Kapitel #061

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"Nick" sagte ich leise und erleichtert "ich bin so froh von dir zu hören". "Ja, hier war ein bisschen Chaos..." krächzte er mit kaputter Stimme. "Was war bei euch los? Wie geht es Alex?" fragte ich panisch. Es war zwar ein bisschen gemein, zuerst nach ihm zu fragen und nicht auch nach den anderen, aber immerhin liebe ich ihn, da ist das doch gerechtfertigt. "Naja, das ist alles ein bisschen kompliziert und so... Es kamen so Männer von CodeSystems und Dennis war auch dabei und haben und Überfallen. Und das mit Alex..." Nick beendete den Satz nicht. In mir zog sich alles zusammen "Was?". Nick räusperte sich "Das Ding ist, wir wissen nicht, wie es ihm geht. Sie haben ihn mitgenommen. Aber bitte raste jetzt nicht aus, Lu. Es ist wichtig, dass du erstmal sicher da raus kommst. Danach reden wir weiter". Sie haben ihn mitgenommen. Warum ausgerechnet Alex und die anderen nicht? Na gut, dass konnte ich mir ja fast denken. Mein Herz zog sich zusammen. 'Bitte, bitte, bitte... Er kann nicht tot sein...' flehte ich in Gedanken. Aber Nick hatte recht. Als aller erstes muss ich hier raus. Darauf muss ich mich konzentrieren. "Okay, gibts einen konkreten Plan?" fragte ich, als ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte. "Ehm... Wo bist du denn gerade?" fragte Nick unsicher. "Im vierten Stock in den Damenumkleid- Moment" unterbrach ich mich selbst "Müsstest du nicht wissen, wo ich bin? Wegen meinem Peilsender im Arm?". Der Rebell lachte etwas nervös auf "Und da haben wir schon das nächste Problem...". "Spuck's aus" sagte ich tonlos. "Also" begann Nick "als diese Typen und überfallen haben, haben sie uns alle betäubt. Als wie eben wieder aufgewacht sind, war Alex weg und unser System, mit dem wir dich überwacht haben, hat nicht mehr funktioniert. Allerdings müssen wir uns jetzt zwangsläufig fragen, ob es gar nicht mehr funktioniert, oder ob sie es 'mitgenommen' haben und jetzt auch immer sehen können, wo du gerade bist. Aber da wir immer von schlimmeren ausgehen müssen - also in diesen Fall eindeutig der Variante mit dem 'mitgenommen' - hätte ich eine klizekleine Bitte an dich. Zu deiner eigenen Sicherheit, natürlich". Die ganze Zeit hatte ich schweigend zugehört, doch als er jetzt nicht fortfuhr, fragte ich "Was für eine Bitte, Nick". Zögerlich sagte er "Du musst dir deinen Peilsender aus dem Arm schneiden". "Ich muss WAS?!" fragte ich etwas geschockt. "Ein Messer nehmen und ihn dir raus schneiden, Lu. Es ist zu gefährlich, ihn zu behalten. Womöglich können sie dich schon orten". Ich schwieg. Ich wusste nicht, ob ich das kann. Aber eigentlich habe ich keine Wahl. Wenn ich Überleben will, muss der bescheuerte Peilsender weg. "Okay, ich mach's" sagte ich ins Headset "Aber gebt mir einen Moment. Ich muss mich auch noch umziehen und so...". "Umziehen?" fragte Nick verwirrt. "Gehört zu meinem Plan" erklärte ich knapp "ich erzählt euch später alles. Aber jetzt muss ich Schluss machen, ich weiß nicht, wie viel Zeit mir bleibt". "Schon klar, pass auf dich auf, Lu. Ich bin stolz auf dich". "Danke, bis später" beendete ich das Gespräch. Dann sah ich mir endlich mal die Sachen im Spind an und versuchte nicht daran zu denken, dass ich mir nachher den Arm aufschneiden muss.


Ich hatte Glück, 'Nadine' hatte weder Dienst, noch war sie über mäßig groß. Sie war vielleicht vier Nummern größer als ich. Aber Ärmel und Hose krempelte ich hoch und ich zog mir einfach zwei Paar Socken übereinander und passten mir die Schuhe auch einigermaßen. Und über die große Mütze war ich sehr froh. Ich zog sie mir tief ins Gesicht. Meine hautengen, schwarzen Sachen hatte ich unter der Uniform einfach an gelassen. Da mir die Klamotten sowieso zu groß waren, war das auch kein Problem. Als ich mit meinem Outfit zufrieden war, seufzte ich schwer. Jetzt habe ich keinen Grund mehr, dass, was mir unmittelbar bevor stand, aufzuschieben. Den Peilsender loswerden. Ein bisschen Angst hatte ich schon, aber da muss ich jetzt durch, zur Sicherheit aller. Langsam krempelte ich erst den Ärmel der Uniform hoch, dann schob ich den schwarzen Stoff meines Oberteils zurück, bis die helle Haut auf der Innenseite meines linken Unterarms vor mir lag. Ich musste nicht lange suchen, bis ich den Peilsender durch meine dünne Haut durchschimmern sah. Er war vielleicht so groß wie der Kopf einer Reißzwecke und saß nicht sonderlich tief. Trotzdem zitterten meine Hände wie verrückt, als ich eines der Wurfmesser aus meinem Gürtel zog. Ich ermahnte mich selbst zur Ruhe. Wenn ich so zitter, bekomme ich sicher nicht den Peilsender aus meinem Arm. Ich kniete mich auf den Boden und legte meinen Arm auf die schmale Sitzbank, die einmal durch den ganzen Raum vor allen Spinden entlang verlief. Nur, damit ich nicht so zittere. In die andere Hand nahm ich das Messer und setzte die Klinge genau über dem Chip an. Kalt fühlte sich das Metall an meiner Haut an. Noch einmal atmete ich tief durch, dann erhöhte ich den Druck mit dem Messer. Erst passierte nichts, nur meine Haut gab etwas nach. Doch dann schnitt ich auf einmal ziemlich tief hinein. Zischend schnappte ich nach Luft und unterdrückte mit aller Kraft einen Schrei. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und stöhnte schmerzhaft auf. "Shit, shit, shit,..." keuchte ich immer wieder und versuchte mich zu beruhigen. Mein Herz raste wie nach einem Marathon. Vorsichtig sah ich wieder hin. Das Messer steckte ein paar Zentimeter in meinem Arm. Ich schloss die Augen und zog es mit einem ruck wieder heraus. Ich keuchte auf und zuckte zusammen. Das Messer fiel mit einem klirren auf den Boden. Jetzt floss auch das Blut heiß und dunkelrot über meine fast weiße Haut. So viel Blut. Kurz wurde mir schwarz vor Augen. Doch ich riss mich zusammen und biss die Zähne zusammen. Dann griff ich mit zitternden Fingern in die offene Wunde in meinem Arm und zog den Peilsender raus. Etwas erleichtert, dass ich ihn tatsächlich habe, atmete ich leise aus. "O mein Gott" hauchte ich nur und betrachtete den Chip. Er war ziemlich klein und wie meine Finger blutverschmiert. Sauer warf ich ihn einfach in Nadines Spind und knallte die Tür zu. Und irgendwie fühlte ich mich gleich ein bisschen sicherer.

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