37 • Ash

248 41 20
                                    

"Ist deine Identitätskrise etwa schon wieder vorbei?" Die goldenen Armreifen klimpern, als Runa die Arme kreuzt und mir zum ersten Mal, seit wir uns kennen, nicht sofort Eintritt in ihre Wohnung gewährt.

Möglicherweise habe ich ihr letztes Mal vorgejammert, wie chaotisch mein Leben doch gerade sei und dass ich ein wenig Abstand von ihr, Lucius und jedem atmenden Lebewesen brauche, alles, um sie von Talia fernzuhalten.

Ihrer Naivität sei dank hat sie noch nicht einmal die Lücken in meiner Notlüge erkannt, nachdem ich ihr erzählt habe, dass meine Suche nach Simon ergebnislos war. Nur, dass mich Simon nicht mehr interessiert. Wozu denn auch, wenn Kaya irgendwo dort draußen ist, vielleicht näher als gedacht? Wenn Talia in meinem Bett liegt, mir unbewusst im Schlaf die Decke klaut und ihre Haare mich im Gesicht kitzeln - heute in der Frühe aufzustehen, war so schwer, wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Nur zu gerne wäre ich liegen geblieben, hätte den warmen Sonnenstrahl auf meiner Nase genossen und ihrem ruhigen Atem gelauscht. Wäre da nicht Wills falsche Erinnerung, die mich geradewegs hierher geführt hat.

"Ich brauche deine Hilfe."
Wenn meine Befürchtung wahr wird, ist es Will, der Hilfe braucht, nicht ich.
"Ich fasse es nicht! Hau mir bloß mit deiner Philosophie ab!"
Sie will mir die Tür vor der Nase zuschlagen, doch ich fange sie ab. "Keine Lebensweisheiten, Runa. Deine Magie."
"Oh. Na dann hereinspaziert in das Stübchen."
Ein penetranter Geruch nach Vanille in ihren Mänteln direkt neben der Türe empfängt mich, blockiert meine Gedanken. Ich rümpfe die Nase, würde am liebsten das Atmen einstellen. Oder besser - Talia in meiner Nähe haben. Ein Grund mehr, das hier schnell hinter mich zu bringen.

"Simon? Kaya? Wer hat dich aus deiner Misere geholt?"
"Simon." Langsam muss ich Vorsicht geben, dass ich mich nicht in dem Lügennetz verfange. "Dieses Mal werde ich ihn finden."

Mit einer flinken Armbewegung fegt sie leere Flaschen, Bücher, Steine und Kerzen vom Tisch - sie hat wieder einmal versucht zu zaubern. Erfolgreich scheint sie dabei nicht gewesen zu sein, nachdem alles lieblos auf dem Boden landet. "Hast du etwa etwas von ihm?"
"Ein Haar." Genau genommen habe ich es vom Sofa aufgesammelt. Wie sollte ich sonst an etwas kommen, das es ihrer Magie möglich macht, seine zu orten? Hätte ich Will um seine Jacke gebeten, wäre er wachsam geworden und hätte mir möglicherweise meinen Plan durchkreuzt.

"Nur eines?"
"Er hat sich nun mal nicht in meiner Anwesenheit die Haare gestutzt. Sonst würde deine Magie ihn nun im Palast bestimmen."
Runa schmunzelt, dreht eine schwarze Haarsträhne zwischen den Fingern. "Das stimmt auch wieder. Also...?"
Sie will wieder etwas, vorzugsweise ein Zauberbuch. Dass sie nicht längst aufgegeben hat, wundert mich. Geduld ist bekanntlich keine ihrer Stärken, nicht, dass ich mich darüber beschweren dürfte.

"Hier." Ich reiche ihr die letzten gelben Blüten, das letzte Bisschen Johanniskraut, welches ich für meine Aufträge zu Hause deponiert hatte, obwohl ich es nur ungerne hergebe. Aber da ich kein Zauberbuch zur Stelle hatte, muss das genügen - immerhin erhofft sie sich, einen Weg um die Wirkung des Krautes zu finden.
"Du bist ja ein Romantiker. Schönere Blumen kann man sich als Magierin nicht wünschen."

Sie nimmt das Kraut, streng darauf bedacht, die Blüten nicht zu berühren, legt es behutsam auf die Fensterbank und deutet auf den Tisch. "Irgendwelche Begrenzungen?"
"Sonelem müsste genügen."
Zumindest kann Will nicht so schnell zwischen Orten hin und herpendeln, wie Simon oder ich. Er müsste schon einen strikten Zeitplan haben, wenn er sich unbemerkt in anderen Reichen aufhalten würde. Zumal Torin das nicht gutheißen würde - aber wer weiß, wie viel dieser noch bei Will zu sagen hat?

Runa holt eine Karte aus dem Schrank, breitet sie auf dem Tisch aus und befestigt sie wie gewöhnlich mit Kerzen an jeder Ecke. Ich reiche ihr Wills Haar, erleichtert, dass sie es nicht wiedererkennt, obwohl sich die Beiden vor nicht allzu langer Zeit begegnet sind, als er mein Haus gestürmt hat. Als möglicherweise all seine Erinnerungen bereits manipuliert waren.
Das Messer sticht in Runas Hand, dann fließt ein Tropfen am Haar entlang und tropft mittig auf die Karte, ein wenig nördlich von Sonelis. Dieses Mal dauert es nicht so lange, wie mit der Ortung von Magie in Meral. Der Tropfen gleitet über vereinzelte Städte, bevor er auf einem Dorf nicht weit entfernt von Riyak verharrt. Ich beuge mich nach vorne. Niraka. Sagt mir zwar nichts, doch da es auf der Karte kleiner wirkt als Riyak und Meral, werde ich mich auf meine Sinne verlassen können.

InhumanityWhere stories live. Discover now