33 • Talia

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"Du hättest mir auch einfach sagen können, dass ich gehen soll."
Ein Buch auf dem Tisch, daneben ein Strauß Blumen - Froiden, um genau zu sein. Violette, kelchartige Blumen, die im Norden wachsen und die Kälte gewohnt sind. Blumen, die mich mehr an Zuhause erinnern als ich es wahrhaben will. Mit Abstand bleibe ich stehen, werde mir bewusst, wie unerwünscht ich hier doch bin. Vermutlich ist das Präsent für ein Mädchen - am besten bin ich von hier verschwunden, bevor sie auftaucht. Das Letzte, was ich will, ist die Ursache für Streit zu sein.
Ash holt gerade zwei Teller aus dem Hängeschrank, verharrt inmitten seiner Bewegung und dreht sich fragend zu mir um. "Wieso?"
"Du scheinst jemanden zu erwarten."
Ein Lächeln huscht über seine Lippen. "Dich."

Oh.
Überrumpelt öffne ich den Mund, brauche einen Moment, bis ich einen kompletten Satz formulieren kann. Auch wenn da nur Fragen in meinem Kopf sind.
"Womit habe ich denn diese Ehre verdient?"
"Damit achtzehn Jahre lang diese Welt ertragen zu haben."
Oh. Stimmt.

Ich hatte Geburtstag. Genau einen Tag vor der Winterwende - und ich habe nicht einen Gedanken dafür aufgebracht. Normalerweise hätte sich Luan den Tag frei genommen, mich mit einem üppigen Frühstück begrüßt und mir anschließend überlassen, was ich machen wollte. Es war dennoch keine große Überraschung für ihn, stets ein Ausflug nach Payla. Eine kurze Reise in fremde Bräuche, eine fremde Sprache und fremde Städte.

Ich liebte das leckere Essen, die Freundlichkeit aller Menschen und die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut, wie sie in Meral selbst im Sommer nicht zu genießen waren, bevor wir spät in der Nacht das letzte Boot zurück nach Sonelem nahmen. Die Erinnerungen sind schmerzhaft. Luan, seine kräftigen Umarmungen, sein ansteckendes Lachen, seine lieben Worte, das alles fehlt mir. Ich vermisse es, ihn bei mir zu wissen, wenn ich ihn brauche. Ein tiefer, stockender Atemzug - nein, ich werde jetzt nicht weinen. Nicht, wenn Ash es nur gut gemeint hat.

"Gefällt es dir nicht?"
Es ist perfekt.
Dennoch hat er meinen unruhigen Atem sofort bemerkt.
"Doch!", beteuere ich sofort. "Es ist nur..."
"Luan?"

Ich nicke, drehe unsicher eine Perle vor und zurück. Auf einmal fahre ich zu ihm herum. "Woher weißt du, wann ich Geburtstag habe?"
Ash verteilt die Teller auf dem Tisch. "Ich habe Luan vermisst gemeldet. Der Mann war ein wenig überfordert mit seinen Papieren und da habe ich einen Blick auf die Unterlagen werfen können."
"Du hast was?"

"Ich hoffe, du verzeihst mir meine Neugierde."
"Nein, also doch - ja", stolpere ich über meine eigenen Gedanken. "Du hast Luan vermisst gemeldet? In Meral?"
"Je schneller, desto besser." Er deutet mir an, mich zu setzen, doch ich bin noch immer zu perplex, um meine Beine bewegen zu können. "Und als ich deine Klamotten geholt habe, sind mir die paylischen Bücher bei euch aufgefallen. Als ich dann heute Morgen das Buch auf dem Markt gesehen habe...ich habe mich vergangene Nacht mit meinen bescheidenen Sprachkenntnissen ganz schön blamiert, nicht wahr?"

In Gedanken an seinen Versuch, den Akzent zu treffen, kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. "So miserabel war es auch nicht."
"Beruhigend", murmelt er und entblößt eine Reihe strahlender Zähne, als auch er sich einem Grinsen geschlagen geben muss.

Meine Finger tasten über den pflanzlich gegerbten Lederumschlag, schwelgen in dem Genuss etwas Vertrautes ertasten zu können, derweil ich den zarten Duft der Froiden wahrnehme. Er hat mir mein zu Hause in diese Fremde gebracht und dafür bin ich ihm sehr dankbar.
"Du machst es mir echt schwer, dich zu hassen", meine ich und lasse mich auf dem Platz ihm gegenüber nieder.

Marmelade, Butter und frisches Brot sind aufgetischt und erinnern mich an den Frühstückstisch, den mein Vater immer gedeckt hatte.
"Das ist das schönste Danke, das ich mir wohl von dir wünschen kann."
Ich schiebe die Vase mit den Froiden zwischen uns, will sie nicht nur für mich beanspruchen, wenn sie den Tisch genauso gut verzieren können. Ash verfolgt aufmerksam jede meiner Bewegungen. "Mehr bekommst du noch nicht."
"Noch?"

InhumanityWhere stories live. Discover now