Kapitel #049

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"Timothy Willow" sagte Alex und knallte das Bild eines Mannes auf den Tisch vor mir. Seit meinem Gespräch mit Dennis waren jetzt drei Tage vergangen. Die letzten beiden Tage hatten Alex und ich wieder das Trainig aufgenommen und ich hatte bemerkt, dass ich gar nicht so schlecht war, wie ich dachte. Doch heute Morgen habe ich meine Regel bekommen und gedacht, ich sterbe vor Schmerzen. Desswegen sitze ich jetzt mit einer Wärmeflasche und Schmerztabletten (von denen ich noch keine einzige angerührt hatte, ich hasse Tabletten) in einem der Besprechungszelte und erhielt Unterricht in Taktik und Strategie und so. Noch nie war ich bei diesem Unterricht so aufmerksam wie heute. "Was weißt du alles über Willow, Lucy?" fragte Alex mich jetzt. Das war keine schwere Frage, wir haben schon mehrmals im Unterricht über ihn geredet. "Timothy Willow ist unser Präsident. Er ist Anfang 50, hat eine Frau und zwei Töchter, die jedoch noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Allgemein verlässt er den Regierungsbezirk kaum. Er hat die Codes ausgearbeitet und dafür gesorgt, dass nicht mehr jeder einfach so wohin gehen kann. Er ist schon lange an der Macht, beim Präsidenten vor ihm gab es zwar die Codes auch schon, aber es war wesentlich offener. Die Codes waren nur eine Art Hausschlüssel, den man nicht verlieren kann. Inzwischen sind es Ausweise. Das hat sich Willow so ausgedacht" sprudelten die Fakten aus mir heraus. Ich hätte gerne noch Dinge wie 'Er hat uns in der Stadt eingesperrt' hinzugefügt, aber das wäre nicht mehr objektiv gewesen, sondern meine eigene Meinung. 'Hat dieser Mann den Tod verdient?' fragte ich mich unwillkürlich. Darauf hatte ich keine Antwort. Ich erinnere mich daran, wie glücklich Papa war, als er beim Abendessen von den 'guten alten Zeiten' erzählt hat. Davon, dass jeder überall hinkam, dass keiner ausgeschlossen wurde. Als man noch nicht an jeder Tür, die man durchquerte, kontrolliert und überwacht wurde. Ist es nicht fair, wieder für diese Art von Freiheit zu kämpfen? Ich wollte schon immer mal fliegen, in einem echten Flugzeug. Aber der Flughafen wurde schon vor meiner Geburt aus dem Betrieb genommen. Wir waren vom Rest der Welt abgeschottet. Ich wollte reisen, erkunden, entdeckten. Aber kann ich allein für diesen Wunsch töten? Immerhin hat dieser Mann mit dem strengen Gesicht, den blaugrauen Augen und den schwarzbraunen Haaren, durch die sich inzwischen dünne, graue Strähnen zogen, zwei Kinder und eine Frau. Familie. War es mir das Wert? Ein Tot für die Freiheit. War das Gerecht? Heiligt das Ziel die Mittel? Ich weiß es nicht und es macht mich fertig, dass ich das entscheiden muss. Es liegt in meiner Hand. Ich betrachtete das Bild des alten Mannes vor mir und musste schlucken. Kann ich abdrücken, wenn er vor mir steht? Tue ich das richtige?

"Sehr gut" sagte Alex und beugte sich vor "die größte Schwierigkeit wird wahrscheinlich, an ihn heran zu kommen. Wenn du einmal vor ihm stehst... dürfte es kein Problem sein". Nicht mal Alex wagte es, von Mord zu reden. Etwas verzweifelt schaute ich meinen Trainer an "Tue ich das richtige? Und was passiert, nachdem ich ihn... ungebracht habe? Ich komme da doch niemals lebend raus!" Meine Stimme klang seltsam hoch, als wäre ich kurz davor, umzukippen. Wortlos stand Alex auf, ging um den Tisch herum, hob mich von meinem Stuhl und drückte mich an sich. Die Wärmeflsche schlug mit einen dumpfen Laut zwischen uns auf den Boden, doch keiner von uns beiden schenkte ihr Beachtung. "Nur keine Angst" nuschelte Alex in mein Haar "Du tust das richtige. Wir haben so lange dafür gearbeitet. So viele Leute sind dafür gestorben. Denk an den Raum der Gefallenen". Seine Nähe beruhigte mich und half mir, einen kühlen Kopf zu bewahren. Alex hat Recht. Ich kann das, ich muss das können. So lange habe ich dafür trainiert. So viele haben sich geopfert. Ich muss es zuende bringen. Für die Freiheit. Für die, die ich liebe. Dabei fiel mir etwas ein "Du Alex?". "Hmm?" brummte er. Er drückte mich noch immer an sich. "Ich... können wir für heute Schluss machen?" fragte ich vorsichtig und konnte förmlich spüren, wie er die Stirn runzelte. "Warum?" wollte er wissen. Ich vergrub meinen Kopf in seiner Brust "Also... mir geht's ja nicht so gut und außerdem..." wich ich aus. Jetzt drückte mich Alex eine armlänge weg, damit er mir in die Augen gucken konnte "Komm auf den Punkt, Lu". Ich seufzte und schaute auf den Boden "Ich würde gerne mal meine Eltern besuchen. Und Jodie". Mit einem gekrümmten Finger hob Alex mein Kinn wieder an, damit ich ihm in die Augen schauen musste. Ein lächeln lag auf seinen Lippen "Sag das doch gleich. Ich wusste, dass du früher oder später fragen würdest. Gehen wir". Ohne zu zögern Griff er nach meiner Hand und zog mich mit sich aus dem Zelt.

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