43 • Ash

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"Sie hatte dich von Anfang an im Griff, nicht wahr?"
Keine Antwort.
"Seit wann, Will?"
Schweigen.
"Wie in aller Welt hat sie dich überhaupt gefunden?"
Nichts.
"Weiß Simon davon? Torin? Irgendjemand?"
Keinerlei Reaktion. Das kann doch nicht wahr sein!
Frustriert stoße ich einen Stuhl um und bereue es im gleichen Moment. Der Schlag, mit dem er auf den Boden kracht, gleicht einem Donner in meinem Kopf.

"Du benimmst dich wie ein Kleinkind, das ist dir hoffentlich bewusst", werfe ich ihm vor. Bin ich denn auch nur ein Stück besser? "Du weißt, was du zerstört hast und bist nun trotzig, weil ich dich von Kaya weggebracht habe?"
Irgendwann wird er mir dafür danken, dann, wenn er nicht mehr geradezu vernarrt in sie ist. Oder zumindest in die Kaya, die sie in seinen Erinnerungen ist. Bis dahin starrt er jedoch weiterhin stur aus dem Fenster. Wie den verfluchten letzten Tag schon.

"Gut. Dann schweigen wir also. Denk aber bloß nicht, dass ich dich zurück zu Kaya lasse, bevor ich Antworten bekomme."
Ich lasse mich neben ihm auf das Sofa nieder, breite die Beine aus und täusche endlose Geduld vor, derweil mich die Anspannung innerlich zerreißt. In dieser Stille zu sitzen, meinen Gedanken zuhören zu müssen, ihren immer mehr schwindenden Geruch wahrzunehmen, das paylische Buch auf dem Tisch zu sehen - die Stille zerfrisst mich. Weil es Stille ist. Weil es nicht Ruhe ist.

Du machst es mir echt schwer, dich zu hassen.
Bei allen Göttern - warum?

Ich will nur nicht, dass sich etwas zwischen uns ändert.
Bloß nicht.

Nein, bitte bleib.
Verdammt.

Ich vertraue dir.
Will, sag etwas.

Was zur Hölle ist falsch mit dir?
Will, irgendetwas! Jetzt!
"Okay."

Okay? Okay?
"Aber dann lässt du mich gehen."
"Das sehen wir dann."
Natürlich lasse ich ihn nicht gehen - das wäre Wahnsinn. Kaya eine ihrer stärksten Waffen zu geben, daran denke ich nicht einmal. Dabei geht es mir weniger um seine Magie als um ihn. Auch wenn die vergangenen Wochen nichts als ein Schwindel waren, so kann ich ihn nicht einfach hängen lassen.

"Also...? Ich warte."
"Vergiss meine Fragen", murmele ich, springe auf. Will ist zu nahe, zu präsent. Sein Duft nimmt mir ihren, sein Kontakt mit dem Sofa, dem Tisch, jede noch so kleine Berührung verwischt die davor. Vielleicht sind meine Sinne aber auch nur gereizter, weil sie es nicht mehr gewohnt sind.

"Wozu bin ich dann hier?"
Um keinen Schaden anrichten zu können. Um selbst in Sicherheit zu sein. Ihm sein Handeln vorzuwerfen, wäre falsch. Es ist nicht seine Schuld.
"Wann warst du das letzte Mal in Meral?", stelle ich eine Gegenfrage.
"Was weiß ich?" Will zuckt mit den Schultern. "Vor vier, fünf Tagen. Vielleicht auch sechs?"

Torin wird sich Sorgen machen. Sobald eine Woche ohne jegliches Lebenszeichen verstreift, werden sie nach ihm suchen.
"Wo sind sie?"
Will runzelt empört die Stirn. "Hältst du mich für komplett bescheuert? Das müsstest du schon aus mir herausprügeln."

Immerhin hat sie ihm nicht seine Loyalität den Anderen gegenüber genommen.
"Simon interessiert mich nicht", erkläre ich knapp. Torin kennt möglicherweise einen Weg, um rückgängig zu machen, was geschehen ist. Er hat auch einen Weg für Talias Magie gefunden. Wie ich ihn jedoch dazu bringen sollte, mir zu helfen - darüber zerbreche ich mir lieber nicht den Kopf.
"Komm schon Ash, weder Simon, Torin, noch irgendjemand von ihnen. Du suchst nur einen Grund, um zu ihr zu kommen."

Nein, ich will nur... - doch, vielleicht möchte ich mich selbst davon überzeugen, dass sie sicher ist. Mehr nicht. Nicht mit ihr sprechen, nicht ihre Nähe genießen, verflucht, ich muss sie nicht einmal sehen, sondern nur wissen, dass sie bei ihnen ist.

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