45 • Ash

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Durch die Fenster der Küche und des Wohnzimmers dringt Licht, wirft verzerrte Konturen auf das Gras. Ich bleibe im Schatten der Bäume, wage keinen Schritt vor. Sind die Magier etwa noch immer hier? Das kann ich kaum glauben und doch deutet das Licht in der einsetzenden Nacht darauf hin. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, das Haus zu stürmen und Talias Buch und Klamotten zu holen, doch ich würde ihnen ins Messer laufen.

Vorsichtig ziehe ich mich zurück, versuche von der anderen Seite einen besseren Blick, Geruch, irgendein Geräusch zu erhaschen, das mir verrät, wer in meinem kleinen Haus auf mich wartet. Dort grast ein Pferd, beäugt mich skeptisch von der Seite als ich ihm zu nahe komme. Und doch riechen meine alamierten Sinne sofort, wer sich darauf geschwungen hat. Verwirrt runzele ich die Stirn. Was macht er denn hier?

Behutsam trete ich Schritt für Schritt näher, mag nicht ganz glauben, was ich wahrgenommen habe. Meine Sinne schnappen das leiseste Rascheln der Blätter in der Baumkrone, das ruhigste Plätschern des Wassers gegen den Steg und den einsamen Herzschlag im Inneren des Hauses auf. Ein Herzschlag, nicht mehr. Ich konzentriere mich darauf, gehe sicher, dass ich mich nicht irre. Nein, nur er. Talia ist nicht bei ihm.

"Ehrlich gesagt bist du ganz und gar nicht, mit wem ich gerechnet hätte."
Luan sitzt auf meinem Sofa, nichtsahnend, wer vor wenigen Stunden noch hier war, und faltet ihren Umhang sorgfältig zusammen. Das, warum auch ich mich wieder hierher gezwungen habe. Sollen die Bewohner Riyaks oder Lucius doch Kayas Buch haben, meine Habseligleiten, aber nicht ihre - das kann ich nicht zurücklassen, das hat ihr etwas bedeutet.

"Ich weiß nicht, ob ich mein Todesurteil unterschrieben habe, als ich dieses Haus betreten habe." Luan hebt den Kopf, unter seinen Augen ruhen tiefblaue Ringe - vermutlich hat er kein Auge mehr zugemacht, seit er das letzte Mal in Riyak war. "Aber ich hoffe auch weiterhin auf deine Ehrlichkeit."

In seiner linken Hand ruht eine silberne Mundharmonika. Mein Mundwinkel zuckt in die Höhe - Talia. Natürlich. Sie will ihn vor mir schützen, weiß aber nicht wie. Sicherlich weiß sie noch weniger, dass er zurück nach Riyak gegangen ist. Dennoch haftet ihr rosiger Duft an ihm, an seinen Armen, an seinem Oberteil - sie sind zusammen nach Meral. Hoffentlich.

Ich schiebe mit der Schuhspitze die Glasscherben auf dem Boden zusammen, lehne mich gegen die Wand. Zwischen uns ist genügend Abstand, um ihm nicht das Gefühl zu geben, ihn gleich attackieren zu wollen. Genug Abstand und die Spuren der Auseinandersetzung mit den Magiern vor Einbruch der Dämmerung.

"Wenn du hier bist, um dich zu rächen-"
"Das überlasse ich ihr." Luan schüttelt den Kopf. "Ich habe nur Fragen."
Ich auch, angefangen damit, ob sie auf mich gehört hat. Dennoch schlucke ich meine Neugierde hinunter und nicke. Er ist nicht gekommen, um mir meine Fragen zu beantworten.

"Ich höre."
Luan knackst mit den Fingern, meidet meinen Blick, ist sichtlich nervös. Er traut mir kein Bisschen - wie sollte es auch anders sein?
"Weißt du, was das Problem mit deiner Schwester ist?" Alles - ihr Hass mir gegenüber, ihre verfluchte Magie, ihre Macht über meinen besten Freund. Ja ich weiß es, aber ich bin gespannt darauf zu hören, was Luan glaubt über Kaya zu wissen. "Ich habe keine Ahnung mehr, wo ich die letzten Wochen war. Ich weiß es einfach nicht mehr - nichts. Aber ich weiß, was ich in dieser Halle gesehen und gehört habe. Vielleicht habe ich es nicht gleich verstanden, aber ich hatte einen kompletten Tagesritt Zeit, um zu verstehen. Und auch wenn Lia deinen Namen nicht einmal in den Mund genommen hat, so hat sie dennoch Worte über deine Schwester verloren."

Kein Wort, kein einziges, kleines Mal, nicht einmal eine zutiefst enttäuschte Beleidigung war ich ihr wert. Ich atme tief ein, verdränge den Stich in meiner Brust und konzentriere mich auf Luan.

"Was hat sie gesagt?"
"Dass sie sich wünscht, Kaya würde sie aus den Erinnerungen eines gewissen Magiers löschen. Sodass wir unseren Frieden haben können." Luan deutet auf mich. "Du bist der Magier von dem sie sprach."
Ich nicke. Gewiss.
"Sie wollte mir lediglich sagen, dass du eine Gefahr bist, aber sie hat damit das sortiert, was ich hier in Riyak gesehen habe. Es geht nicht um deine Erinnerungen, sondern um ihre. Deine Schwester hat meine manipuliert."

InhumanityWhere stories live. Discover now