Kapitel #028

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Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel. Mal wieder war ich komplett schwarz gekleidet. Meine Haare hatte ich zu einem unsauberen Dutt zusammengebunden. Es war der späte Abend meines 'freien Tages'. Soviel zum Thema 'frei'. Irgendwie habe ich ja nur eine Geheimmission nach der anderen. Aber nach kurzem überlegen kam ich zu dem Schluss, dass heute am günstigsten war. Ab morgen war wieder Training und dann würde es eine Weile dauern, bis ich wieder eine geeignete Nacht fand, vor der ich auch genug Zeit habe, mich vorzubereiten. Also jetzt. Leise schlich ich mich aus meinem Zimmer und lief die Gänge zur Zentrale entlang. Die ganze Zeit ging ich noch relativ normal, doch sobald Colins Büro in meinem Blick kam duckte ich mich und wurde vorsichtiger und aufmerksamer. Jodie meinte zwar, die Tür wäre unbewacht und um die Kameras könnte sie sich kümmern, trotzdem konnte man ja nicht vorsichtig genug sein. Also folgte ich angespannt den Gang, bis tatsächlich vor einer Stahltür stehen blieb. Und sie war, wie Jodie sagte, unbewacht. Wow, das läuft ja alles besser als erwartet. Ich hatte es aber auch echt verdient, dass mir mal eine Mission glückte. Aber man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben. Links von mir war eine Apparat angebracht, der einen Schlitz hatte. Durch den muss man die Karte wahrscheinlich durchziehen. Langsam und mit einer gesunden Portion Misstrauen trat ich darauf zu und zog die Karte durch den Apperat. Einen Moment passierte nichts, dann öffnete sich die Tür mit einem leisen Summen. Lächelnd trat ich ein und folgte der Treppe nach unter, als die Tür mit einem lauten Rumms hinter mir ins Schloss fiel.

Am Ende der Treppe war wie erwartet der runde Raum, nur war dieser deutlich größer als ich erwartet hatte. Er hatte vielleicht einen Durchmesser von einem Kilometer und überall an der Wand entlag zweigten Türen ab. Alles war in ein seltsames weißes Licht getaucht, was dem ganzen etwas unwirkliches gab. Nach einem kurzen Blick durch den kahlen, weißen Raum war sofort klar, hinter welchen Türen eine Zelle lag und hinter welchen ein Verhörraum. Jede Zellentür war war aus massiven Eisen und hatte ein kleines Guckfenster, das mit Gitterstäben davor. Die Türen zu den vermeidlichen Verhörräumen waren weiß und durchnummeriert. Immer nach drei Zellen schien ein Verhörraum zu sein. Mein Blick suchte die Wände ab in der Hoffnung, dass irgendwo dranstand, wer in welcher Zelle war. Aber meine Suche war vergeblich. Nirgendwo auch nur ein Hinweis drauf, wer hier wo eingesperrt ist. Da mir also nichts anderes übrig blieb, rief ich leise "Mam? Dad? Seit ihr hier?". Ich wartete einige Sekunden, doch niemand reagierte. Also lief ich weiter in die Mitte des Raums und fragte etwas lauter "Mam? Dad? Sagt doch was!". "Sie sind nicht hier" sagte da eine bekannte Stimme links von mir. Mein Kopf fuhr zur Seite "Flynt". Er stand hinter der Zellentür neben Verhörraum 3 und schaute mich amüsiert an "Das du dich hier blicken lässt...". Ich lief auf ihn zu bis ich direkt vor seiner Tür stand "Weißt du, wo meine Eltern sind?". "Hm... Vielleicht" lächelte er und zuckte mit den Schultern. "Wo?" Verlangte ich zu wissen und durchbohrt ihn mit meinen Blicken. Er starrte zurück "Was, meine Liebe, hätte ich den davon?". "Wir könnten einen Deal machen" schlug ich vor. Er zog eine Augenbraue hoch "Ein Deal? Was hättest du mir denn zu bieten. Momentan will ich einfach nur hier raus-". In diesem Moment zückte ich die Schlüsselkarte "Ich kann dich hier raus holen".

