Kapitel #026

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Obwohl es stockdunkel war, schaffte ich es irgendwie, die richtige Abzweigung zu finden und stand nach wenigen Minuten im Keller eines Hauses. Hier hatte der Gang geändert und jetzt schaute ich mich um, um herauszufinden, wo ich hin musste. Zwischen zwei Regalen, auf denen sich Marmeladen, Schokolade, Fleisch, Gemüse und ganz viele andere Lebensmittel türmten, blieb ein schmaler Gang, der zu einem Kellerfenster führte. Unterhalb des Fensters stand eine Kiste, auf die man klettern konnte um es zu erreichen. Außerdem war auf die Wand da neben ein Pfeil, der zum Fenster führte, gemalt und jemand hatte in krakeliger Schrift daneben geschrieben 'Zur Bärenhöhle'. Ich atmete durch. Dann kam hier also der Part, bei dem ich sprinten musste. Langsam trat ich auf das Fenster zu und kletterte auf die Kiste. Jetzt musste ich mich nur noch durch die schmale Öffnung auf die Straße ziehen. Allerdings warf ich vorher vorsichtig einen Blick hinaus. Die Luft schien rein zu sein und in der ferne sah ich schon die Spitze des leerstehenden Hochhauses, die sich gegen den Sternenbedeckten Nachthimmel abhob. Da muss ich hin. Doch ein ganz schönes Stück Strecke. Noch einmal holte ich tief Luft, dann drückte ich mich hoch und zog mich aus dem Kellerfenster auf den Geweg. Kaum war mein ganzer Körper im freien, sprang ich auf und rannte los. Zum zweiten mal. Nur war ich dieses mal alleine und hatte nicht Bastians Rücken vor Augen, der mir den Richtigen Weg zeigte. Nicht mal eine Karte mit den Straßen hatte ich. Ich war voll und ganz auf mich allein gestellt und lief einfach ungefähr Richtung Hochhaus, das ich zum Glück gut im Blick hatte. Da hörte ich schnelle Schritte hinter mir. 'Bitte, nicht schon wieder' dachte ich nur und wurde noch schneller.

Blitzschnell bog ich um links in eine kleine Querstraße ein und gleich danach rechts auf die Parallelstraße zu der Straße, auf der ich eben noch gerannt bin. Alles nur damit mein Verfolger mich aus den Augen verlor. Das leere Hochhaus behielt ich dabei immer im Blick. Allerdings klebte mir die Person förmlich an den Hacken. Aber sie holte auch nicht auf. 'Okay, Lu. Ruhe bewahren' sagte ich mir selbst und beschleunigte nochmals. Der fremde Verfolger machte es mir gleich, blieb aber trotzdem hinter mir. Wenn er noch schneller laufen konnte, wieso holt er mich dann nicht einfach ein und fängt mich? Die Frage schwirrt mir durch den Kopf, bis die Schritte hinter mir plötzlich langsamer wurden und schließlich stehen blieben. Schnell hängte ich meinen Verfolger ab. Aber was war der Sinn vor der Verfolgung? Was wollte diese Person von mir? Ich konnte es mir nicht erklären und überlegte einen Moment, ob ich umkehren und die Person in die Mangel nehmen soll, entschied mich dann aber dagegen. Ich konnte noch nicht kämpfen und vielleicht war das ja eine Falle. Also lief ich weiter und kam nach ein paar Kreuzungen tatsächlich am Hochhaus an. Noch einmal schaute ich mich um, ob mich jemand beobachtete, dann riss ich die Tür auf und trat ein. So schnell wie heute bin ich glaube ich noch nie Treppen hochgerannt. Obwohl mein Körper von den nächtlichen Strapazen und den letzten Tagen total ausgelaugt war und meine Nerven blank lagen. Beeilte ich mich wie noch nie. Die Stille dröhnte in meinen Ohren. Außer meinen leichten Schritten, meiner flachen Atmung und meinem unnatürlich schnellen Puls war nichts zu hören. Das Treppenhaus schien alle Geräusche dieser Welt zu isolieren. Außerdem schien es unendlich weit nach oben zu gehen. Ehrlich, irgendwann müsste ich ja echt im Himmel ankommen. Wie in einer Endlosschleifen in denen man in manchen Albträumen gefangen ist. Zum Glück erschien jedoch nach gefühlten Stunden die Tür des obersten Stockwerks vor mir. Ohne zu zögern öffnete ich sie. Und da stand er. Mit dem rücken zu mir vor der Fensterfront, an der ich gestern abend den Sonnenuntergang beobachtet hatte. "Alex".

