35 • Ash

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Sie schließt die Augen, legt den Kopf in den Nacken, vertraut mir blind. Behutsam schiebe ich ihr Kleid ein wenig hoch, spüre die warme Haut unter meinen Fingern, die Anspannung in ihren Muskeln, das pulsierende Blut in ihren Adern. Ihr Körper ist eine Versuchung, eine Qual für meine Beherrschung, eine plagende Verlockung für weitaus mehr als nur meine Sinne. Ich presse die Kiefer aufeinander, lausche ihrem flattrigen Atem, zu flattrig, halte sofort inne - für meine oder ihre Kontrolle?
"Wenn es zu viel wird..."

Ich muss den Satz nicht beenden. Auf ihren Lippen formt sich das einnehmende Lächeln, steckt mich regelrecht an. "..., dann werde ich es sagen." Ihre meerblauen Augen treffen auf meine, eine Flut der Erheiterung liegt in ihnen. "Sind wir nicht längst über den Punkt hinweg, an dem wir nicht aufrichtig zueinander sind?"

"Diesen Eindruck hast du mir jedenfalls gegeben."
Ihre Wangen erröten, ihr Blick weicht meinem aus. Gott - ihre Verlegenheit fordert mich geradewegs dazu auf, jegliche Zweifel und Unsicherheiten mit Küssen zu ersticken. Jede Faser meines Körpers zerrt an dem Gedanken und doch halte ich mich mit aller Kraft zurück, strapaziere nicht ihr Vertrauen, lasse ihr den Freiraum, den sie braucht. Auch wenn es von meiner Beherrschung zehrt, auch wenn mich bereits der Anblick ihrer Lippen geradezu in den Wahnsinn treibt, weil ich weiß, wie sie die Welt zur vollkommenen Ruhe bringen. Weil ich noch immer ihre Lippen auf den meinen schmecken kann.

"Du musst mich missverstanden haben. Ich war nur ein wenig besorgt - nicht einmal dir wünsche ich es, dass du in Lucius' Hände gelangst."

Meine Finger streichen den Saum glatt, als müsste ich mir selbst eine Barriere errichten. Als könnte mich das Stück Stoff bremsen, wenn ich mich nicht an dem letzten Quäntchen Selbstbeherrschung festhalten könnte, derweil sich ein Grinsen auf meinen Mund stiehlt. "Verdammt. Und ich dachte schon, dir würde etwas an mir liegen", murmele ich, lege einen Hauch von Enttäuschung in meine Stimme. "Küsst du aber jeden so, den du von den Beratern fernhalten möchtest, dann werde ich dich nicht in die Nähe eines anderen Magiers lassen."

Ich greife nach dem Tuch, reinige ihre Wunde sorgfältig vom Knöchel bis hoch zum Knie, bloß nicht zu viel Druck, damit die Kruste nicht aufreißt. Talia beobachtet mich, ringt im Kampf der Müdigkeit um die Kontrolle über die Magie. Auch wenn meine Wunde beinahe verheilt ist, will ich nicht, dass sie sich selbst Schmerzen zufügt und habe sie darum gebeten, das Gleichgewicht zu bewahren. Immerhin wollte sie die Wunde gar nicht erst reinigen, sondern sich gleich schlafen legen, doch ich weiß aus Erfahrung, dass damit nicht zu spaßen ist - die Fieberschübe, die mich nach ebendiesem Fehler mehrere Nächte wachgehalten haben, sind bis heute unvergessen.

Also sitzt sie mitten in der Nacht auf der Kommode neben dem Waschbecken, nachdem wir auf schnellstem Wege wieder zurück nach Riyak geritten waren. Talia hatte den gesamten Weg zurück geschwiegen, war vertieft in ihre Gedanken und auch wenn mir ihre Stimme gefehlt hatte, ließ ich ihr die Ruhe.

Die Tatsache, dass zwei Magierinnen ihr Leben verloren, setzt ihr zu, doch keine von ihnen hätte uns gehen lassen, dessen war ich mir sofort bewusst, als ich der ersten gegenüber stand. Die Leichen der beiden Mädchen hatte ich versteckt, sodass kein hungriges Tier an sie gelangen wird. Lucius oder einer seiner Handlanger wird sie dennoch finden - in wenigen Tagen wird ihr Verschwinden zweifelsohne auffallen. Talia hatte in der Zeit die Pferde geholt, die nun vor der Türe nächtigen, da es an Dreistigkeit wohl kaum zu überbieten gewesen wäre, hätten wir deren Besitzer um ein Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen.

"Du nimmst das also wirklich ernst."
"Ich spiele nicht." Nicht mit ihren Gefühlen. Niemals. Sie hat mir ihr Herz anvertraut und ich werde alles in meiner Macht stehende dafür tun, dass es heil bleibt. Sie hat bereits zu viel durchgemacht, noch mehr verloren - ihr Vertrauen zu bekommen, ist eine Ehre.

InhumanityWhere stories live. Discover now