Kapitel #055

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Ich stieg aus dem Auto und sah mich fröstelnd um. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Gut, die Luft war also rein. Hinter mir hörte ich, wie Astrid ihre Autotür zuschlug und ums Auto auf mich zukam. Mein Blick fixierte in der Zeit die Tür, die mit der grauen Betonwand vor mir verschmolz. Direkt neben ihr war ein Touchscreen installiert. Wenn Nick die Datenblockade nicht pünktlich aufbaut, wird meine Mission um Punkt 19:00 Uhr an dieser Tür scheitern. Seltsame Gedanken. Im dämmrigen Licht der inzwischen komplett untergegangenen Sonne sah sie unscheinbar und unschuldig aus. Nicht so, dass an ihr der Versuch, eine Regierung zu stürzen, scheitern könnte. Sie sah nicht aus wie das erste Hindernis vor einer Reihe Hindernisse, die ich nun zu bewältigen hatte. Mein Herz raste und meine Finger waren kalt und schwitzig. Zum Gefühlten hundertsten Mal wischt ich sie an meiner schwarzen Hightech-Hose ab. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich zuckte zusammen. "Ich bin es nur, Lucy. Keine Panik" sagte Holly und trat neben mich. Ich atmete auf und rief mich selbst zur Ordnung 'Entspann dich. Alles gut, bloß nicht durchdrehen'. Ich setzte ein möglichst entspanntes Lächeln auf und sagte "Klar, wer sonst. Was ist los?". Sie runzelte leicht die Stirn "Ich muss jetzt los". "Schon?" fragte ich schwach und war mir sicher, dass sie die Panik in meiner Stimme hörte. Beruhigend legte sie mir eine Hand auf die Schulter "Alles wird gut Lucy. Du kannst das. Augen zu und durch. Ich wünsch dir viel Glück". "Danke" murmelte ich nur und ließ mich kurz von ihr in eine Umarmung ziehen. Doch viel zu schnell ließ sie mich wieder los und lächelte schwach. Dann umrundete sie ihr Auto, nickte mir noch einmal zu, stieg ein und fuhr wenige Sekunden später davon. Ich sah dem weinroten Wagen hinterher. Jetzt war ich also auf mich allein gestellt. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Und in der Sekunde piepste meine Armbanduhr leise. Es war 19:00 Uhr. O Gott. Einen Moment war ich wie erstarrt, dann drehte ich mich um und ging langsam und misstrauisch auf die Tür zu. Der Weg, bis ich dort war, kam mir ewig vor. Feindselig starrte ich die Tür an. Jetzt konnte ich nur noch beten, dass Nick die Blockade errichtet hat. Warten kann ich nicht, da unklar ist, wie lange mir die Blockade Zeit verschaffen kann. Also kniff ich die Augen zusammen, schickte ein letztes Stoßgebet zum Himmel und drückte meine Hand auf die kalte Oberfläche den Touchscreens.

"Zugang gewährt" seuselte die automatische Frauenstimme und die Tür öffnete sich mit einem leisen klick. Mit einer Hand hielt ich die Tür auf, blieb jedoch erstmal wie erstarrt stehen und lauschte konzentriert. Bei dem leisesten Anzeichen eines Alarms war ich bereit, die Flucht zu ergreifen. Doch es blieb still. Nach drei Minuten Stille wagte ich mich durch die Tür. Diese fiel hinter mir mit einem Rums ins Schloss, während ich mich umblicke und versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Recht schnell Begriff ich, dass ich genau durch den Eingang hinein gekommen war, durch den ich auch laut den Bauplänen, die ich auswendig gelernt hatte, kommen musste. Ich musste Lächeln. Die Tatsache, dass ich wusste, wo ich war, beruhigte mich ungemein. Ich stand auf einem kleineren Hof. Der große Bau links von mir musste dann das Quartier für Wächter und Bedienstete sein. Rechts von mir waren in einem etwas kleineren Gebäude alle möglichen Vorrate untergebracht, wenn ich den Bauplänen trauen durfte. Und geradeaus schaute ich genau auf die Rückseite des Regierungsgebäudes. Von vorne war es ein äußerst repräsentatives und einschüchterndes Gebäude. Von hinten jedoch... war es nicht ganz so Angst einflößend. Allgemein war das Regierungsgebäude das Herz des Regierungsbezirks. Es handelte sich dabei um ein fünfstöckiges, breites Gebäude. Es war sehr modern, mit vielen, großen Fensterflächen, viel grau und weiß. Meiner Meinung nach spiegelte es perfekt die Eintönigkeit der Stadt wieder, nur viel eindrucksvoller. Alle Fenster waren verspiegelt und wenn man davor stand, wurde man selbst hundert mal in der Fassade gespiegelt. Wie eine unbezwingbare Festung drohnte es im Herzen unserer Stadt. Es kursierten viele Gerüchte, wie das Regierungsgebäude wohl von innen aussah. Manche sprachen von riesigen Spiegelkabinetten, andere von Ballsälen wie in der Vergangenheit, die sich über ein ganzes Stockwerk zogen. Naja, ich hatte jetzt das "Glück", mir das Gebäude selbst einmal anzugucken. Die Ballsäle kann ich anhand der Baupläne schonmal vergessen. Aber wer weiß, was mich sonst noch in diesem Haus erwarten wird. Auf jeden Fall sollte ich nicht weiter so offensichtlich und für alle gut sichtbar vor der Botentür stehen. Wozu hatte ich denn dieses ganze Tarnzeug an? Also huschte ich in den Schatten des Vorratshauses. Jetzt im Schatten und in der Abenddämmerung verschmolz ich mit meinen schwarzen Kleidern perfekt mit der Hauswand. Geräuschlos schlich ich Richtung Regierungsgebäude. Dann mal ran an den Speck.

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