Ohne sich großartig zu erschrecken drehte er sich zu mir um und kam mit einen lächeln und zu einer Umarmung erhobenen Armen auf mich zu "Lucy. Schön dich zu sehen. Wo ist Bastian?". Ich wich jedoch vor ihm zurück. Das lächeln auf seinen Lippen fror ein und langsam senkte er seine Arme "Was ist los?". "Er wurde gefangen. Von der Regierung. Wegen deiner ach so tollen, supergeheimen Botschaft, auf der einfach nichts drauf stand. GAR NICHTS!" spuckte ich ihm vor die Füße und fuchtelte erzürnt mit den Armen herum. "Lucy..." sagte Alex beruhigend und kam wieder einen Schritt näher. "Nichts Lucy!" zischte ich "Er hat sein Leben geopfert wegen einem fucking weißen Zettel. Und jetzt hat die Regierung nicht nur eine so fantastischen Freiheitskämpfer, der übrigens eine Freundin hatte, die er über alles liebte, sondern auch die Karte der Bärenhöhle. Wegen NICHTS!". Plötzlich packte er meine Handgelenke und drückte mich mit seinem Körper gegen die Tür zum Treppenhaus. Ich hatte keinen Platz mehr. Gefesselt hätte ich mich mehr bewegen können, als jetzt. "Fass mich nicht an!" fauchte ich und wand mich unter seinem Griff, doch Alex ließ mich nicht los. "Beruhige dich, Lucy. Und jetzt erzählt mir bitte mal langsam von Anfang an was passiert ist, okay?". Ehrlich gesagt war ich ziemlich sauer. Er schien das alles super locker zu nehmen. Als ob Bastian ihm egal ist. Als ob die Karte ihm egal ist. Irgendwie fühlte ich mich ein bisschen, als ob ich ihm egal wäre. Deswegen tat ich wohl das gemeinste, was man in dieser Situation tun kann. Ich streckte mein Kinn vor, schaute ihn herausfordernd an und sagte provokant "Also angefangen hat alles damit, dass Bastian mir erzählt hat, mit was für Blondinen du dein Bett teilst".

Interessiert beobachtete ich Alex Gesicht, aus dem ich seine Emotinen wie aus einem offenen Buch lesen konnte. Zuerst riss er die Augen auf. Überrascht, Überrumpelt, Verblüfft. Wahrscheinlich fragte er sich, was ich da gerade gesagt hat und woher ich es weiß. Dann spannte er seinen Kiefer an und sein Blick wurde langsam sauer. Außerdem verstärkte er seinen Griff. Sauer, Wütend. Jetzt realisiert er was ich gesagt hat, wird sich bewusst von wem ich es weiß und überlegt sich eine schlagfertige Erwiederung. Jedoch enttäuschte er mich etwas, als er sagte "Bitte was?! Was für Blondinen? Was erzählt Bastian über mich!". Nun wurde ich sauer "Ach, hör doch auf es abzustreiten, ich hab keinen Bock da drauf!". Augenblicklich ließ Alex mich los und trat zurück. Fast angewiedert schaute er mich an, als er distanziert sagte "Du glaubst ihm. Mehr als mir. Vorallem, was gehen dich meine Bettgeschichten an? Du tust ja so, als wären wir zusammen!". Fassungslos sah ich ihn an. Spätestens jetzt gab es gar keine Zweifel mehr. Er hatte ja quasi selbst gesagt, dass er mit irgendwelchen Mädchen ins Bett steigt. Und das tat verdammt weh. Mehr, als es dürfte. Ich habe einen Freund und er ist Single, es müsste mir egal sein. Er ist frei, er darf tun was er will. Trotzdem folgte ich meinem ersten Impuls. Ich trat vor und verpasste ihm eine Ohrfeige. Als er verwundert seine Wange hielt, die sich langsam rot färbte, beugte ich mich vor und zischte ihm mit Tränen in den Augen zu "Ich dachte, ich bedeute dir was! Arschloch!". Mit diesen Worten wirbelte ich herum und verließ fluchtartig den Raum mit der atemberaubenden Aussicht.

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