Kapitel #068

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Sofort wirbelte ich herum, schnappte Astrid an der Hüfte und zog sie zur mir durch die Tür. Ich sah nicht genau, wo sie sich verletzt hat, jedoch hatte sie ihr Gesicht vor Schmerz verzogen. Ihre Augen hatte sie zusammengekniffen und Tränen strömten ihr pausenlos über die Wangen. Allerdings hatte ich keine Zeit, sie genauer zu betrachten. Stattdessen wandte ich ihr den Rücken zu, zog meine Waffe und zielte auf die Metalltür, die hinter uns ins Schloss gefallen war. Jede Sekunde könnten Simon und seine Freude hier rein stürmen und Astrid war offensichtlich nicht in der Verfassung, zu kämpfen. Hinter mir hörte ich sie schluchzen und es brach mir das Herz. Doch sie muss noch einen Moment ohne mich durchhalten. Mein Blick kebte an der Metalltür und meine Hände zitterten leicht. Von der anderen Seite näherten sich Schritte. Ich hielt die Luft an. Jemand rüttelte an der Tür, doch nichts tat sich. Meine Nerven waren zum zerrissen gespannt. Einige Sekunden passierte nichts, dann erklang ein gedämpftes "Sie sind nicht befugt, diesen Codebezirk zu betreten". Ein Fluchen. Dann entfernten sich die Schritte. Ich atmete unendlich erleichtert auf. Interessant, war die Tür also einmal zu, galten wieder die normalen Code-Gesetze und Nicks Programm half nicht mehr. An sich ein Nachteil, der uns aber wahrscheinlich gerade das Leben gerettet hat. Wir hatten kostbare Zeit gewonnen. Ich steckte meine Waffe schnell weg und drehte mich dann zu Astrid um. Diese saß am Fuß der Treppe gegen die Wand gelehnt. Ihr Atem ging schwer und sie presste eine Hand auf ihren Bauch. Ihre Haut war kreideweiß und kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Ich kauerte mich vor sie auf den Boden und zog ihr sanft, aber bestimmt die Hand vom Bauch. Ihre Hand war blutrot. Als ich die Wunde sah, zog ich scharf die Luft ein. Die Kugel ist genau in ihren Bauch eingedrungen, nur wenige Zentimeter oberhalb des Sprengstoffgürtels. Hätten sie den getroffen, wären wir alle definitiv nicht mehr am Leben. Aber Astrid sah gar nicht gut aus. Obwohl ich selbst vor Angst und Sorge Tränen in den Augen hatte, fuhr ich ihr beruhigend übers Haar. "Schh, alles gut" nuschelte ich mit brüchiger Stimme "alles wird gut, du musst nur durchhalten". Sie schniefte und nickte zögerlich. "Komm her, ich helfen dir. Wir müssen hier weg" flüsterte ich und schlang einen Arm um ihre Tailie. Schwerfällig zog ich sie mit hoch und schwankte etwas. Astrid schluchzte auf und versuchte sich nicht zu sehr auf mich zu lehnen, was ihr jedoch nicht gelang. Ich biss die Zähne zusammen und begann den langsamen Treppenaufstieg. Doch schon nach dem ersten Ansatz verließen mich meine Kräfte. Sie war zu schwer und ich war zu schwach. Als ich mich mit ihr schließlich in den ersten Stock gekämpft hatte, fühlte ich mich, als würde ich auch gleich umkippen. Ich atmete tief durch und wollte gerade die nächste Treppe in angriff nehmen, als Astrid mich leise abhielt "Nein, Lucy. So geht das nicht. Du musst mich zurück lassen".

"Nein" sagte ich sofort und starrte sie geschockt an "Niemals!". Astrid sah so aus, als würde ihr das reden viel Kraft kosten "Du musst, Lu. Ich schaffe es niemals bis zum Severraum". Tränen sammelten sich in meinen Augen "Aber... Das wäre dein sicherer Tod. Selbst in dem unwahrscheinlich Fall, dass Simon und seine Gang dich nicht finden, wirst du spätestens bei der Explosion...". Ich schaffte es einfach nicht, den Satz zu beenden. "Ich weiß" sagte sie leise und sah mich traurig an "aber sonst sterben wir beide. Du... Du musst diese Mission beenden, Lucy. Du musst dem ganzen Mist ein Ende setzten". "Ich kann das nicht" schniefte ich jetzt auch "Ich habe es Bastian versprochen. Ich kann dich hier nicht alleine zurück lassen. Da kann ich dich auch gleich abschießen, das wäre das gleiche. Ich überlasse dich nicht dem sicheren Tod!". "Das hast du nicht zu entscheiden" schluchzte Astrid und wandt sich in meinem Griff, bis ich sie vorsichtig auf dem Boden absetzten musste "Es ist allein meine Entscheidung. Und ich habe sie allein getroffen. Sag Bastian, dass ich ihn liebe. Und jetzt geh, bevor Simon und Co zurück kommen". Inzwischen liefen auch mir die Tränen übers Gesicht "Das kannst du nicht von mir verlangen. Ich werde dich nicht sterben lassen!". Flehend sah Astrid mich an "Siehst du denn nicht, was hier passiert? Das ist viel größer als du und ich. Das hier ist der Beginn eines neuen Lebens, eines besseren. Und du setzt das alles wegen mir aufs Spiel. Das kannst du nicht. Ich komm schon klar. Und jetzt los". Mit zitternden Fingern schnallte sie sich ihren Sprengstoffgürtel ab und reichte ihn mir. Erst zögerte ich, nahm ihn dann aber an und schnallte ihn mir um. Er war beschmiert mit ihrem Blut, doch das war mir gerade egal. Ich schnallte ihn mir um die Tailie, da ich an meiner Hüfte ja schon einen Gürtel hatte. Dann kniete ich mich vor Astrid auf den Boden und umarmte sie fest. Meine Tränen tropften auf ihr Oberteil "Es tut mir so unendlich Leid. So so so sehr. Du bist wie eine Schwester für mich. Ich schwöre dir, dass ich dich irgendwie retten werden, okay? Wir sehen uns wieder. Halte bitte einfach durch, bis ich wieder da bin, ja?". Astrid nickte und drückte mich an sich "Okay, Schwester. Mach dir um mich keine Sorgen. Pass auf dich auf. Hab dich lieb". Ich schniefte "Ich dich auch, Astrid". Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und richtete mich langsam auf. Sie schluchzte und sah mich verzweifelt an. Eine Hand lag wieder auf der Schusswunde an ihrem Bauch und ihr Atem ging schwer. Alles in mir sträubte sich dagegen, sie so zurück zu lassen. Aber sie hatte recht, ich muss weiter kämpfen. "Wenn wir uns wieder sehen, dann in einer neuen, besseren Welt" flüsterte sie. "Bis nachher, Astrid. Bleib stark. Du kannst das. Ich weiß es". Sie nickte schwach und ich musterte sie noch einmal. Prägte mir alles an ihr ein. Ihr Aussehen, ihre Stimme, ihr Charakter. Dann wandte ich mich ab und rannte weiter die Treppe hoch. Ihr leises Schluchzen verfolgte mich noch bis in den dritten Stock.

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