Flynts Augen begannen bei dem Anblick der Schlüsselkarte zu leuchten "Hol michraus!". "Erst sagst du mir, wo meine Eltern sind" sagte ich und versteckte die Karte wieder hinter meinem Rücken. Der Polizeiazubi guckte misstrauisch "Woher weiß ich dann, dass du mich danach noch raus lässt?". "Weißt du nicht. Und jetzt sag" forderte ich schlicht. Er schüttelte den Kopf und grinste. "Komm schon, sonst gehe ich einfach wieder und deine einzige Chance, hier je raus zu kommen, ist weg. Ich kann mir die Informationen auch anders beschaffen" machte ich ihm deutlich. Skeptisch fragte er "Und wie? Ich nehme an, dass Colin Hawkins und auch sonst alle anderen eingeweihten das bestmöglich vor dir Geheim halten. Wenn du nämlich weißt, wo deine Eltern sind und wie es ihnen geht, haben sie kein Druckmittel mehr gegen dich. Natürlich, du machst das inzwischen alles freiwillig, um die Welt vor der bösen, bösen Regierung zu retten, aber weißt du was? Die Rebellen misstrauen dir. Sonst hätten sie die doch schon lange erzählen können, wo deine Eltern sind. Sie haben Angst, dass du zurück zur Regierung rennst, sobald du Mami und Papi wieder hast. Keiner kann dich einschätzen. Sie wissen nicht, wie viel von dem was du sagst ernst gemeint und wie viel geschauspielert ist. Und soll ich dir was sagen?" er trat noch dichter an das Gitter und sein Blick bohrte sich in meinen "Ich langsam auch nicht mehr". War ich wirklich so schwer zu durchschauen? Mir kam es immer so vor, als wären alle meine Taten immer eindeutig zu Gunsten der Rebellen. Und ich hatte auch echt oft betont, dass ich jetzt für sie Kämpfen werde. Aber Flynt hat recht... wieso vertraut mir keiner? Wieso brauchen sie noch immer meine Eltern? Ich tu doch alles, was sie verlangen. Verunsichert von seinen Worten schaute ich zur Seite "Was willst du damit sagen?". Einen Moment schwieg er, eher er sagte "Du öffnest die Tür, ich sag dir wo deine Eltern sind und dann gehe ich. So einfach. Dann kannst du deine Eltern suchen und dir mal in Ruhe überlegen, wer die eigentlichen bösen sind und auf welcher Seite du überhaupt stehst". "Versprich mir, uns nicht zu verpfeifen, Flynt. Weder mich noch sonst irgendwelche Rebellen noch die Bärenhöhle" sagte ich leise und fixierte ihn mit meinen Augen "Schwöre es!". "Okay, ich schwöre es" sagte er und erwiderten meinen Blick. "Ich bringe dir hier mehr vertrauen entgegen, als du jemals verdienst" meinte ich noch, ehe ich die Karte durch den Apparat neben der Tür zog. Mit einem leisen Summen öffnete sich die Zelle.

