Kapitel #027

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Am nächsten Morgen blieb ich nach dem Aufwachen einfach liegen. Gestern Abend habe ich noch Colin getroffen und er hat mir gestattet, nach den ganzen Strapazen einen Tag frei zu bekommen. Außerdem habe ich ihm gleich die ganze Geschichte erzählt. Von der Straßensperre der Regierung und Bastians Aufopferung bis hin zur verlorenen Karte. Nur meinen Verfolger gestern Nacht erwähnte ich nicht. Keine Ahnug, irgendwas sagte mir, dass davon keiner erfahren darf. Colin zeigte sich auch wesentlich verständlicher als Alex. Seine besorgte und überlebende Reaktionen wegen der Karte war auch deutlich angemessener. Und er erklärte mir endlich, was es mit dieser leeren Botschaft auf sich hatte. Es war nämlich so, dass jeder Freiheitskämpfer in der Ausbildung zwei Missionen absolvieren muss. Einmal die, bevor man das erste mal mit Waffen trainieren darf und die, wenn man fertig ausgebildet ist. Allerdings kann man ja einen Schüler nicht alleine mit einer entscheidenden, wichtigen Botschaft durch die Stadt laufen lassen. Daher bekommen die Schüler nur einen leeren Zettel, auf dem die angebliche Botschaft geschrieben steht und das eigendlich wichtige, die Karte der Stadt, bekommt der Begleiter, da der ja erfahrener ist und die Karte ja nicht verliert. Das ist bei uns halt jetzt blöd gelaufen. Aber überhaupt: wer kam auf diese bescheuerte Idee mit dem leeren Zettel. Da kann man doch auch einfach eine Schnizeljagd durch die Stadt machen, wenn man die Schüler schon in Schnelligkeit und Ausdauer und so testen will. Jetzt ist es aber schon zu spät. Die Karte mit der Bärenhöhle ist im Besitz der Regierung. Was genau das jetzt für uns bedeutet, konnte Colin mir auch nicht sagen. Erstmal würden wir wohl abwarten müssen. Und hoffen, dass wir mogen nicht von einem Trupp Regierungswächtern überrascht werden.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken fuhr ich hoch, sank jedoch sofort wieder zurück in die Kissen, als ich sah, wer da stand. "Mensch Dennis, musst du mich so erschrecken? Du weißt doch, dass meine Nerven noch leicht angespannt sind" seufze ich richtig Decke. Ich spüre wie sich die Matratze neben mir senkt, als er sich aufs Bett setzt "Tut mir leid, Maus. Ich hab dich wirklich vermisst". Jetzt wende ich mich ihm zu und schaute ihm in die Augen. Dort sehe ich nur Liebe und ich hatte einen Moment ein schlechtes Gewissen, dass ich echt geglaubt hatte, er könnte mich betrügen. Dennis ist so eine gute Seele. Deswegen hauche ich "Ich dich auch" und greife zögerlich nach seiner Hand. Er bemerkte mein zögern, schien es aber falsch zu deuten, denn nur einen Augenblick später zog er mich in seine Arme, gab mir einen Kuss auf den Scheitel und sagte "Keine Angst. Jetzt bist du hier und ich kann dich beschützten". Offensichtlich dachte er, ich stände noch unter Schock wegen der letzten paar Tage. Und in dem Glauben ließ ich ihn liebend gerne. Deswegen vergrub ich mein Gesicht in seiner Brust, zog seinen vertrauten Geruch ein und sagte "Ich weiß... ich liebe dich". Er lachte leise, was seinen ganzen Körper vibrieren ließ "Ich dich auch". Einen unendlichen Moment verharrten wir so und genossen einfach die Nähe des anderen. Vorallem nachdem ich gestern von Alex so abgelehnt wurde, kam mir Dennis breite Schulter zum anlehnen gerade recht. Nach dieser kleinen Ewigkeit ließ er mich zögerlich los und schaute mir in die Augen "Ich hab übrigens noch etwas für dich". Neugierig schaute ich ihn an, während er in seiner Tasche kramte. Als erstes zog er ein kleines technisches Gerät heraus. Es sah aus wie eine eine Armbanduhr, nur statt dem Ziffernblatt sah ich drei seltsame Runen, die in eine Metallplatte eingraviert waren. "Was ist das?" wollte ich wissen und Dennis erklärte mir, dass auf dieser Platte alle meine Punkte gespeichert waren und auch in Zukunft gespeichert werden würden. Damit konnte ich mir jetzt neue Klamotten oder Einrichtungsgegenstände kaufen. Endlich, ich hatte diese weiße Einheitskleidung echt satt. "Cool, danke" lächelte ich und band mir den Chip gleich ans Handgelenk. "Bitte... und noch was. Das hier" er zog einen kleinen Zettel aus der Tasche "ist eine Botschaft von Jodie. Sie meinte, sie wäre sehr vertraulich und soll unverzüglich an dich weitergeleitet werden".

