38 • Talia

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Meine Hände greifen ins Nichts, überall nur Wasser, kein Halt. Ich schnappe nach Luft, versuche an der Oberfläche zu bleiben. Der Steg ist fast zum Greifen nah, fast.

Panisch paddele ich mit den Armen auf dem Wasser, darüber, darunter, irgendwie Luft zum Atmen bekommen. Meine Füße suchen nach dem Grund, finden ihn nicht. Im nächsten Moment ist Ash bei mir, packt mich unter den Armen und hält mich mühelos über der Wasseroberfläche.

Besorgnis in seinen Augen, eine stumme Entschuldigung, nur solange, bis mich die kontrollierten Bewegungen meiner Beine verraten. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, als sich seine Augen weiten und die Erkenntnis widerspiegeln.
"Talia Vermillion!"
Mein kläglicher Versuch, eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen, muss komisch aussehen. "Ashton Monroe?"
"Du kannst schwimmen", stellt er fest, doch löst nur widerwillig seinen Griff, als würde er dem nicht ganz trauen.

"Habe ich jemals etwas anderes behauptet?" Seine Mimik ist eine wirre Mischung aus Vergnügen, Schrecken, Erleichterung - vielleicht hätte ich mir einen harmloseren Streich aussuchen können, um es ihm heimzuzahlen, dass er mich vom Steg gestoßen hat. Das wäre jedoch zu schade um die gebotene Gelegenheit gewesen. "Zu meiner Verteidigung: ich habe es mir nicht ausgesucht, eine Runde schwimmen zu gehen."

Obwohl der See den berüchtigt warmen Gewässern im Süden alle Ehre macht - keine Gänsehaut, nur das angenehme Wasser, das uns umgibt. Vielleicht bin ich aber auch abgehärtet, nachdem mein Vater Luan und mir das Schwimmen im eisigen, peitschenden Meer nach Payla lehrte.

Ash fährt sich durch die nassen Haare, streicht sie aus der Stirn. "Tut mir leid, ich habe meine Magie vergessen."
Meine Hand streift über die Oberfläche, badet in der Spiegelung der ersten funkelnden Sterne, derweil ich meinen Blick nicht von ihm lösen kann. Von den Tropfen, die sich über seine mir nur allzu bekannten Lippen bahnen, von dem schwarzen Shirt, das an seiner Haut klebt und das Schauspiel der Muskeln darunter betont, von seinen wachsamen Augen.
"Weniger leid tut es mir darum, dass Simons Geruch hiervon schwindet." Seine Finger schlingen sich zwischen meine, ziehen mich näher an ihn. "Und hier." Die freie Hand findet den Weg in meine Haare, dort, wo auch Simon mich berührt hat. "Zu seinem Glück ist er aber nicht hier." Langsam, vielmehr sanft streicht sein Daumen über meine Unterlippe, derweil mich seine im fahlen Mondlicht nur noch glühendere Iriden gefangen nehmen.

Mein Atem stockt, wartend, verlangend. Doch Ash regt sich kein Bisschen, nur das Wasser zwischen unseren Körpern wiegt gleichmäßig hin und her.
"Ich kann ihn nicht einfach aus meinem Leben stoßen", versuche ich mich zu verteidigen.
"Das verlange ich auch nicht." Seine Hand wandert weiter, streicht mir eine nasse Haarsträhne hinter das Ohr. "Das ist dein Leben, nicht meines. Ich habe nicht das Recht dazu, über dich zu bestimmen. Keiner hat das. Und auch wenn Simon und ich in diesem Leben sicherlich keine Freunde mehr werden, rechne ich ihm hoch an, dass er dir eine wichtige Hilfe war. Zumindest als es um deine Magie ging."

Das sind überraschend würdigende Worte, nicht, was ich jemals aus Ashs Mund erwartet hätte. Weitaus anerkennender als die, welche Simon genutzt hatte, um mir seine Meinung über Ash einzutrichtern - vergebens. "Zeit heilt jede Wunde. Vielleicht ist ja doch-"
Ich breche ab, als Ash den Kopf schüttelt. "Simon geht es schon lange nicht mehr darum, dir mit deiner Magie zu helfen. Dir zu bringen, was sie vernichtet, ist der beste Beweis dafür. Ihm geht es um dich. Ich müsste lügen, um sagen zu können, dass ich nicht eifersüchtig wäre. Aber das ist mir egal - du bist hier, nicht bei ihm. Das ist alles, was für mich zählt."

Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. "Du bist unverfroren ehrlich." Wer gibt sonst ohne zu zögern preis, dass die Eifersucht in einem schlummert? Dass selbst die Person, die man am meisten verachtet, Gutes hat?
Ash schmunzelt. "Ist das etwa ein Kompliment?"
"Das kannst du sehen, wie du willst."
"Ich will wissen, wie du das siehst."

InhumanityWhere stories live. Discover now