Mit einer Hand stieß Flynt die eiserne Zellentür auf und trat in den runden Raum. Instinktiv wich ich einen Schritt zurück. Doch der junge Polizist kam einen weiteren großen Schritt auf mich zu und griff nach meinem Arm, damit ich nicht noch weiter von ihm weg konnte. Deswegen lehte ich mich so weit von ihm weg wie es mir möglich war und fragte steif "Wo sind meine Eltern?". "Ist nicht schwer zu merken" sagte er, während seine zweite Hand an meinen Rücken griff und mich näher an ihn zog "Die Wache sagte irgendwas von 'Bringt sie in Zimmer 1213'". Leicht panisch wegen seiner Nähe wand ich mich "Okay, dann sind wir jetzt quitt. Lass mich los". Er grinste und hielt mich eisern fest "Du hälst mich wohl für besonders dämlich, was? Meinst du, ich habe nicht mitbekommen, das da oben nochmal eine Tür ist, die sich nur mit dieser Schlüsselkarte öffnen lässt? Also gibts jetzt genau zwei Möglichkeiten: entweder gibst du sie mir freiwillig oder ich muss sie mir holen". "Ich muss auch noch irgendwie hier raus kommen" sagte ich empört und versuchte seinen Händen zu entfliehen. Gleichzeitig überlegte ich konzentriert, wo ich die Schlüsselkarte versteckt hatte, nachdem ich sie ihm gezeigt hatte. Verdammt, ich habe sie in eine meiner Potaschen meiner Hose gesteckt. Augenblicklich wurde ich rot. Das würde er doch nicht tun, oder? Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch und kam meinem Gesicht näher. Mit rauer Stimme raunte er mir ins Ohr "Musst du das?". Sein warmer Atem streifte meinen Hals und machte mir eine Gänsehaut. Mein Puls beschleunigte sich und langsam aber sicher bekam ich Atemnot. Da ich meiner Stimme nicht mehr vertraute, nickte ich nur. Sein dunkles Lachen brachte die Luft zum vibrieren und machte mir deutlich, dass er wusste, was er mit mir anstellte. Flynt wusste, was für eine Wirkung er auf mich hatte. Deswegen konnte ich ihn auch nur wie hypnotisiert angucken, als er mit seinem Kopf immer näher kam. Ich wusste was jetzt kommt, konnte doch nichts machen. Es wäre eine Lüge zu sagen, mein Körper würde sich nicht in irgendeiner Weise danach sehnen. Und dann legte er seine Lippen auf meine und küsste mich.

Ich war so überrumpelt, dass ich den Kuss weder erwiedern noch Flynt von mir wegstoßen konnte. Doch seine Hand in meinem Rücken spürte ich sehr deutlich. So spürte ich auch, wie sie immer weiter nach unten wanderte. Einen Moment war ich total geschockt. Er wollte mir doch jetzt nicht ernsthaft an die Wäsche. Doch dann dämmerte es mir, trotz seiner Lippen auf meinen und meinem Gehirn am anderen Ende der Welt. Natürlich, er wollte die Schlüsselkarte. Allerdings hatte er sie, noch ehe ich richtig Reagieren konnte, geschickt aus meiner Potasche gezogen. Und dann ging alles irgendwie ganz schnell. Flynt drehte sich mit mir in seinen Armen um 180 Grad. Dann schubste er mich kräftig von sich, sodass ich nach hinten stolperte - genau in die noch offen stehende Zelle, in der Flynt gefangen gewesen war. Doch bevor ich wieder zurück in den runden Raum treten konnte, schmiss der Polizeiazubi die Zellentür zu, die mit einem Rumms ins Schloss fiel. Verzweifelt rüttelte ich an der Tür "Verdammt Flynt, lass mich raus!". Er lächelte "Tut mir leid, das ich deine verwirrten Gefühle ausgenutzt habe, Lucy. Das mit uns würde nie funktionieren. Die widerspenstige Rebellin und der Polizist... außerdem, habe ich erwähnt, dass ich eine wunderschöne Freundin habe?". Schockiert guckte ich ihn an "Eine Freundin? Du bist so ein Arschloch, Benjamin Flynt". Er lachte überheblich auf "Trotzdem, du küsst wirklich ausgesprochen gut. Einen Moment habe ich überlegt, dich mitzuschleppen und der Regierung auszuliefern, aber dann wäre ich hier wahrscheinlich nicht raus gekommen, so anstrengend wie du bist. Alledings hätte ich meine Mission erledigt... naja, nächstes mal. Ich muss los. Früher oder später wird jemand kommen und dich raus lassen. Eines noch: ich halte meine Versprechen. Dann bis nächstes mal, Lucy Winter". Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ mich allein in der Zelle zurück.

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