69 • Talia

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"Das steht ja wohl nicht zur Diskussion!"
"Das sind unsere Feinde. Natürlich steht das zur Diskussion!"
"Am Ende des Tages sind das Menschen und Magier wie du und ich! Willst du etwa fernab von deiner Heimat ins Meer geschmissen werden?"
"Das Meer grenzt an Payla." Fassungslos wirft Will die Hände in die Höhe. "Zumal ich mir noch keinen Kopf über meine Beerdigung gemacht habe."

Die brünette Magierin, die sich wenig von seinem Widerspruch gefallen lässt, verschränkt die sonnengebräunten Arme vor der Brust und verengt die Augen. "Deinen Daumen hast du dann etwa auch lieblos ins Meer geworfen?"
Will grinst neckisch und nimmt damit seine Antwort vorweg. "Tatsächlich, ja. Sollte ich ihn etwa mit der Post nach Hause schicken?"

Ich bleibe stehen und stupse Ash in die Seite. "Das erinnert mich an etwas."
Amüsiert zieht er eine Augenbraue in die Höhe und lässt seinen Blick zwischen der Magierin und Will hin und her gleiten. Dann scheint er in Erinnerungen zu schweben, welche Diskussionen wir uns schon erlaubten. Meine Güte, wir hatten sogar über vergiftetes Essen diskutiert, als mein Misstrauen noch überwogen hatte. "An uns?"

"Ich hatte mich anfangs schon ein paar Mal dafür verflucht, dass ich dich nicht im Handumdrehen hatte verbrennen können", gestehe ich. Zumindest als er mir noch eine Bedrohung zu sein schien und ich noch keinerlei Ahnung hatte, wie ich diese Energie in mir steuern konnte.

"Das sagst du mir jetzt?"
"Du wusstest es die ganze Zeit", widerspreche ich, ernte ein leises Lachen und lenke meine Aufmerksamkeit wieder auf die zwei Magier vor uns. Luan sitzt am Fuß der Treppe, tupft seine Wade mit einem nassen Tuch ab und verdreht nur die Augen, als sich unsere Blicke kreuzen. Das genügt, um mir auszumalen, wie lange diese Diskussion schon anhält.

"Du solltest deinen moralischen Kompass ein wenig überdenken", wirft sie Will gerade vor und schleppt eine Leiche auf den Rasen. Bereits mehrere liegen dort in einer Reihe. Im Palast ist hingegen reges Treiben. Sonelems Verluste werden weitaus behutsamer umsorgt, als die, über deren Körper hinweg getrampelt wird. Doch so sehr ich Payla auch für das verachte, was sich auf unserem Boden zugetragen hat, muss ich der Magierin zustimmen: das sind Menschen und Magier wie wir.

"Ich?" Will schaut ihr dabei zu, wie sie zur Treppe läuft und ein kleines Mädchen anhebt. "Hör mir mal zu, ..."
"Mina", brummt sie in die langatmige Stille.
"Payla hat nicht einmal einen moralischen Kompass, wenn sie krampfhaft versuchen, ein anderes Land einzunehmen, Mina."
"Deswegen sollten wir besser sein."

"Sie hat Recht, Will", mische ich mich ein.
"Nicht auch noch du, Feuerteufel!" Er keucht auf, als würde er selbst und nicht die junge Frau soeben die nächste Leiche in den Rasen ziehen. "Ash, hilf mir aus. Wir vergeuden zu viel wertvolle Zeit, wenn wir deren Leichen zurückschicken."

"Welche Strategie Sonelem verfolgt, liegt definitiv nicht in meiner Hand. Das muss mit den Beratern abgesprochen werden", stellt sich Ash jedoch quer.
"Zumal sie sich nicht ausgesucht haben, in welchem Reich sie geboren wurden", füge ich hinzu. "Ein Leben ist ein Leben, egal auf welcher Seite."

Selbst Runa hätte es nicht verdient gehabt, dass man ihren Leichnam den Haien zum Fraß vorwirft. Stattdessen hatte Ash auch sie verbrannt und mir erklärt, dass die Körper der Toten hier im südlicheren Teil des Landes üblicherweise nicht vergraben werden, nachdem er mir meine Verwirrung entnahm. Immerhin hatte ich geglaubt, dass die Feuerbestattung lediglich seine Präferenz hinsichtlich Kaya gewesen sei, doch wie ich nun weiß, ist das deutlich mildere Wetter dafür verantwortlich. Die Leichen würden zu schnell verwesen. Dennoch finde ich die Vorstellung grauenvoll, keinen Platz zu haben, an den ich immer wieder zurückkehren kann, wenn ich die Nähe zu meinem Vater suche.

Will öffnet den Mund, vermutlich um mir einen Vortrag darüber zu halten, dass ich nicht über den Wert eines Lebens zu debattieren habe, nachdem ich allein sicherlich ein Viertel von Paylas Armee umgebracht habe, doch Ash schnalzt nur knapp mit der Zunge. Damit ist das Thema abgehakt. Für Will zumindest. Ich hingegen schlinge die Arme um meinen eigenen Körper, als sich das Gewissen in mir fest nagt. Ash entgeht es natürlich nicht. Er beugt sich zu mir, streicht mir über die Arme und schenkt mir ein warmes Lächeln.

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