Kapitel #034

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Vor uns stand dieser Sven Stevens, der Oberstleutnant, der mich damals das erste mal zu Colin gebracht hatte. Einen Moment guckte er irritiert, wahrscheinlich weil Nick mich immer noch auf seinen Armen trug, dann nickte er uns jedoch zu und trat zur Seite, damit wir ins Zimmer konnten. Im Raum standen mehrer Personen. Natürlich war Colin anwesend und Alex stand bei ihm. Drei weitere Männer, die ich nicht kannte, standen im Raum verteilt. Und dann war da noch Dennis, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und meinen Blick ausdruckslos erwiederte. Arschloch. Wie konnte ich ihn nur einmal Lieben. Als ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, wandte ich mich von ihm ab und drückte mich näher an Nick. Jetzt bloß nicht losheulen. "Wir haben schon mit dir gerechnet, Lucy" find Colin an und riss mich so aus meinen Gedanken. "Was ist passiert?" fragte ich ohne umschweife und richtete meinen Blick auf den Rebellenanführer. Er seufzte "Wir sind von der Luftversorgung abgeschnitten". "Bitte was?!" fragte ich fassungslos. Ich habe ja mit vielem gerechnet, aber damit? "Alle unsere Luftschächte wurden blockiert" erklärte Dennis kalt "Wie du vielleicht mitbekommen hast, sind wir unter der Erde und auf Luft von außen angewiesen". Ich konnte gerade noch ein empörtes Schnauben unterdrücken. Nein, weiß ich nicht, ich Lebe hier nur seit Ewigkeiten. Idiot. Stattdessen fragte ich "Das heißt, uns geht hier langsam der Sauerstoff aus?". "Ja" knurrte mein Ex, stieß sich von der Wand ab und kam bedrohlich auf mich zu "und du bist daran Schuld!".

Einen Moment war ich sprachlos und starrte Dennis an. Dann wandte ich mich an Nick und fragte zwischen zusammengebissenen Zähnen "Lässt du mich bitte runter?". "Lucy, du bist noch zu schwach... Du kannst noch nicht mal gerade stehen..." versuchte er mir Vernunft einzureden, aber ich hatte nicht vor, nachzugeben. Ich kann nicht ordentlich diskutieren und ihn einschüchtern, wenn ich gleichzeitig in Nicks Armen liege. "Lass mich runter" sagte ich desshalb mit Nachdruck und er stellte mich seufzend auf meine Füße. Schmerzen durchzuckten meinen linken Oberschenkel und einen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Doch mein Kreislauf hatte sich schnell wieder beruhigt und ich wagte es, Nicks Arm loszulassen, an den ich mich gekrallt habe. Kaum stand ich ohne Hilfe, drehte ich mich zu Dennis und funkelte ihn sauer an "Warum? Wie kommst du darauf, sowas zu sagen?". Inzwischen war er so nah an mich herangetreten, dass ich die Wärme spürte, die von seinem so vertrauten Körper ausging. Gleichzeitig spürte ich aber auch Nicks Körper, der knapp hinter mir stand um mich im Notfall stützen zu können. Oder vielleicht auch in den drohenden Streit zwischen meinem Ex und mir eingreifen zu können, ich weiß es nicht. Doch jetzt zog Dennis wieder meine Aufmerksamkeit auf sich, in dem er knurrte "Wer hat denn diese Karte von der Bärenhöhle der Regierung serviert? Und wer hat diesen scheiß Polizisten aus der Zelle gelassen, der sich wahrscheinlich noch einmal gemütlich umgesehen hat, bevor er gegangen ist? Du, Lucy. Das warst beides du! Und jetzt sag mir, wer denn sonst Schuld haben sollte! Lucy Winter, unsere ach-so-große Rettung, zerstört unsere Heimat. Welch Ironie. Weißt du, damals, als gesagt wurde, dass die Rebellen dich brauchen und ich dich her bringen solle, war ich einerseits besorgt um dich, andererseits glücklich, weil ich dachte, jetzt sind wir öfter zusammen und nichts kann uns mehr trennen. Aber dann kam er" - er nickte in Alex Richtung, der kritisch eine Augenbraue hochgezogen hatte - " und schmeißt sich an dich ran. Und du machst mit! Wieso wunderst du dich, dass ich was mit Cat habe? Du hast doch schon deutlich länger etwas mit deinem Trainer, das sieht ein Blinder mit Krückstock. Also tu nicht auf beleidigt, insgeheim bist du doch froh, mich los zu haben". Dann trat er ganz nah auf mich zu, beugte sich zu mir herunter und flüsterte, dass nur ich es hören konnte "Ich hoffe, dass du auf deiner scheiß Mission verreckst".

