Kapitel #054

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Ich stand vor dem Spiegel und betrachtete mein Gesicht und meinen Körper. Astrid hatte mir nur schwarze Sachen gegeben und alles möglichst dunkel, bequem und elastisch gehalten. Sie hatte mir bis eben noch beim Anziehen geholfen. Ich hatte letzendlich wieder diese pechschwarzen Rebellen-Technologie-Hightec-Klamotten an, die ich auch schon bei meiner ersten Mission hatte. Die leichten Laufschuhe mit Profil, schwarze, anliegende Hose, schwarzes Shirt und Hoodie mit Kaputze. Alles in diesem Stoff, der beim bewegen keine Geräusche macht. Außerdem bekam ich einen Gürtel, an dem eine Pistole, Munition, Rauchgranaten und Wurfmesser befestigt waren. Wurfmesser versteckte ich auch sonst noch überall am Körper, da sie ja meine besten Waffen waren. Zwei verstaute ich unter meinen Fußsohlen, vier in versteckten Seitentaschen meiner Hose an Ober- und Unterschenkel und zwei weitere schob ich in Taschen, die an meinem Oberteil an den Unterarmen befestigt waren. Allein schon an der tödlichen Ausstattung merkte ich, wie ernst es jetzt wurde. Ich betrachtete meine schmale, komplett in schwarz eingekleidete Gestalt im Spiegel. Obwohl ich so klein war, sah im schon bedrohlich aus. Unberechenbar. Das ganze Schwarz ließ mich wie ein Agent auf Geheimmission aussehen. In dem Moment betraten Alex und Astrid den Raum. Beide blieben stehen und schauten mich überrascht an. "Du siehst... Wow aus" lächelte die Rothaarige und mein Freund konnte mich nur anstarren. Ich grinste zögerlich. "So" sagte Astrid dann "Ich mach dir jetzt noch die Haare und Alex... gibt dir noch eine Kleinigkeiten. Und dann kann es schon losgehen". Ich schluckte angespannt und beobachtete Astrid, wie sie einen Stuhl heranzog und mich einfach drauf drückte. Dann machte sie sich schon an meinen Haaren zu schaffen. Alex zögerte noch, dann trat er auf mich zu und zog eine kleine Schachtel aus seiner Hosentasche. Schließlich ging er vor mir in die Hocke und sah mich ernst an. "Lucy... Ich weiß... also du" stotterte er, schüttelte dann den Kopf und fing nochmal von vorne an "Das was ich dir jetzt gebe, ist seht wichtig.
Ich weiß, dass du eine Kämpferin bist und niemals den 'einfachen' Weg wählen wirst. Aber... falls du gefangen genommen wirst... Wir wissen nicht, was sie dann mit dir anstellen werden. Wahrscheinlich Foltern, oder schlimmeres. Und in dieser Lage, ist es manchmal besser oder einfacher, einfach nur... zu sterben".

Ich sah ihn fassungslos an und beobachtete, wie er die kleine Schatulle öffnete. Er nahm eine Art Tablette raus, eine kleine Kapsel, nahm sie zwischen zwei Finger und hielt sie mir vor die Augen, damit ich sie betrachten konnte. Er seufzte "Das ist eine Zyankalikapsel. Ein biss darauf und du bist in Sekunden tod. Ich möchte sie dir eigentlich nicht geben. Ich möchte nicht, dass du je gezwungen sein wirst, diese Kapsel in den Mund zu nehmen. Und wenn alles gut geht, wird das auch nie passieren. Nur... wenn was schief geht. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt". Ich nickte zögerlich und beobachtete, wie er die Zyankalikapsel in eine kleine Tasche an meiner linken Schulter steckte, die wohl extra dafür gedacht war. Aber warum an der Schulter? Als hätte mir Alex die Frage von den Augen abgelesen, sagte er "Falls du gefesselt bist, kannst du die Tasche da auch mit dem Mund öffnen". O Gott. Die Vorstellung machte mich kaputt. Wird der Tag kommen, an dem ich so sehr leide, dass ich lieber Selbstmord begehe, als noch eine Sekunde länger zu leben? Gibt es etwas, das mich so zerstören kann? Ich weiß es nicht, doch die Tatsache, dass Alex und so der Regierung zutrauten, mir Dinge anzutun, sodass ich diese Kapsel freiwillig nehmen würde, machte mir Angst. In dem Moment trat Astrid zurück und betrachtete zufrieden meine geflochtenen Haare "So, fertig". "Dann kann es ja losgehen" sagte Alex und zog mich hoch.