"Danke" lächelte ich, nahm den Zettel entgegen und drückte Dennis einen Kuss auf die Wange. Er grinste "Ich muss dann aber weiter, Maus. Nicht jeder bekommt einfach so einen Tag frei". "Pff... einfach so?!" fragte ich augenverdrehend, grinste dann aber zurück "Okay... dann bis später". "Bis später" flüsterte er, beugte sich vor und küsste mich. Ich schloss die Augen und erwiederte natürlich. Irgendwie hatte ich ihn doch vermisst. Nach unserem Abschiedskuss richtete er sich auf und verließ den Raum, jedoch nicht ohne mir noch einen warmen Blick zuzuwerfen. Dann war ich allein und meine Augen blieben an Jodies Zettel hängen. Ob sie wohl Neuigkeiten hat? Neugierig greife ich nach dem Stück Papier und falte es auseinander. Darauf steht in krakeliger Handschrift:

'Hab herausgefunden, wo das Gefängnis ist. Komm sobald wie möglich zum Raum d. Gefallenen.
-J'

Ich atmete tief durch. Stimmt ja, Flynt war ja auch noch da. Den hab ich durch den ganzen Stress der letzten Tage total vergessen. Und wie's aussieht, wird es hier auch nicht entspannter. Ich muss mich zu den Gefängnissen schleichen, ab morgen trainier ich mit Waffen und jetzt müssen wir die ganze Zeit wegen einem Angriff der Regierung aufpassen. Ich weiß nicht, ob ich hier jemals Ruhe hatte. Wobei... doch die paar Wochen wo ich mich einfach auf mein Trainig konzentriert habe. Aber die Zeit war wohl vorbei. Seufzend schaute ich noch einmal auf Jodies Zettel. Sie hatte sobald wie möglich geschrieben und wann wäre es für mich günstiger als heute. Ab Morgen muss ich wieder von morgens bis abends trainieren, da finde ich wohl kaum Zeit, noch die Gefängnisse zu besuchen. Also raffte ich mich schwerfällig auf. Das war's dann wohl mit meinem freien Tag.