Einen Moment. Nur einen Moment konnte ich mich noch zurück halten, ehe ich mich trortz der Schmerzen in meinem Körper auf Dennis warf. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, deswegen fiel er um und landete unsanft auf dem Boden. Jetzt saß ich auf ihm und verpasste ich ihm erstmal eine Schelle, so stark, dass sein Kopf zur Seite flog und mein roter Handabdruck auf seiner Wange zu sehen war. Dann beugte ich mich herunter zu ihm und zischte "Ich hasse dich, du Arschloch! Sollte ich auf der Mission sterben, dann nur um deinen verdammten Arsch und den von allen anderen Rebellen zu retten. Also sei lieber dankbar, dass ich mich für sowas opfer. Und das zwichen Alex und mir war nie mehr als Freundschaft! Außerdem ist das noch lange keine Entschuldigung, zwei Wochen lang fremd zu gehen! Zwei scheiß Wochen! Mit meiner besten Freundin! Achso und ja, ich habe vielleicht dazu beigetragen, dass jetzt alle Lüftungsschächte versperrt sind. Aber ich machs wieder gut. Und wenn ich dabei umkomm!". Kaum hatte ich meine Rede beendet, spürte ich zwei starke Arme um meinen Bauch, die mich vorsichtig hochhoben. Als ich nach oben blicke, schaute ich in Alex' treue braune Augen. Doch irgendetwas lag in ihnen. Eine seltsame Distanz. Er war traurig oder enttäuscht? Aber warum? Ich konnte mir nicht mehr Gedanken über meinen Trainer machen, denn in diesem Moment ergriff Colin das Wort "Wie ich sagte: junge Liebe. Immer so dramatisch. Naja, da wir das jetzt geklärt haben, kann ich ja mal los werden, dass es völlig egal ist, wer weniger und wer mehr schuld an den Ereignissen hat. Viel wichtiger ist, dass wir das Problem so schnell wie möglich lösen. Es geht uns nämlich langsam aber sicher der Sauerstoff aus. Mit unseren Vorräten halten wir höchstens noch drei Tage durch". "Was schlägst du vor?" fragte jetzt einer der mir unbekannten Männer in den Raum. "Wie wäre es, wenn wir die Luftschächte wieder frei machen?" schlug ich vor. Colin schüttelte den Kopf "Das haben wir uns auch schon überlegt, aber gleich wieder ausgeschlossen. Viel zu gefährlich. Darauf wartet die Regierung nur. Wenn sie die Schächte verschließen konnten, wissen sie, wo sie sind und werden sie mit Sicherheit überwachen. Es Selbstmord, sie versuchen zu öffnen". "Was dann?" wollte jetzt Nick wissen, der die Arme verschränkt hatte und skeptisch guckte. Der Rebellenanführer seufzte "Wie evakuieren die Bärenhöhle. Alle müssen hier raus. Hier sind wir nicht länger sicher".