"Holly wartet draußen. Sie fährt dich zum Regierungsbezirk" sagte Astrid, als wir vorm Ostausgang der Bärenhöhle standen. Ich war ihn noch nie zuvor gegangen. Man musste durch einen Tunnel in den Keller eines Einfamilienhauses. Und da konnte man dann anscheinend einfach raus spazieren. So hat mein Team es mir jedenfalls erklärt. Sie standen alle da und es wusste anscheinend keiner so recht, was er sagen solle. Wir haben es 18:07 Uhr. In 53 Minuten werde ich in den Regierungsbezirk einbrechen und dafür musste ich jetzt los. Alle wollten sich von mir verabschieden, aber jetzt wollte anscheinend keiner Anfangen. Schließlich trat Cat vor und zog mich in eine Umarmung. Es war noch ungewohnt, aber ich erwiderte die Umarmung natürlich. Während sie sich umarmte flüsterte sie mir ins Ohr "Erinnert du dich noch? Damals, als du ohnmächtig auf der Krankenstation lagst. Ich habe meinen kleinen Bruder Fynn unerlaubter weise mit ins Zimmer gebracht, weil er unsere große Rettung unbedingt sehen wollte". "Klar erinnere ich mich" flüsterte ich zurück "Was ist mit ihm?". "Als ich ihm erzählt habe, dass ich ein paar Tage weg bin, um dir zu Helfen, deine Mission zu machen, hatte er gegrinst und gesagt 'Ich wusste von Anfang an, dass sie uns retten wird. Sie sah selbst schlafend aus wie eine Kämpferin'. Und ich kann ihm nur zustimmen. Du kannst das, Lucy. Ich weiß es". "Ich werde euch nicht enttäuschen" flüsterte ich mit Tränen in den Augen, drückte sie noch einmal fest und trat dann zurück. Sofort wurde ich von Astrid umarmt "Schon, als du damals zu uns kamst, warst du so mutig. Wir hatten keinen besonders guten Start, aber ich bin so stolz, dich kennen gelernt haben zu dürfen. Du bist ein fantastischer Mensch, pass auf dich auf". "Danke" sagte ich leise, atmete noch einmal ihnren Duft ein, dann ließ ich sie los. Nur Sekunden später wurde ich von Bastian in die Arme geschlossen "Mach sie fertig, Kleine. Du kannst das. Kämpfen, bis zum letzten Atemzug. Du bist stark und schnell. Zeig ihnen, dass sie sich mit den Falschen angelegt haben". Ich musste leicht kichern "Nur für dich werde ich alle kalt machen". "Das ist mein Mädchen" lacht er, klopfte mir brüderlich auf die Schulter und entließ mich dann aus seinen Armen. Als nächstes stand Nick vor mir und drückte mich an sich. Eindringlich sagte er "Keine Angst, Lucy. Ich habe alles technische überprüft. Da kann gar nichts schief gehen. Dein Peilsender funktioniert, ich habe es heute Morgen nochmal probiert. Meine Datenblockade ist auch bereit und verschafft dir zu viel Zeit wie möglich. Und die Baupläne kannst du ja auch alle. Du bist bereit. Hau rein". "Ich habe keine Sekunde an deinen Fähigkeiten gezweifelt. Danke für alles" erwiderte ich leise. Ich spürte, wie Nick mich nochmals näher zog "Es war mir eine Ehre". Dann ließ auch er mich los und es war nur noch eine Person da, von der ich mich verabschieden musste. Nur noch eine Person, der ich vielleicht für immer tschüss sagen muss. Und ausgerechnet bei dieser Person tat es mir am meisten weh. "Lucy" sagte er ruhig. "Alex" flüsterte ich zurück. Dann trat ich auf ihn zu und er küsste mich einfach. Der Kuss drückte alle unsere Gefühle und Worte aus und noch viel mehr. Ich schmeckte seine Angst, Verzweiflung, Hoffnung, seinen Schmerz und seine Liebe. Ich schmeckte sein 'du kannst das', sein 'pass auf dich auf', sein 'Komm Gesund zurück' und immer, immer wieder sein 'Ich liebe dich'. Ich weiß nicht, wie lange wir so da standen und uns einfach nur küssten. Aber irgendwann musste ich mich von ihm lösen. Die Zeit riss uns auseinander. Einen Moment schauten wir uns noch intensiv in die Augen. Ein letztes mal strich er eine meiner Haarsträhnen zurück und ein letztes mal verlor ich mich hoffnungslos in seinen braunen Augen. Dann wandte ich mich ab und ging ohne ein weiteres Wort in den schwarzen Tunnel.

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