Nachdem ich geduscht und mich umgezogen hatte, verließ ich mein Zimmer. Schweigend wandelte ich durch die weißen Gänge. Inzwischen kannte ich mich hier super aus und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Bärenhöhle wäre mir nicht ans Herz gewachsen. Inzwischen fühlte ich mich hier zu Hause und geborgen. Ich kannte viele Leute und die Menschen hier sind echt nett. Außerdem kann ich hier etwas gegen die Unterdrückung der Regierung tun. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich Alex erst wahrnahm, als er mich grob am Arm packte und schüttelte. "Was willst du?" verlangte ich überrascht und sauer zu wissen. Er wirkte verzweifelt, wie er sich mit seiner freien Hand durch die Haare fuhr, als er sagte "Es tut mir leid, Lu, lass es mich-". "Erklären?!" zischte ich wütend "Spar's dir doch einfach!". Mit diesen Worten riss ich mich gewaltsam los und rannte ohne auf seine Rufe zu achten, einfach weg. Nur, um fünf Ecken weiter mit der nächsten Person zusammenzustoßen. Was ist den heute los?! Ich wollte die Person gerade anmotzen, da bemerkte ich, wer da vor mir stand. "Cat" sagte ich erleichtert und fiel der Blondine um den Hals. "Hey, Lu" lächelte ich und erweiterte die Umarmung "Hör mal, ich würde echt gerne quatschen, aber ich habe die nächsten drei Tage Fortbildung und gar keine Zeit...". Ich löste mich von ihr und lächelte zurück "Absolut kein Problem, ich muss auch weiter. Kommst du dann in vier Tagen mal mit mir Klamotten shoppen?". "Liebend gerne. Wird Zeit, dass wir mal wieder was gewöhnliches zusammen unternehmen" antwortete sie "Aber ich muss jetzt los... sehen wir uns?". "Ja, bis dann Süße" sagte ich und umarmte sie zum Abschied. Und schon war sie wieder weg und das einzige, was noch auf sie hinwies war der süße Blumenduft ihres Parfüms. Also drehte ich mich um und legte die letzte Strecke bis zum Raum der Gefallenen zurück.

Ich drückte die Glastür auf und lief die paar Stufen zum Raum der Gefallenen hinauf. Oben stand Jodie mit dem Rücken zu mir und arbeitete an einem neuen Namen. Schluckend schaute ich mich um. So viele Namen waren dazu gekommen, seit ich das letzte mal hier war. In diesem Moment bemerkte mich Jodie und umarmte mich herzlich "Schön dich mal wieder zu sehen, Lucy". "Dich auch" lächelte ich und erweiterte ihre Umarmung "Sind die Listen länger geworden?". Sie seufzte leise und reichte mir den Zettel mit der Namensliste der Toten. Schnell zählte ich durch "16?! Allein heute?! Das... das ist furchtbar". "Ich weiß. Aber was soll ich tun? Mehr als für sie beten kann ich nicht" flüsterte sie und nahm mir traurig die Liste wieder ab. Ich schaute an ihr vorbei nach draußen auf die grüne Weise mit dem fernen Wald "Aber ich kann was tun. Es wird Zeit, dass ich dieses gemetzel beende". Sanft legte die Schwarzhaarige mir eine Hand auf die Schulter "Setz dich nicht unter Druck. Alles zu seiner Zeit. Außerdem bist du ja eigendlich wegen etwas anderem hier...". "Ja, die Gefängnisse" sagte ich und mein Blick wanderte wieder zu ihr "Du hast herausgefunden wo sie sind?". Bei dem Gedanken an Flynt und meine Eltern zog sich schon mein Bauch zusammen. Wo würde ich mich dieses mal in nächtlicher Mission hinschleichen? Solange es nicht wieder im Kühllager der Küche endete, komme ich damit klar. "Du erinnerst dich an Colins Büro? Daneben befindet sich die Zentrale, in der du ja schon wegen des Jobs warst. In dem Bereich befindet sich alles Verwaltungstechnische" fing Jodie an zu erklären und ich hörte aufmerksam zu. "Wenn du Gang an der Zentrale vorbei gehst" fuhr sie fort "Kommst auf kurz oder lang an eine Tür. Diese ist gepanzert und man benötigt eine Schlüsselkarte, um hindurch zu gelangen. Danach führt eine Treppe runter und endet in einem sehr großen, runden Raum. Von dem gehen viele Türen ab, einige in Verhörräume, andere in Zellen. Alle lassen sich mit der Schlüsselkarte öffnen". Ich seufzte "Soweit sogut. Aber woher bekomm ich diese Schlüsselkarte?". Sie grinste und zog eine Karte aus der Hosentasche "Ich hab da so meine Connections. Wenn du versprichst, darauf aufzupassen, kann ich sie dir für eine Nacht leihen". Lachend fiel ich ihr um den Hals "Jodie, du bist die beste".

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