39 • Talia

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"Weißt du, dass du die Erste bist, die mir jemals ein Kompliment gemacht hat?"
Ich drehe den Kopf, versuche seine Gesichtszüge in der Finsternis der Nacht zu erfassen.
"Das wundert dich?" Seine Zähne blitzen auf, als ihm ein Grinsen entweicht. "Immerhin war ich anfangs auch nicht sonderlich angetan von dir."

"Du nanntest mich ein Arschloch."
"Du warst auch eins", merke ich an und schlinge die Decke um meine Beine, sodass kein sanfter Windhauch an meine nackten Zehen kommt. Ash schüttelt nur den Kopf, kaum deute ich auf die Decke.

"Das stimmt", murmelt er, spielt mit einer meiner Haarsträhnen, dreht sie zwischen den Fingern hin und her. "Ich beschädige wohl deine gute Erziehung."
Tatsächlich habe ich selten derartige Beleidigungen in den Mund genommen. "Ich glaube, Luan würde dir deinen schlechten Einfluss verzeihen."
"Wirklich?" Ich muss nicht hinschauen, um zu wissen, dass er eine Augenbraue in die Höhe zieht. "Verleugnen wir dafür die Tatsache, dass er mein Druckmittel war?"

"Sicherlich nicht. Luan war es nur stets wichtig, dass ich glücklich bin."
Ash legt mir einen Zeigefinger unter das Kinn, dreht meinen Kopf so, dass ich seinen forschenden Blick nicht umgehen kann. "Bist du es?"

Ich setze bereits zu einem Was denkst du denn? an, da stocke ich. Ashs Körper an meinem Rücken spannt sich an. Mein Zögern ist ihm nicht entgangen, natürlich nicht. Aber bin ich denn wirklich glücklich? Ohne Luan scheint mir ein Stück meines Glückes zu fehlen. Das kann selbst Ash nicht ersetzen. "Soweit es mir ohne ihn möglich ist."

Erleichterung funkelt mir entgegen. "Dann finden wir ihn hoffentlich so schnell wie möglich."
Obwohl ich weiß, dass er es ganz und gar nicht intendierte, wende ich entmutigt den Blick ab, lasse ihn über die weit in der Ferne schimmernden Lichter am anderen Ende des Sees schweifen. Dass es bislang kein einziges Lebenszeichen gibt, ist ernüchternd. Deprimierend. Wenn das überhaupt genügt. Denn trotz der Zuversicht in die Hoffnung, beginnt sie zu bröckeln.

"Ich schaffe es einfach immer, alles mit Worten zu ruinieren, nicht wahr?" Ash streift mir meine Haare über die Schulter, haucht mir einen zarten Kuss in den Nacken. "Tut mir leid."
Ich schließe die Augen, koste den wohligen Schauer auf meinem Rücken, den sein heißer Atem entfacht, aus. "Das Problem sind nicht deine Worte, sondern diese Ohnmacht. Ich meine, ich habe nichts. Keinen Hinweis, kein Lebenszeichen, absolut nichts." Meine Finger streichen die Decke glatt, immer wieder, dabei kann das Mondlicht schon längst keine Falten mehr andeuten. "Und mit Kaya ist es kein Stück besser."
"Vermutlich doch."

Ich schnelle zu ihm herum, so weit es mir sein Griff um meine Taille gestattet. "Und damit rückst du erst jetzt heraus?"
"Wir waren beschäftigt", erklärt er völlig unbeirrt.

Meine Wangen glühen schlagartig. Ich bete, dass die Finsternis die Röte verschluckt, doch sein sanftes Lächeln verrät mir, dass dem nicht so ist. Ja, beschäftigt, so kann man es auch nennen. Meine Körper ist noch immer dabei, diese Hitze zu regulieren, meine Beine zittern noch immer - und ich weiß ganz genau, dass Ash es auch weiß. Ihm entgeht absolut nichts. "Du hättest davor etwas sagen können. Wir könnten jetzt schon auf dem Weg sein."

"Jetzt? Mitten in der Nacht?" Sein Lächeln wirkt nun eher amüsiert. "Hatte ich dir nicht gesagt, dass du dir zu viele Gedanken um Andere machst? Die wenigen Stunden werden nicht fatal sein."
"Mhm", entweicht es mir wenig überzeugt. Würde es um Luan gehen, würde ich schon lange nicht mehr auf dem Steg sitzen, Ashs Umarmung genießen und dem Frieden der Nacht lauschen. "Ich verstehe nur eines nicht: du hast dich selbst Lucius ausgesetzt, um sie zu finden, lässt dir dann aber Zeit, wenn du einen Hinweis hast. Warum?"
"Weil etwas faul ist", bedenkt er. "Und solange ich nicht weiß, was, werde ich nichts überstürzen."

"Inwieweit faul?"
Seine Finger malen sanft Kreise auf meine Taille, zeigen mir, dass er in seine Gedankenwelt abdriftet. "Es hört sich absurd an."
"Nichts ist absurd in einer Welt voller Magie."
"Ich vermute, dass Will weiß, wo Kaya ist."
Überrascht zucke ich zurück. "Will? Wie kommst du denn darauf? Und wieso sollte er es dir nicht sagen?"
"Seine Erinnerungen sind durcheinander", erklärt Ash. "Kaya kann Erinnerungen manipulieren."
"Und wenn ihm sein Gehirn einfach einen Streich spielt?"
Was, wenn Ash nur mehr da hineininterpretiert als es wirklich ist, weil er sich wünscht, dass es ein Zeichen von Kaya ist? Wenn er sich verzweifelt an jedes Fünkchen Hoffnung klammert, weil es das Einzige ist, was wir haben? Wie bitter kann eine nächste Enttäuschung noch werden?

InhumanityWhere stories live. Discover now