mein Bruder ist. Nicht, dass ich ihm Luans Verschwinden jetzt noch vorwerfen könnte.
Will deutet aus dem Zimmer hinaus auf einen Tisch. "Ash hat dir ein paar seiner Klamotten zurecht gelegt, die dir mehr oder weniger passen dürften. Das Kleid ist sicherlich auf die Dauer nicht bequem. Falls du dich waschen möchtest, das Bad ist ein Zimmer weiter."
"Ich sollte wohl zuerst hier sauber machen."
Will grinst. "Und lüften."
Auf jeden Fall. Wenn Ash schon Berührungen wahrnimmt oder gar meine Berührung des Zeitungsartikels registriert hat, wie soll ich diesen Gestank nur wieder vertreiben?

InhumanityWhere stories live. Discover now