"Wie stellst du dir das vor?" fragte ich, während ich mich mit einer Hand an Alex' Schulter festkrallen. Dieser hatte mich nämlich wieder auf die Füße gestellt, aber alleine zu stehen strengte mich noch zu sehr an. "Immerhin" fuhr ich fort "können wir nicht einfach raus in die Stadt spazieren. Erstens wird das sicher auch von der Regierung überwacht und zweitens haben nicht mal alle Rebellen einen Code, mit dem sie irgendwo hinkommen würden. Und so viele Menschen auf einmal, die wie aus dem nichts auftauchen, fallen auf jeden Fall auf". "Ich habe auch nie etwas davon gesagt, dass wir in die Stadt gehen" grinste Colin. Jetzt war ich verwirrt "Aber wie-". Der Rebellenanführer unterbrach mich "Ich berufe Fluchtplan 'Grün' ein". Überall im Raum wurde scharf die Luft eingezogen. "Fluchtplan 'Grün'?!" fragte einer der unbekannten Männern skeptisch und ein anderer fragte "Bist du dir sicher?". "Das ist ziemlich riskant. Er wurde noch nie durchgeführt" warf Dennis ein "Wir wissen nicht, ob er funktioniert". Alex nickte bekräftigend, was mich wunderte. Er und Dennis waren einer Meinung? Dann muss die Lage ja erst sein. "Was ist, wenn sie dort Kameras haben? Oder Geschütze? Wir können die Rebellen nicht einfach alle da raus brigen" sagte auch Nick aufgebracht. Colin rieb sich konzentriert die Schläfen, ehe er antwortete "Was bleibt mir anderes übrig? Es gibt keine andere, jedenfalls keine sicherere Möglichkeit, aus der Bärenhöhle rauszukommen. Wir müssen es wagen". "Aber wir wissen doch auch nicht, was da draußen lauert-" versuchte Alex es noch einmal, doch Colin brachte ihn mit einer Handbewegung zum schweigen "Wir haben keine Wahl". Jetzt meldete ich mich doch genervt zu Wort "Ich habe keine Ahnung wovon ihr redet. Fluchtplan 'Grün'? Was ist das?". Alex war erst einen fragenden Blick in den Raum und als der Rebellenanführer nickte, wandte er sich mir zu "Nicht ausrasten, ja? Ich weiß, dass dir sehr viel an dem Raum liegt...". Ich seufzte "Rück endlich mit der Sprache raus, Alex". Jetzt wich er meinem Blick aus "Fluchtplan 'Grün' besagt, dass wir die Wände des Raums der Gefallenen zerstören und wir uns außerhalb der Stadt ein neues Lager errichten".

"Der Raum der Gefallenen?" fragte ich etwas betroffen. Ich würde Lügen wenn ich sagen würde, der Raum wäre mir nicht ans Herz gewachsen. Aber natürlich sind die Menschenleben wichtiger. In so einer Situation kann man auf solche Gedenkstätten keine Rücksicht nehmen. Leider. "Ja" antwortete Colin "Etwas anderes bleib uns nicht übrig". "Wie willst du vorgehen?" meldete sich Nick zu Wort. Einen Moment musterte der Rebellenanführer mich kritisch, ehe er antwortet "Zwei oder drei Leute gehen hin, zerstören das Glas und gucken, ob die Luft rein ist. Wenn alles okay ist, holen sie alle anderen und dann bringen wir sie hier raus". "Okay, ich gehe" sagte ich selbstverständlich. Jedoch riefen fast alle im Raum in Chor "Auf keinen Fall!" Am lautesten Alex, Dennis und Nick. Abwehrend hob ich die Hände "Leute... ich muss gehen". "Gar nichts musst du!" knurrte Alex neben mir und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen "Und du gehst auf keinen Fall! Du kannst nicht mal gehen!" Ich funkelte böse zurück "Klar kann ich gehen! Ich schaff das". "Beweise es" mischte sich jetzt Dennis (warum auch immer) ein. Wie auf Kommando schüttelte Alex meine Hand von seiner Schulter und ließ mich alleine stehen. Einen Moment schwankte ich, doch stand dann einigermaßen stabil. Als ich jedoch einen Schritt nach vorne machte, durchzuckten Schmerzen meinen Oberschenkel und ich fiel fast hin. Stände da nicht zufällig Nick, der mich auffing. Ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte, weil er mir meinen Beweis laufen zu können versaut hat, oder ob ich dankbar sein sollte, weil er mich aufgefangen hat. Also sagte ich erstmal nichts sondern blickte nur wieder zu Colin. Dieser schüttelte jetzt energisch den Kopf "Du gehst nicht, Lucy. Du bringst die anderen mehr in Gefahr, als das du ihnen hilfst. Außerdem: was ist, wenn es zu einem Kampf kommt? Das ist viel zu riskant und dein Leben ist viel zu wertvoll". "Ich kann das, ehrlich" versuchte ich Colin verzweifelt zu überzeugen, doch er ignorierte mein flehen. Stattdessen sagte er trocken "Du bleibst hier, Nick wird auf dich aufpassen und dir Gesellschaft leisten. Alex und Dennis gehen".

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